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Der Dschihad in den Köpfen

Von Werner Reisinger

Politik
Die mittlerweile aufgelassene "Demat Altun Alem"-Moschee im 2. Wiener Gemeindebezirk: Hier soll Mirsad O. laut Anklage regelrechte "Gehirnwäsche" betrieben haben.
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20 Jahre Haft für den islamistischen Prediger Mirsad O.: Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die österreichische Szene?


Graz/Wien. Dass Mirsad O. rhetorisch durchaus kein Leichtgewicht ist, davon konnten sich die Geschworenen am Mittwoch, dem letzten Verhandlungstag im Prozess gegen den bosnisch-serbischen Hassprediger und einen weiteren, tschetschenischstämmigen Islamisten selbst ein Bild machen. Statt um ein mildes Urteil zu bitten, setzte der Islamist zu einer 45-minütigen Rede an, in der er in geschliffener Manier seine Unschuld beteuerte.

Viel Eindruck dürfte die Predigt auf die Geschworenen aber nicht gemacht habe. Nach mehr als vier Stunden Beratung befanden sie: O. ist schuldig der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und einer kriminellen Vereinigung wie auch der Anstiftung zum Mord und der Nötigung. Der Richter verurteilte O. zu 20 Jahren Haft, der zweite Hauptangeklagte, Mucharbek T. aus Tschetschenien, erhielt zehn Jahre Haft, wurde allerdings vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. T. soll in Syrien an Massakern der Terrormiliz IS beteiligt gewesen sein und wurde durch einen ehemaligen Kämpfer der Freien Syrischen Armee, der sich inzwischen im Zeugenschutzprogramm befindet, schwer belastet.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, sowohl O. als auch die Anklage wollen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung einreichen. T. erbat sich Bedenkzeit.

Agitation vorerst unterbunden

"Seine Kernbotschaft war: Der Islam ist durch den Dschihad zu verbreiten", ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. In zahlreichen Predigten, die O. auf seinem eigenen YouTube-Kanal verbreitete, verherrlichte O. seine Vision eines "reinen" Islams. In den Predigten in der inzwischen aufgelassenen "Demat Altun Alem"-Moschee in der Venediger Au im 2. Wiener Gemeindebezirk seien vorwiegend junge Muslime zwischen 14 und 30 Opfer seiner "Gehirnwäsche" geworden, wie es die Anklage ausdrückte. Von direkter Vermittlung von Ausreisewilligen nach Syrien, die in der kleinen Moschee stattgefunden haben soll, ist die Rede. Stets beteuerte O., dass er seine Zuhörerschaft niemals versucht habe zu überzeugen, sich in Syrien dem IS anzuschließen. Im Gegenteil, er verachte, was dort geschehe.

Es sei ein Fehler, das Wirken von Mirsad O. ausschließlich auf den IS und dessen Rekrutierungsbemühungen in Europa zu reduzieren, sagt der Wiener Politikwissenschafter und Islamismusexperte Thomas Schmidinger. "Wenn man sich seine Propagandaauftritte genau ansieht, so ist erkennbar, dass O. nicht eindeutig dem IS zuzuordnen ist. Er ist klar dschihadistisch orientiert, im Streit zwischen IS und Al-Nusra (eine weitere in Syrien operierende, islamistische Miliz) und Al-Kaida hat sich O. aber nicht positioniert. Statt für eine bestimmte Gruppe zu werben, hat er eher eine allgemeine Agitation mit dschihadistischen Inhalten betrieben", erklärt Schmidinger. Für diese allgemein dschihadistisch orientierte Szene sei bereits O.s Verhaftung ein schwerer Schlag gewesen, mit O. sei nun eine zentrale Identifikationsfigur und Autorität hinter Gittern - mit der Konsequenz, dass eine weitere Agitation in der Öffentlichkeit vorerst unterbunden wurde.

Neue Leitfiguren?

Wie wird sich das Urteil auf die Szene auswirken? Das dschihadistische Spektrum verändere sich stetig, sagt Schmidinger. Einschätzungen der künftigen Entwicklungen seien deshalb schwierig. "Welche Reaktionen der Repressionsdruck auf das Verhalten der Szene haben wird, hängt vor allem davon ab, welche Personen sich nun als neue Leitfiguren etablieren können." Bis jetzt gebe es keinen möglichen Nachfolger, der in der Szene eine ähnliche Bedeutung habe wie O., erklärt der Islamismusexperte. Gefahr drohe vor allem bei einer weiteren Aufsplitterung der Szene. Dann nämlich sei es gut möglich, dass sich kleinere Gruppen weiter radikalisieren - und den Worten dann auch in Österreich Taten folgen lassen. Schmidinger: "Wer im dschihadistischen Weltbild gefangen ist, für den passt das Urteil natürlich perfekt in die übliche Lesart des bösen, säkularen Staates, der die ehrlichen Muslime verfolgt und drangsaliert."

Wenn man ihm die Chance dazu gebe, werde O. sicherlich aus dem Gefängnis heraus seine Agitation fortsetzen, ist Schmidinger überzeugt. Ein "Märtyrerstatus" sei O. jedenfalls durch das Urteil sicher. Das Unterbinden weiterer Radikalisierung durch das Urteil und O.s Haft hat also auch seinen Preis. Und dann sind da noch die zahlreichen Drohungen gegen Zeugen, die im Prozess ausgesagt haben. Er rechne damit, trotz Zeugenschutzprogramm ermordet zu werden, sagte der Hauptzeuge gegen den zweiten Angeklagten T. im Prozess. Gut möglich also, dass sich die Wut der Anhängerschaft auch in Racheakten Bahn bricht. Gegen österreichische Institutionen aber habe es bis jetzt noch keine Drohungen aus O.s Anhängerschaft gegeben, sagt Schmidinger.

Grundsätzlich gebe es zwei Möglichkeiten, wie sich das Urteil auswirken könne, erklärt Nicolas Stockhammer, Terrorismusforscher an der Universität Wien. Zum einen sei vom recht hohen Strafmaß durchaus eine abschreckende Wirkung für sogenannte Gefährder gegeben: "Radikalisierte Personen sehen nun klar, dass es rechtliche Möglichkeiten auch schon im Radikalisierungsprozess gibt und man zu einem recht hohen Strafmaß greift", so Stockhammer. Zudem nehme durch die zunehmend schlechte militärische Lage des IS in Syrien und im Irak die Bereitschaft ab, aktiv in den Dschihad zu ziehen.

Aber: "Natürlich könnte, speziell in den bosnisch und tschetschenisch geprägten, ultraradikalen Szenen eine Art Jetzt-erst-recht-Mentalität geschaffen werden. Die Bereitschaft, die neu geschaffenen ‚Märtyrer‘ zu rächen, könnte steigen", so der Sicherheitsexperte. Ein Beispiel seien die Anschläge in Brüssel in der Folge der Festnahme des Pariser Attentäters Salah Abdeslam, die durchaus als Racheakte zu qualifizieren seien.

Stockhammer ist jedoch skeptisch, ob das Urteil gegen O. auf die österreichischen Netzwerke eine ähnliche Wirkung haben könnte: "Die heimische Szene kann man in ihrer Operationsweise mit den weit fortgeschrittenen, autark agierenden Netzwerken in Frankreich und Belgien nicht eins zu eins vergleichen." Grundsätzlich müsse man sich jedoch auf eine jahrzehntelange Bedrohungssituation einstellen, warnt der Terrorismusexperte.