Zum Hauptinhalt springen

Mahmoud wartet sich krank

Von Eva Zelechowski

Politik

Trotz positiven Asylbescheids wird der Familiennachzug mit bürokratischen und asylpolitischen Mitteln hinausgezögert.


Mahmoud hat Sehnsucht nach seiner Familie.
© Günter Hämmerle

Lustenau/Athen/Aleppo. Mahmoud K. (vollständiger Name der Redaktion bekannt) könnte eigentlich ein glücklicher Mann sein. Der 39-jährige Syrer kam im Juni 2015 nach Österreich, stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, dem nach kurzer Zeit stattgegeben wurde. Er konnte "glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht", befand das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Vorarlberg. Der Bescheid liegt der "Wiener Zeitung" vor.

Ein Rückblick: Gemeinsam mit seiner Ehefrau Khairiye und sieben Kindern floh Mahmoud Anfang 2015 über die türkische Grenze. Während sich der Familienvater alleine über das Mittelmeer nach Griechenland wagte, um in Europa Asyl zu beantragen, blieb seine Familie im Flüchtlingslager der Stadt Diyarbakir. Ein halbes Jahr später landete er in Vorarlberg. Im beschaulichen Lustenau erfüllte sich für den Syrer der Wunsch nach einem positiven Asylstatus, doch er hat seine Familie nicht bei sich, sie steckt in Griechenland fest. In einem starren Asylsystem. Mahmoud leidet darunter. Er ist depressiv und klagt über massive Magenschmerzen.

In Athen war die Familie nach einem Jahr der Trennung wieder vereint, zumindest für kurze Zeit.
© Günter Hämmerle

Heute lebt der Syrer in Lustenau und arbeitet hin und wieder ehrenamtlich im Verein "W*ORT", wo er seine Fähigkeiten als Näher einbringt. "Wir sehen das als eine Art Antidepressivum", sagt die grüne Gemeinderätin Christine Bösch-Vetter, die detaillierte Informationen über den Fall hat und sie an die "Wiener Zeitung" weiterleitete. Khairiye harrt mit den gemeinsamen Kindern in einer leerstehenden Athener Schule aus, die zu einem Flüchtlingsheim umfunktioniert worden ist. Der Raum sei knapp bemessen, Privatsphäre praktisch nicht vorhanden, 400 bis 600 Geflüchtete leben in dem Gebäude, erzählt Günther Hämmerle, der sich im privat organisierten Lustenauer Flüchtlingsnetzwerk "do sin" engagiert. An sanitären Einrichtungen stünden den Bewohnern zwei WC-Anlagen und ein Duschraum zur Verfügung.

Im Juli flog Hämmerle schließlich mit dem niedergeschlagenen Mann nach Athen, damit die Familie zumindest ein paar Tage vereint sein konnte. Zu groß waren Sehnsucht und Trennungsschmerz. Hämmerle wusste, dass nur das Lachen und die Umarmung seiner Kinder den Mann aus seiner Verzweiflung reißen und ihm neue Kraft geben konnte, die Wartezeit zu ertragen.

In einer leeren Schule in Athen lebt die syrische Familie mit Hunderten Flüchtlingen, die von Freiwilligen betreut werden. Der griechische Staat ist überfordert.
© Günter Hämmerle

Acht Personen auf 12 Quadratmetern

Der Lustenauer legt Fotos vom etwa 12 Quadratmeter großen Raum vor, in dem Khairiye mit ihren sieben Kinder und zwei weiteren Familien (jeweils eine Mutter und ihr Kind) lebt. Um sich ein Stück Privatsphäre zu wahren, haben die Familien ihre "Wohnbereiche" mit Decken und Metallschränken abgetrennt. Etwa sieben Quadratmeter klein sei der Bereich der syrischen Familie. Hier leben, schlafen, essen acht Personen. Anstelle von Betten gebe es im ganzen Gebäude vereinzelt Matratzen, denn die Massenunterkunft werde nicht vom Staat oder griechischen NGOs versorgt, sondern von Privatpersonen "illegal besetzt", erzählt der Lustenauer. Wo der Staat versagt, springen freiwillige Helfer ein. Sie begleiten die Geflüchteten zu Behörden, kümmern sich um Verpflegung und organisieren provisorischen Unterricht für die Kinder. Der jüngste Spross kam im Jänner 2015 zur Welt, die Situation ist beschwerlich, ohne Herd, Kühlschrank oder Heizung versucht die Mutter seit März dieses Jahres so etwas wie Alltag für ihre Kinder zu leben.

