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Gutes Kraut, böses Kraut

Von Werner Reisinger

Politik

Die Debatte über Cannabis als Medizin hat in Österreich erst begonnen. Ein Pflanzer zieht nun vor den VfGH.


Wien. Kaum eine Droge, die eine derartig mannigfache Wirksamkeit entfalten kann, ist so stigmatisiert wie Cannabis. Während Länder wie Portugal, Spanien, die Niederlande und auch Großbritannien längt eine liberalere Politik in Sachen Marihuana umgesetzt haben, sind in Österreich Besitz, Konsum und Weitergabe der Substanz nach wie vor strafbar. Obwohl als "weiche Droge" klassifiziert, wird Cannabis noch immer gerne mit anderen illegalen Drogen wie Extasy, Kokain und Heroin in einen Topf geschmissen. Forderungen, die restriktive Gesetzeslage ob der stetig steigenden Zahl an Cannabis-Konsumenten zu liberalisieren, wird von der Politik meist mit dem Argument abgeschmettert, Cannabis sei eine Einstiegsdroge.

Dabei gilt das grüne Kraut als eine der ältesten Heilpflanzen der Menschheitsgeschichte. In Asien wird Hanf seit Jahrtausenden zur Behandlung von Appetitlosigkeit, Krämpfen oder Schmerzen eingesetzt, spätestens seit dem Mittelalter ist Cannabis auch in der klösterlichen Medizin bekannt. Im 20. Jahrhundert wurde die vielfältig wirksame Pflanze von der Pharmaindustrie verdrängt. Erst seit einigen Jahren erlebt Cannabis ein Comeback.

Israel gilt in Sachen Medizinalhanf als Vorreiter. Über 25.000 Patienten dürfen dort legal Cannabis konsumieren. Sie nehmen es in Form von Präparaten, aber auch in natürlicher Form, als Extrakt, in Form von Tees oder Tropfen zu sich oder rauchen die getrockneten Blüten. Auch Deutschland denkt über eine Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken nach. In Österreich hat die Diskussion über Medizinalhanf hingegen gerade erst begonnen.

Monopol der Ages

Verantwortlich dafür, dass Cannabis unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, ist der hauptsächlich für die berauschende Wirkung verantwortliche Stoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol, kurz THC. Darüber hinaus enthält die Cannabispflanze über 85 weitere Substanzen mit unterschiedlicher Wirksamkeit. Von einer vollständigen Erforschung des medizinischen Potenzials der Pflanze ist die Wissenschaft noch weit entfernt. Fest steht: Cannabis hilft gegen Angstzustände bei postraumatischen Belastungsstörungen, verschafft Rheumapatienten Linderung und regt den Appetit von Krebs- oder Aidskranken an. Belegt ist auch die positive Wirkung bei Epilepsie und anderen Nervenerkrankungen.

Patienten mit solchen Krankheitsbildern können in Österreich nach der derzeitigen Gesetzeslage mit einem Suchtgiftrezept das Präparat Dronabinol beziehen. Hergestellt wird es fast ausschließlich in Deutschland, vom Pharma-Konzern Bionorica mit Hauptsitz in Neumarkt in der Oberpfalz. Die für die Herstellung von Dronabinol benötigten Cannabisblüten bezieht der Konzern aus Österreich - und zwar von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Sie hat in Österreich ein gesetzliches Monopol für die Aufzucht von Cannabis zu medizinischen Zwecken, das im Paragraf 6 des Suchtmittelgesetzes geregelt ist. Welchen Preis der deutsche Konzern für das in Österreich produzierte Cannabis bezahlt, möchte die Ages "aufgrund der privatrechtlichen Verträge und der damit verbundenen Verschwiegenheitspflicht" gegenüber der "Wiener Zeitung" nicht sagen, auch nicht, wofür die so eingenommenen Mittel verwendet werden. Bionorica erzielte 2015 einen Jahresumsatz von über 244 Millionen Euro - auf das cannabisbasierte Dronabinol entfielen dabei "keine zwei Prozent", heißt es aus dem Unternehmen.

Alexander Kristen will das Cannabis-Monopol der Ages nicht länger akzeptieren. Er betreibt Flowery Field, Österreichs größten Hanfstecklingsbetrieb, in Brunn am Gebirge bei Wien. Mit 30 Mitarbeitern produziert er 25.000 Cannabisstecklinge pro Woche. Kristen geht es um zweierlei: Er will einerseits den Markt für die Produktion von medizinischem Cannabis öffnen und andererseits die Diskussion über eine Freigabe von natürlichem Cannabis für medizinische Zwecke fördern. Geht es nach ihm, so soll es in Zukunft nicht nur Dronabinol, sondern - wie auch in Israel - natürlichen Hanf auf Rezept geben.

"Die Ages kann frei von Konkurrenz Preis und Menge des angebauten Cannabis bestimmen", sagt Kristen. Mit seinem Anwalt Wolfram Proksch hat Kristen vergangenen März einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebracht. Schon jetzt erlaube das Suchtmittelgesetz der Ages, eine Tochtergesellschaft zum Zweck des Cannabisanbaus zu gründen.

Wirksam, aber teuer

An einer Tochtergesellschaft müsste die Ages laut Suchtmittelgesetz zu 75 Prozent beteiligt sein. Doch der österreichische Hanfmonopolist hat kein Interesse an Kristens gut gehender Firma, die längst ein Labor für die keimfreie In-vitro-Befruchtung der Cannabissetzlinge eingerichtete hat.

