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Ohne Not

Von Katharina Schmidt

Politik

Asyl: In der Grundversorgung sind 2600 Plätze frei, auch sonst wird der "Notstand" schwer zu argumentieren sein.


Wien. Er bleibt dabei. Innenminister Wolfgang Sobotka will raschestmöglich die Notverordnung in Kraft setzen, mit der an der Grenze keine Asylanträge mehr angenommen werden. Zwar ist die Obergrenze beziehungsweise der "Richtwert" von 37.500 Asylanträgen im heurigen Jahr noch nicht erreicht, allerdings habe ein Hochwasserschutz ja auch keinen Sinn, wenn man ihn erst während des Hochwassers baue, argumentierte der Minister am vergangenen Dienstag im Ministerrat.

Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner warten nun gespannt auf den Notverordnungsentwurf, der aus Sobotkas Haus kommen wird. Und beide betonen, dass das wohl eine "diffizile" Angelegenheit werden wird. Zwar hat sich die Koalition - wohlgemerkt noch vor dem von Kern ausgerufenen "New Deal" - mit der gesetzlichen Formulierung der Notverordnungsregelung viel Spielraum gelassen, die Umsetzung dürfte dennoch kaum schaffbar sein. Die Bundesregierung kann demnach "im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats mit Verordnung fest[stellen], dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet ist". Bei der schriftlichen Begründung dieser Gefahr an den Nationalrat "ist besonders auf die Anzahl von Fremden, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, und auf jene staatlichen Systeme einzugehen, deren Funktionieren durch die aktuellen Migrationsbewegungen beeinträchtigt wird", heißt es im Asylgesetz.

Damit kann so gut wie alles gemeint sein - oder auch so gut wie nichts. Begibt man sich auf Spurensuche nach möglichen Argumenten für diese Beeinträchtigung der staatlichen Systeme, fällt einem abgesehen von der bloßen Anzahl der Asylanträge natürlich sofort die Grundversorgung von Asylwerbern ein. Diese obliegt den Bundesländern - und wie ein Rundruf der "Wiener Zeitung" in den Ländern ergeben hat, ist man dort von einem Notstand noch weit entfernt.

Leere Notquartiere im vierstelligen Bereich

Insgesamt waren in den Ländern vergangene Woche 2600 Plätze in der regulären Grundversorgung frei, dazu kommen noch zig Notquartiere, die der Bund in den Ländern betreibt. Diese sind zwar nicht auf die Dauer ausgelegt - alleine in Kärnten stehen derzeit 1100 Betten in großen Hallen leer, in Tirol rund 280 in einem Containerdorf. Selbst ein akuter "Ansturm" von Schutzsuchenden, wie er derzeit aber ohnehin nicht in Sicht ist, dürfte damit allerdings nicht zur Systemüberforderung führen. Dazu kommt, dass die Gesamtzahl der Personen, die sich in Grundversorgung befinden, insgesamt zwar höher ist als im vergangenen Jahr, seit Jahresbeginn aber in etwa gleich geblieben und zuletzt sogar wieder ein wenig gesunken ist. Im ersten Halbjahr haben mehr als 5000 Personen das Land wieder verlassen - davon rund 3200 freiwillig. Und die magische Grenze von 37.500 Anträgen soll nur deswegen im Herbst bereits erreicht werden, weil darin mehr als 8000 Altanträge berücksichtigt sind.

Zuständige Stellen werden personell aufgestockt

Wenn also die Grundversorgung aktuell nicht überfordert ist, welches staatliche System ist es dann? Ganz anders als vor knapp einem Jahr sind auch die Erstaufnahmestellen nicht übervoll - in Traiskirchen sind derzeit 600 Personen untergebracht, in Thalham 80. Dort gibt es also ebenfalls noch Kapazitäten.

Klar ist freilich, dass sich nach einer Zeit der relativen Entspannung die Asylanträge nun wieder in den zuständigen Stellen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) stapeln. Es sei schon einmal gelungen, die Erledigungsdauer von der Antragsstellung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung auf drei Monate zu drücken. Derzeit liege die durchschnittliche Bearbeitungsdauer hingegen wieder bei siebeneinhalb Monaten, heißt es aus dem Innenministerium. Auf der anderen Seite wurde das Personal des BFA bereits verdoppelt - bis Jahresende sollen noch einmal 300 Mitarbeiter auf insgesamt 1500 dazukommen. Genauso wirkt auch die Berufungsinstanz, das Bundesverwaltungsgericht, der Überforderung mit zusätzlichen 40 Richterplanstellen entgegen.