Schließung der Balkanroute als Falle

Kinder schlafen auf Decken am Boden.
© Günter Hämmerle

Auch in Diyarbakir im Südosten der Türkei war das Leben beschwerlich. Die Stadt ist zerstört, die Bevölkerung leidet unter den Folgen der Gefechte zwischen der türkischem Militär und PKK. Als Anfang März 2016 die Lage eskalierte, stieg Khairiye mit ihren Kindern in ein Boot nach Griechenland. Fast zeitgleich wurde die Balkanroute geschlossen und damit die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit Ehemann und Vater begraben. Die Familie wurde zunächst in einem Camp in der Stadt Drama untergebracht. Da sie in der österreichischen Botschaft Visa für den Familiennachzug nach Österreich beantragen wollte, übersiedelte die Familie in die griechische Hauptstadt. Alle Dokumente der sogenannten "Kernfamilie" von Mahmoud sind vorhanden, die Kinder sind unter 16 Jahre alt und erfüllen somit die Kriterien für den Familiennachzug. In der Theorie alles ganz simpel.

Wenn sich eine Bezugsperson mit Schutzstatus bereits in Österreich befindet, können Angehörige aus der Kernfamilie einen Antrag auf Einreise und Visum stellen. Auf Grundlage des Antrags wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit dem Fall befasst und mit einer Prognoseentscheidung beauftragt. "Fällt diese Prognose positiv aus, wenn also die Behörden entscheiden, dass die nachziehende Familie zu hoher Wahrscheinlichkeit denselben Asylstatus bekommt wie ihre Bezugsperson, dürfen sie legal nach Österreich einreisen. Der Asylantrag der Familie wird dann sehr rasch bearbeitet, sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Bundesministerium für Inneres im Gespräch zur "Wiener Zeitung", da man davon ausgehe, dass der gleiche Schutzstatus für Kinder und Partnerin gelte wie für den Vater.

"In der EU ist es eigentlich einfacher"

Doch so simpel ist es für die Familie aus einem Grund nicht. "Die Familienzusammenführung ist nicht anzuwenden, wenn sich die Familie bereits in einem EU-Land befindet, in dem die Dublin III Verordnung gilt", so Grundböck. Die siebenfache Mutter muss in einer Asylbehörde einen Asylantrag stellen. Innerhalb der EU sei es eigentlich einfacher, sagt der BMI-Sprecher. Man spare sich den Visumsantrag bei der Botschaft, der erst an das BFA kommuniziert werden müsse, sondern könne den Asylantrag direkt bei den griechischen Behörden stellen.

Das widerspricht der Wahrnehmung Günter Hämmerles, der innerhalb des Netzwerks "do sin" mehrere syrische Familien betreut. Jene, die in der Türkei geblieben seien, seien inzwischen längst in Lustenau. Obwohl es auch dort immer wieder Schwierigkeiten gibt, etwa wenn Behörden Ehen nicht anerkennen, die Vaterschaft anzweifeln oder den Vorwurf erheben, Pässe oder Dokumente seien gefälscht. Der Schwarzmarkt für gefälschte Pässen in der Türkei boomt. Doch Mahmoud wollte alles korrekt machen. Dafür zahlt er jetzt einen hohen Preis.