Flowery Field als Ages-Tochter, das verlange "klare gewerberechtliche Voraussetzungen", es sei "nicht bekannt, dass Herr Kristen die genannten Voraussetzungen erfüllt", so die Ages in einer der "Wiener Zeitung" vorliegenden Stellungnahme. Zudem bestehe "aufgrund der Auftragslage und der Produktionskapazitäten kein Grund", eine Tochtergesellschaft zu gründen.

An das Cannabis-Medikament Dronabinol zu gelangen, ist in Österreich alles andere als einfach. Die Zahl der Ärzte, die gewillt sind, es zu verschreiben, hält sich in Grenzen. Notwendig ist eine entsprechende Indikation, und es wird erst bewilligt, wenn es entsprechende Gründe gibt, die gegen eine klassische Medikation sprechen. Dazu zählen schwere Nebenwirkungen, Therapieresistenz oder Unverträglichkeiten. Vor allem ist es eine Frage des Geldes, denn Dronabinol ist teuer.

Peter Kolba weiß davon ein Lied zu singen. Er leidet an einer Polyneuropathie, einer Nervenerkrankung mit vielfältigen, noch nicht gänzlich erforschten Ursachen. Dabei werden die Nervenenden, vor allem in den Beinen, geschädigt. Die Betroffenen leiden an Taubheitsgefühl, Kribbeln und Brennen, das in ein starkes Kältgefühl umschlägt, sowie an muskelkaterartigen Schmerzen in Unter- und Oberschenkeln. In vielen Fällen, so auch bei Kolba, gibt es keine Möglichkeit, die Krankheit ursächlich zu behandeln.

Bleibt nur die Schmerztherapie. Von seinem Arzt bekam Kolba ein Antiepileptikum sowie ein Antidepressivum verschrieben - "die Mittel dämpfen als Nebenwirkung neuropathische Schmerzen, konventionelle Schmerzmittel wirken nicht", sagt Kolba.

Die starke Hauptwirkung der Medikation aber wurde für Kolba zusehend zur Belastung: "Ich wollte nicht für den Rest meines Lebens diese starken Medikamente nehmen". Schließlich hörte Kolba davon, dass Cannabis erfolgreich gegen Nervenleiden eingesetzt wird. Er fand auch einen Neurologen, der ihm Dronabinol verschrieb, sein Hausarzt stellt das Suchtmittelrezept aus. Doch das Medikament war für ihn beinah unerschwinglich. "In meiner Dosierung - und das ist keine, mit der ich Rauschzustände erlebe - hätte ich dafür monatlich 800 Euro bezahlen müssen." Mehrmals suchte er bei seiner Krankenkasse um Kostenübernahmen an - ohne Erfolg. Schließlich gelang es Kolba doch, die Kasse zum Zahlen zu bewegen - wie genau, das möchte der Schmerzpatient öffentlich nicht sagen.

Die Kosten des Medikaments begründet der Hersteller Bionorica mit dem hohen Aufwand in der Herstellung und den ebenso hohen Qualitätsstandards. Im Vergleich zu konventionellen Therapien würden sich die Kosten für Dronabinol jedoch "in Grenzen halten": 150 bis 500 Euro würde das Medikament kosten, behauptet das Unternehmen. Die Hälfte der österreichischen Krankenkassen würden die Kosten für Dronabinol übernehmen. Vor allem in Ostösterreich aber seien die Kassen "leider noch sehr restriktiv".

Unterschätztes Potenzial

Eine halbe Millionen Schmerzpatienten gibt es laut der Österreichischen Schmerzgesellschaft in Österreich. Neben der schlechten Informationslage zum Potenzial von Cannabis macht Peter Kolba auch die Stigmatisierung der Pflanze als gefährliches Suchtmittel verantwortlich. "Sie bekommen kein Cannabis, davon werden Sie süchtig" - derartige Sätze, sagt Kolba, würden viele Patienten nach wie vor von ihren Ärzten zu hören bekommen. Das Potenzial der Pflanze als nebenwirkungsarme Therapieform würde grob unterschätzt.

Notwendig sei vor allem eine differenzierte politische Debatte. "Eine Jugendorganisation fordert die Legalisierung von Marihuana, die Parteispitze kann sich dann medial abwatschen lassen, die Debatte über Medizinalhanf geht dabei unter", beklagt Kolba.

Dass die allgemeine Debatte über Cannabis als Droge die Diskussion über medizinisches Cannabis negativ beeinflusse, glaubt Alexander Kristen von Flowery Fields nicht. Er hofft, dass mit einem Generationswechsel in der Politik auch ein neuer Zugang zu Medizinalhanf möglich wird.

Im Mai beantragte Interims-Bundeskanzler Reinhold Mitterlehner beim VfGH, das Ages-Monopol nicht aufzuheben. Sollte dies dennoch passieren, mögen die Verfassungsrichter aber eine Frist von einem Jahr bestimmen. "Die Frist von einem Jahr scheint erforderlich, weil das System der Zulassung zum Cannabisanbau grundsätzlich überdacht und völlig neu geregelt werden müsste", heißt es im Antrag des Bundeskanzleramts. Für Kristens Anwalt Wolfarm Proksch ein Zeichen, dass die Regierung sich nicht ganz sicher ist, ob die angefochtenen Bestimmungen zu halten sind. Er hofft auf eine Behandlung des VfGH im Frühjahr 2017.