Abgesehen von den direkt mit der Abwicklung der Asylverfahren befassten Systemen gibt es noch einige weitere, die ebenfalls durch die Migrationsbewegungen beeinträchtigt werden könnten. Zum Beispiel das Schulsystem, der Arbeitsmarkt oder das Sozialsystem. Hier fehlen allerdings konkrete Zahlen. So ist zwar klar, dass - bei aller hinlänglich bekannten Diskussion um die Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge - die Ausgaben für die Mindestsicherung steigen werden, wenn die derzeit in der Grundversorgung befindlichen Asylwerber anerkannt und damit anspruchsberechtigt werden. Denn viele treten nicht gleich in den Arbeitsmarkt ein. In welchem Ausmaß diese Kosten steigen werden, ist schon deswegen unklar, weil in vielen Ländern noch nicht einmal bekannt ist, wie hoch der Anteil der Flüchtlinge an den Mindestsicherungsbeziehern ist.

Dass das Schulsystem im abgelaufenen Schuljahr zumindest teilweise mit der großen Zahl an neuen Schülern mit anderen Erstsprachen als Deutsch überfordert war, ist evident. Allerdings wird man erst ab Herbst sehen, wie sich die zusätzlichen Millionen aus dem Integrationstopf, mit denen auch Sozialarbeiter und zusätzliche Sprachförderlehrer finanziert werden, auswirken.

Auch der Arbeitsmarkt wartet nicht gerade auf die Qualifikationen, die viele der Asylsuchenden aus dem Nahen Osten mitbringen. Je nach Studie können von ihnen nur 20 bis 50 Prozent innerhalb von zehn Jahren in den Arbeitsmarkt integriert werden. Doch ist die höchste Arbeitslosigkeit in der Zweiten Republik allein der gestiegenen Zahl an Asylsuchenden geschuldet? Wohl kaum. Und die Frage, die man auch beim Arbeitsmarktservice stellt: Wo ist die magische Grenze, die eine Systemüberforderung anzeigt? Es brauche klare Kriterien, um eine solche Überforderung definieren zu können, heißt es dort.

Innere Sicherheit: Angst vor Terror spielt eine Rolle

Schließlich ist da noch ein weiterer Punkt, der eine Notverordnung begründen könnte: Die Sache mit der inneren Sicherheit. Denn die Angst vor Terroranschlägen steigt auch in Österreich. Im Verfassungsschutzbericht 2015 heißt es dazu, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bekomme "aus den verschiedensten behördlichen, diplomatischen, aber auch privaten Quellen Informationen, dass Personen, die in Österreich Asylanträge stellen, zuvor für diverse Milizen gekämpft haben sollen". Diese Hinweise würden "sehr ernst genommen und jeder einzelne wird überprüft". Aber: "Die gezielte Anwerbung bzw. Radikalisierung von Flüchtlingen durch Islamisten hat sich in Österreich bisher nicht bestätigt."

Frage wird eher politischdenn in der Sache gelöst

Insgesamt gibt es also kaum handfeste Beweise dafür, dass die aktuelle Zahl der Asylwerber in Österreich eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt oder eben eine über ein verkraftbares Maß hinausgehende "Beeinträchtigung der staatlichen Systeme" bedeutet. Letzteres vor allem deswegen, weil im Gesetz - ganz bewusst - eine Definition fehlt, ab wann ein System als beeinträchtigt anzusehen ist. Kern und Mitterlehner haben also mit ihrer Einschätzung, dass die Begründung der Notverordnung "diffizil" wird, vielleicht sogar ein wenig untertrieben. Der Innenminister steht jedenfalls unter Beobachtung, zumal eine unhaltbare Begründung eine mögliche Exit-Strategie für die SPÖ aus dem Obergrenzenrichtwert-Dilemma darstellen könnte.

Dort heißt es, dass man den Entwurf genau prüfen werde. Denn abgesehen von den vielen offenen Fragen wird auch noch das EU-Recht eine Rolle spielen. Am Ende wird eher die Politik denn die Sache entscheiden.