Besser in falsche Pässe investiert

"Wenn er die 4.000 Euro anstatt für seine Überfahrt nach Europa in gefälschte Pässe für seine Familie investiert hätte, wären Frau und Kinder jetzt hier", sagt der Flüchtlingshelfer verärgert. Aufgebracht ist er vor allem, weil der Staat in seinen Augen böswillig agiert: "Es ist nur eine Frage des Willens", sagt der Lustenauer. Er habe viele Pässe gesehen, bei denen es sich offensichtlich um Fälschungen handelte. Das hänge für ihn auch mit den Umständen in ihrem Heimatland zusammen. Im Gegensatz zu Österreich würden Menschen in Syrien nicht sofort ins Magistrat laufen, wenn ein Kind auf die Welt käme. Besonders nicht im Krieg.

Einreise mit bürokratischen Mitteln hinauszögern

Während Griechenland ein großes Interesse daran habe, Flüchtlinge auf legalem Wege in andere EU-Staaten zu bringen, seien österreichische Behörden bei der Aufnahme eher restriktiv, sagt der auf Asylrecht spezialisierte Rechtsanwalt Georg Bürstmayr. Nicht zuletzt, weil Österreich im vergangenen Jahr 90.000 Menschen aufgenommen hat. Den Familiennachzug könne man "mit einigen bürokratischen Mitteln kräftig hinauszögern". Aktuell bearbeite der Jurist einen Fall, in dem eine Ehe aufgrund von Zweifel an Papieren nicht anerkannt würde. "Ich fürchte dass wir solche Familiendramen in Zukunft öfter erleben werden, weil offensichtlich eine recht restriktive Linie gefahren wird", so Bürstmayr.

Rein gefühlsmäßig, ohne offizielle Zahlen parat zu haben, könne er sagen dass in der Vergangenheit solche Fälle sehr selten vorkamen. Jetzt häuften sich Vertretung und Beratung in dem Bereich, was für den Anwalt auf jeden Fall ein "Hinweis auf ein strukturelles Problem" sei.

Karte der Fluchtstationen der Familie (auf Punkte klicken für mehr Informationen):

Grün: Fluchtroute von Vater Mahmoud
Lila: Fluchtroute von Mutter Khairiye und den Kindern

Privatsphäre gibt es kaum. In diesem abgetrennten Raumbereich leben Mahmouds Kinder und ihre Mutter Khairiye.
© Günter Hämmerle

Mehrere Faktoren seien dafür verantwortlich, dass Familienzusammenführungen schleppend funktionieren. Ein Systemversagen ist es allerdings nur peripher. Von Versagen kann nämlich keine Rede sein, wenn ein Zustand bewusst herbeigeführt wird. So erscheint es zumindest, wenn man Georg Bürstmayr zuhört. Dass griechische Behörden stark gefordert, wenn nicht überfordert seien, sei indirekt auch eine Folge der Schließung der Balkanroute, weil Griechenland im Vergleich zum Jahr 2015 heuer sehr viele Flüchtlinge aufnehmen musste und dies letztlich auch dauerhaft.

"Das tut Griechenland in bald ähnlichen Dimensionen wie Österreich – mit völlig unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen", sag der Asylrechtsexperte. Vor dem Hintergrund, dass es im griechischen Asylsystem sehr viel Luft nach oben gebe, scheitern oder haken Familienzusammenführungsverfahren an banalen Mängeln wie Personalknappheit. Ein passendes Beispiel aus der Praxis nennt Günter Hämmerle: Eine E-Mail an eine Athener Asylbehörde wurde von den Mitarbeitern nach erst zwei Wochen beantwortet, sodass er während seines Besuchs vor Ort keinen Termin vereinbaren konnte.

Für Flüchtlingshelfer wie Günter Hämmerle, die ihren Ärger über das Vorgehen Österreichs, Familien bewusst nicht zusammenbringen zu wollen, sind all dies schlechte Nachrichten. Denn angesichts des erklärten Ziels der Bundesregierung, die Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen möglichst klein zu halten, wäre es eine falsche Hoffnung, dass österreichische Botschaften hier besonders liberal agierten. Eher sei damit zu rechnen, dass Behörden alle Dokumente und Angaben doppelt und dreifach prüften, bevor man ein einziges Mal ein Auge zudrücke. Beides ergebe eine Situation, der Betroffene ziemlich ratlos gegenüber stehen.

