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Auf eigenen Beinen

Von Valentine Auer

Politik

Weiblichen Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund fehlt der Zugang zu Ressourcen und Wissen.


Wien. Entspannende Musik. Zwischendurch leises Vogelgezwitscher. Ein angenehmer Duft erfüllt die Räume. Von der viel befahrenen und lauten Wiedner Hauptstraße kommend, ist die Ruhe beim Eintritt in das Chilli Thai Massage Studio fast irritierend. Anstatt in gestresst wirkende Gesichter zu blicken, wird man von der lächelnden Geschäftsführerin Bunsry Khunpanya begrüßt.

Noch vor einigen Jahren roch es an Khunpanyas Arbeitsplatz nach Benzin, das begleitende Hintergrundgeräusch waren laute Motoren. Die Thailänderin arbeitete als Putzfrau an einer Tankstelle. Obwohl sie gerne dort arbeitete, reichte der Lohn nach der Scheidung von ihrem Mann nicht mehr aus. Heute ist sie mit ihrem eigenen Massage-Salon eine der wenigen weiblichen Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund in Wien.

In den Augen der Politik ist sie eine "gute Migrantin". Sie ist integriert. 2010 wurde "erfolgreiche Integration" im Nationalen Aktionsplan Integration unter anderem mit der "wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit" definiert. Die Grünen forderten in ihrem Anfang Juni 2016 vorgelegten 5-Punkte-Integrationsplan, dass durch eine "Entrümpelung der Gewerbeordnung mehr Menschen ermutigt werden sollen, sich selbstständig zu machen, auch Flüchtlinge".

Laut der Entwicklungssoziologin Petra Dannecker ist wirtschaftlicher Erfolg wichtig, um sich mit dem Umfeld identifizieren zu können. Doch "die Frage ist, wie prioritär dieses Thema gesetzt wird und welcher Logik es folgt". Die Schlussfolgerung wäre, dass nur jene Migrantinnen gut integriert sind, die wirtschaftlich erfolgreich sind und das heißt wiederum, dass alle es schaffen können, Dannecker weiter. Gemeinsam mit Alev Cakir arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zu migrantischen Unternehmerinnen in Wien. Cakir bestätigt Dannecker: "Es scheint ein Automatismus zu sein, dass Selbstständigkeit automatisch zu Integration führe. Aber von welcher Form von Integration sprechen wir dabei?"

Authentisch für die Österreicher

"Integration? Ich weiß nicht mal, was das heißt. Aber ich fühle mich wohl in Wien. Arbeit ist notwendig für den sozialen Status, aber das ist nicht das, was die Menschen tief im Herzen ausmacht." So versucht sich Joana Adesuwa Reiterer an einer Erklärung des Zusammenhanges zwischen Integration und wirtschaftlichem Erfolg. Die gebürtige Nigerianerin besitzt seit 2014 ihr eigenes Unternehmen. 2003 kam sie aus familiären Gründen nach Wien. Ihr damaliger Partner lebte hier. Als die Beziehung endete, baute sie ihr eigenes Leben in Österreich auf. Aus einem von ihr gegründeten Verein, der Opfer von Menschenhandel betreut, entstand 2014 zusätzlich das Modelabel "Joadre". Sofern es die Zeit erlaubt, versucht Adesuwa Reiterer ihr Wissen zur Unternehmensgründung an andere migrantische Frauen weiterzugeben. Einer ihrer Tipps: "Nütze deinen Migrationshintergrund."

Während das für die Modelabel-Besitzerin bedeutet, ihr globales Denken und ihr Wissen um verschiedene Kulturen und Sprachen ökonomisch zu gebrauchen, kann Bunsry Khunpanya aufgrund ihrer Herkunft mit scheinbarer Authentizität bei der Mehrheitsgesellschaft punkten.

Es sind Erfahrungen, die auch Alev Cakir von ihren Interviewpartnerinnen immer wieder zu hören bekommt: "Man nützt die Herkunft, wenn man in einem asiatischen Massage-Salon arbeitet oder spezifisches Essen aus einem Ort anbietet. Die Frauen konstruieren die Herkunft und die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft mit."

Khunpanya hat sie sich die thailändischen Massage-Techniken erst im nach hinein angeeignet. Nachdem der Wunsch, aber auch die Notwendigkeit entstand, ein Massage-Studio zu eröffnen: "In Thailand habe ich als Sekretärin, in Österreich an einer Tankstelle gearbeitet." Als das Geld knapp wurde, konnte sie zusätzlich bei einer Freundin im Massage-Studio aushelfen. Erst danach ist sie nach Bangkok, um eine Ausbildung zur Masseurin zu machen: "In Bangkok habe ich fünf Wochen lang jede freie Minute nichts anderes gemacht, als massieren zu lernen", erinnert sich Khunpanya lachend.

Informieren ohne Bürokratie-Drama

"Österreich braucht mehr Unternehmertum." So heißt es oft vonseiten der Politik und der Wirtschaft, um Österreich als Wirtschaftsstandort und Innovationsland zu stärken. Für Dannecker ist Innovation auch mit Migration verknüpft: "Historisch konnte Innovation immer dann passieren, wenn viel Migration stattgefunden hat." Daher sollten wir uns fragen, wie man mit Migration erfolgreich für alle Akteure umgehen kann, so Dannecker weiter.

Denn Hürden bleiben. Für Migranten ebenso wie für Frauen: "Wenn Menschen nicht hier aufgewachsen sind, fehlen die Netzwerke, der Zugang, die Selbstverständlichkeit Sachen in die Hand zu nehmen", fasst Adesuwa Reiterer Gründe für einen schwierigeren Start ins Unternehmertum zusammen. Auf Frauen trifft das noch stärker zu, ergänzt Dannecker: "Weibliche Unternehmerinnen sind nicht im gleichen Maße vernetzt wie männliche - weder untereinander noch innerhalb migrantischer Communities. Netzwerke sind jedoch wichtig für den Zugang zu Ressourcen oder zu Information." Die Lösung? Die Ressourcen und die Information zu den Migrantinnen bringen, erklärt Dannecker. Bereits bestehende Unterstützungsmaßnahmen und Gründungs-Programme müssten direkt Kontakt zu den Communities aufnehmen. Adesuwa Reiterer sieht die Chance im digitalen Zeitalter und hat bereits konkrete Ideen: "Österreich sollte per YouTube-Kanal Migrantinnen ohne Bürokratie-Drama informieren. Jeder Migrant hat ein Smartphone, um im Kontakt mit der Heimat zu bleiben."

Vor allem mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingsbewegung sei ein dementsprechendes Handeln notwendig, auch als Chance für die österreichische Gesellschaft, ist sich Adesuwa Reiterer sicher: "Für die sogenannte Integration braucht es die Möglichkeit sich zu entwickeln. Schafft man diese Möglichkeit, würde man staunen, wie viel Ideen von diesen Menschen ausgeht. Menschen, die in schwierigeren Umständen noch ein Leben schaffen, haben soviel Kreativität. Das könnte man nutzen, aber im Moment lassen wir all das verpuffen."