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Aller Anfang ist schwer

Von Simon Rosner

Politik

Rio 2016 hat die Turnstunden-Debatte wieder entfacht - einiges ist schon umgesetzt.


Wien. Wäre Rauchen olympisch, hätte Österreich vermutlich Gold aus Rio mitgebracht. In keinem Land der Welt rauchen Jugendliche so häufig wie in Österreich, nämlich rund ein Drittel aller 15-Jährigen. Und auch bei Erwachsenen hält sich Österreich seit Jahren in den Medaillenrängen. Im Turnen und Schwimmen, im Laufen und Springen: eher nicht so.

Die medaillenlosen Spiele in London vor vier Jahren haben die Reformbedürftigkeit des Sports und seiner gesellschaftlichen Stellung in die politische Debatte geholt - zugegeben: nicht allzu lange - und einige, wenn auch oberflächliche Maßnahmen zur Folge gehabt. Die Förderstruktur wurde etwas modifiziert und Peter Schröcksnadel zum Chefkoordinator der Olympia-Projekte bestellt.

Es gab aber auch andere Veränderungen, bedeutsamere, wenngleich diese für Rio gar keine Relevanz gehabt haben. Und bei ihnen geht es auch weniger um Medaillengewinne als um gesundheitspolitische Aspekte. Im Idealfall könnten sie aber dafür sorgen, dass künftig mehr Kinder und Jugendliche sportlich aktiv sind. Derzeit sind dies nur 28 Prozent. Die Breite, aus der wiederum die (olympische) Spitze hervorgeht, ist in Österreich recht klein.

Dass dringend Maßnahmen angezeigt sind, sagt auch weniger die Olympiabilanz aus, die quasi nur ein Symptom ist, als vielmehr Studien, wonach 30 bis 40 Prozent der Kinder übergewichtig sind. Und noch mehr Kinder haben motorische Defizite, wie Otmar Weiß, der stellvertretende Leiter des Zentrums für Sportwissenschaft in Wien, berichtet. Bei Tests unter Schulanfängern konnten erschreckende 70 Prozent der Kinder beim ersten Versuch keinen Purzelbaum.

Um dem entgegenzuwirken, hat der Nationalrat im Vorjahr die tägliche Turnstunde beschlossen - eine Uraltforderung aus den Reihen des Sports. Die Politik hat die Verpflichtung zwar durch einige Abers ergänzt, so gilt diese nur für Ganztagsschulen und in der Umsetzung haben die Schulen Gestaltungsmöglichkeiten, doch ist es zu einem politischen Ziel geworden, die Bewegung der Kinder zu fördern. Das drückt sich auch darin aus, dass gleichzeitig mit der täglichen Turnstunde Sport und Bewegung erstmals als Bildungsziel ins Schulorganisationsgesetz geschrieben wurde. Doch ist das wohl nur ein Anfang.

"Im Bildungssystem ist der Sport nicht integriert, er kommt überhaupt nicht vor", sagt Peter Kleinmann, Mitglied des Österreichischen Olympischen Comités und Präsident des Volleyballverbandes. "Wir haben das Dogma: Lernen oder Sport. Die Lehrer sagen: ,Willst du was werden im Leben oder Sport machen?‘ Das ist das größte Hindernis. In anderen Ländern sind Schulen und Unis stolz, wenn aus ihren Reihen Sportler hervorgehen. Bei uns interessiert das niemanden."

Sport oder Bildung?

Warum das so ist, hat Sportsoziologe Weiß in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" bereits nach den Spielen 2012 so beschrieben: "Das geht zurück auf den Klassenkampf zwischen Adel und Bürgertum, denn Sport war ein Privileg des Adels. Das Bürgertum hat den Idealen des Adels die Bildung entgegengesetzt, Stichwort Bildungsbürgertum. In dem Klassenkampf ist das Bürgertum als Sieger hervorgegangen und hat dann all das, was mit dem Adel verbunden war, abgelehnt. Und das war, unter anderem, der Sport. Von daher rührt die Sportfeindlichkeit des Bildungsbürgertums - in der Administration, der Politik und besonders an den Universitäten. Die Schulen und Universitäten wollten den Sport nicht, anders als in den USA und England."

Wesentliches hat sich seither nicht verändert. Weiß ergänzt heute: "Eigentlich hat der Sport im Bewusstsein der Lehrer und Direktoren eine untergeordnete Rolle. Das hat sich schon 2002 bestätigt, als Ministerin Gehrer (Elisabeth, Anm.) unter anderem den Sport in die Autonomie der jeweiligen Schule gestellt hat. Es hat sich herausgestellt: Wenn etwas gestrichen wurde, dann war das fast immer der Sport. Es war eine verheerende Entwicklung."

Trotz Kürzungen der Turnstunden liegt Österreich im europäischen Vergleich im vorderen Drittel bei der Anzahl der Sportstunden in der Schule. "In Berufsschulen, und das betrifft die Hälfte der Schüler, gibt es aber gar keinen Sport", sagt Weiß. In der Volksschule wird Turnen zudem meistens von nicht ausgebildetem Personal unterrichtet, im Kindergarten, wenn die motorischen Grundlagen festgelegt werden, war Sport in der Ausbildung bis vor kurzem gar nicht vorgesehen.

Es ist daher nicht nur die Frage relevant, wie viel Turnen in den Bildungseinrichtungen angeboten wird, sondern in welcher Qualität. "Der Lehrplan ist völlig überfrachtet, was da alles drin steht, ist nie machbar", sagt Weiß. Die mangelnde Bedeutung des Sports in der österreichischen Gesellschaft offenbart sich auch beim Turnunterricht, bei dessen Wertschätzung und jener der Turnlehrer und ihrer Arbeit - übrigens auch innerhalb des Kollegiums.

Pilotprojekt im Burgenland

In einem Pilotprojekt wird ab Herbst im gesamten Burgenland für alle Landesschulen die tägliche Turnstunde umgesetzt, wenn auch auf freiwilliger Basis, sie ist aber nicht auf Ganztagsschulen beschränkt. Kleinmann erwartet sich davon viel, zumal sich sofort 200 Schulen gemeldet haben: "Wenn das funktioniert, werden andere Bundesländer nachziehen", sagt Kleinmann.

Zur Unterstützung werden sogenannte Bewegungscoaches herangezogen, das sind geprüfte Trainer, die eine pädagogische Zusatzausbildung absolviert haben. Diese wird erst seit März angeboten und stellt eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung der täglichen Turnstunde dar. Da in diesem Kurs Schulrecht gelehrt wird, ist auch das leidige Thema der Haftungen bei schulfremden Personal (Trainern) erledigt, auch wenn das stets eher Vorwand denn wirkliches Hindernis war.

Es ist also durchaus schon etwas weitergegangen. Der Erfolg dieser Maßnahmen steht und fällt aber damit, ob es gelingt den Stellenwert des Sports in der Gesellschaft zu verändern. Wie so vieles beginnt auch das in der Schule.