Verwaltungssubkulturen erschweren Rechtsberatung

Hinzu komme eine weitere Beobachtung, die Bürstmayr in den vergangenen Jahren gemacht habe: Die Herausbildung sogenannter Verwaltungssubkulturen in Botschaften. "Wenn Botschaften involviert sind, ist unterstützende Arbeit aus Österreich doppelt schwer, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter österreichischer Botschaften fast traditionell eigene Entscheidungskulturen und -dynamiken entwickelt haben." Österreich und seine rechtlichen Vorschriften seien weit weg.

Man sei dann relativ machtlos, weil alles anders ablaufe als bei Behörden im Inland, wo es einen raschen und unmittelbaren Instanzenzug gebe, das Korrektiv der Beschwerde sehr nahe sei und die Herausbildung dieser Verwaltungssubkulturen verhindere. Unterm Strich ergeben diese Faktoren keine günstigen Voraussetzungen für rasche Familienzusammenführungen. Im Moment zählt Österreich eine hohe Zahl an Kandidaten für Familiennachzug. Im Jahr 2015 haben nach Auskunft des Innenministeriums 3.503 Familienangehörige von asyl- und subsidiär Schutzberechtigten in Österreich nach erfolgter Gewährung der Einreise in einem Verfahren gemäß § 35 AsylG einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Georg Bürstmayr erwartet, dass sich die Fälle häufen werden: "Alles andere als eine Vervierfachung wäre eine Überraschung, weil sich die Asylwerberzahlen vervierfacht haben."

Im ersten Halbjahr gab es in Österreich 911 Dublin-Out-Fälle, also Asylverfahren, die aus Österreich in ein anderes EU-Land verlegt wurden, da die Zuständigkeit des Verfahrens dorthin fiel. Wesentlich weniger Schutzsuchende, nämlich 328, seien unter dem Dublin Übereinkommen aus anderen Mitgliedsstaaten nach Österreich gekommen, also Dublin-In.

Verschärfung des Familiennachzugs:

Der österreichische Nationalrat beschloss am 17. April 2016 eine Verschärfung im Asylrecht: Mit dem umstrittenen Konzept "Asyl auf Zeit" sollen anerkannte Flüchtlinge nach drei Jahren in ihr Heimatland zurückgeschickt werden, sofern sich Lage und Rahmenbedingungen dort gebessert haben. Komtm es zur Umsetzung der "Notverordnung", können des Weiteren Asylanträge direkt an der österreichischen Grenze abgewiesen werdne.


Der Familiennachzug wird durch die geplanten Verschärfungen im Asylgesetz vordergründig subsidiär Schutzberechtigte treffen. Konkret dürften diese ihre Famlienangehörigen erst nach drei Jahren nach Österreich nachholen. Bisher war die Wartezeit mit einem Jahr bemessen. Subsidiär Schutzberechtigte und sogenannte Konventionsflüchtlinge sind außerdem verpflichtet, einige Faktoren zu erfüllen: Eine eigene Unterkunft sowie ein ausreichendes Monatseinkommen. Da ist der Vorschlag, mit dem Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz am Donnerstag vorpreschte, nämlich verpflichtende 1-Euro-Jobs für anerkannte Flüchtlinge einzuführen, nicht besonders hilfreich.

Rechtliche Informationen zu Familienzusammenführungen

"do sin" Netzwerk für Flüchtlinge in Lustenau (Facebook)

Factsheet Dublin III Verfahren (PDF)

Link zur Karte mit Fluchtrouten

Rechtliche Informationen zu Familienzusammenführungen

"do sin" Netzwerk für Flüchtlinge in Lustenau (Facebook)

Factsheet Dublin III Verfahren (PDF)

Link zur Karte mit Fluchtrouten