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"Politiker hassen klare Ziele"

Von Simon Rosner

Politik
Hammerschmid kritisiert den Vertrauensverlust der Politik gegenüber der Verwaltung.
© Andrei Pungovschi

Was hat die Verwaltungsreform gebracht? Verwaltungsforscher Gerhard Hammerschmid im Interview.


Alpbach. Die Beziehung zwischen Bürger und Staat war schon einmal besser. Viel ist von Politikverdrossenheit zu lesen, und sie wird in krisenhaften Zeiten kaum geringer, wenn die Politik keine schnellen Lösungen parat hat. Auch die Verwaltung ist von dieser Entwicklung betroffen, an sie werden heute gänzlich andere Ansprüche formuliert. Unter anderem um dieser Entwicklung zu begegnen und dem Vertrauensverlust entgegenzuwirken, hat Österreich vor einigen Jahren eine ganz wesentliche Reform vorgenommen und in der Verwaltung die Wirkungsorientierung eingeführt. Nicht mehr das Management von Ressourcen steht im Vordergrund, sondern das Erreichen von festgelegten Zielen.

Wiener Zeitung: Was versteht man unter Wirkungsorientierung in der Verwaltung und warum gibt es sie überhaupt?

Gerhard Hammerschmid: Die erste Frage ist: Was will man bewirken? Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Die klassische Verwaltung startet mit: Welche Regeln haben wir, welches Budget, und was haben wir immer schon gemacht? Dieses eigentliche Ziel in den Vordergrund zu rücken, ist ein extremer, aber notwendiger Kulturwandel.

Ist die Ausrichtung auf Wirkungen in der Verwaltung eine budgetäre Notwendigkeit?

Es hat einerseits eine Effizienzursache, denn ich muss in Zeiten knapper Mittel genau überlegen, wo ich sie bestmöglich einsetze. Der größere Druck kommt aber von der Legitimation. Die Verwaltung muss sich zunehmend darüber rechtfertigen, was sie bewirkt, denn es wird ja Steuergeld ausgegeben. Und das haben weltweit fast alle Verwaltungen erkannt. Es geht nicht nur um Effizienz, also die geringsten Kosten, sondern um Effektivität, gerade wenn ich Innovationen anregen will. Nicht: was kostet ein Bescheid? Sondern: wozu mache ich Bescheide und wie kann meine Ziele bestmöglich erreichen. Man kann Innovationen gerade auch fördern, wenn man über das Wozu nachdenkt.

Wirkung muss man messen können. Ist das immer möglich?

Das ist sicherlich die große Herausforderung. In manchen Bereichen geht es relativ gut, etwa im Bildungssystem, denn da gibt es standardisierte Tests. In anderen Bereichen ist es schwieriger, aber wenn ich keine Evidenz habe, kann ich auch die Bürger fragen, wie zufrieden sie mit gewissen Leistungen sind. Das nützen wir in Österreich viel zu wenig, wir haben keine Tradition evidenzbasierter Politik und kritischer Evaluation von Maßnahmen. Wir haben Gesetze und Regeln, und an die halten wir uns. Und wenn wir ein Problem haben, geben wir dort mehr Geld hin und hoffen, dass es besser wird. Und die Verwaltungswissenschaft zeigt, dass das nicht so einfach funktioniert.

Aktuelles Thema ist die Sportförderung, nachdem die Olympischen Spiele nicht erfolgreich waren. Im Sport lassen sich Ergebnisse grundsätzlich gut messen, allerdings spielt der Zufall eine große Rolle. Besteht nicht die Gefahr, dass wir uns den Zahlen ausliefern?

Sehr. Es ist auch oft ein naiver Glaube, dass sobald ich ein Ziel quantifiziere, es auch umgesetzt wird. In Deutschland hatte man etwa im Rahmen von Leistungsverträgen Medaillenziele vereinbart. Man erhielt Geld für Medaillen, und das ist ein etwas naives Verständnis. Messungen sind nicht der Heilige Gral. Die Forschung ist voll von Beispielen über unintendierte negative Auswirkungen der Leistungsmessung. Entscheidend ist dass man dann kritisch und evidenzbasiert überlegt, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, das Ziel zu erreichen. Wenn man sich etwas vornimmt, sollte man dann schon wissen, ob man auf einem guten Weg.

Ein konkretes Beispiel aus Österreich: Es gibt das Wirkungsziel, eine Verbesserung der Arbeit und Erwerbstätigkeit älterer Menschen zu erreichen. Erwerbsquote und Arbeitslosenquote sind gut messbar. Es gibt aber viele Faktoren, etwa da wirken, etwa die Konjunktur. Wäre es überhaupt seriös, eine positive Wirkung nur auf die politischen Maßnahmen zurückzuführen?

Das ist der Kern der Debatte. Wir nennen das die Kausalitätsfrage. Woran liegt es, wenn es sich verbessert? An den Maßnahmen oder haben wir Glück gehabt? Sagt der Indikator, dass wir besser geworden sind oder messen wir es nur anders? Es gibt viele Möglichkeiten, wie man etwas misst, um ein Ergebnis besser aussehen zu lassen. Diese Aspekte muss man berücksichtigen.

Wenn ein Ziel nicht erreicht wird, ist jedenfalls die Politik schuld. Welchen Einfluss hat die Wirkungsorientierung auf die Politik?

In Deutschland ist der damalige Kanzler Gerhard Schröder in einen Wahlkampf mit einer bestimmten Arbeitslosenquote gegangen. Er hat sie nicht erreicht, und das hätte ihm fast die Wiederwahl gekostet. Politiker hassen eigentlich klare Ziele. Ich würde den Nutzen daher primär für die verbesserte Steuerung der Verwaltung sehen. Ich würde auch nicht sagen, dass Politiker über diese Ziele steuern sollen, sondern die Verwaltung damit einen Rahmen für Prioritäten und konkrete Verbesserungen hat. Es geht auch um die Emanzipation der Verwaltung gegenüber der Politik.

Aber die Ziele muss ja die Politik definieren.

Defacto macht das vielfach die Verwaltung. Die Politik sagt zwar: wir wollen hier eine Verbesserung, aber die Verwaltung sollte dann beurteilen, was ein machbares Ziel ist, mit welchen Maßnahmen es erreicht und wie es gemessen werden kann.

Führt es dazu, dass nur einfach zu erreichende Ziele gesetzt werden?

Wir sehen das auf jeden Fall in der Praxis. In der Forschung wird dieses Phänomen als "Gaming" und "Cheating" bezeichnet. Ich kann etwa ein Ziel setzen, das so wenig ambitioniert ist, dass ich es ohne größere Anstrengung erreichen werde. Oder ich finde einen Indikator, der so unwichtig oder schwer zu verstehen ist, dass er für die politische Debatte nicht kritisch wird.

Hemmt das Innovationen, wenn sich die Politik nichts mehr traut?

Auf jeden Fall. Aber im politischen System geht es ja auch darum, die Mittel für das, was für die Gesellschaft wichtig ist, verantwortungsvoll einzusetzen. Und die Ausrichtung darauf kann auch Innovation befördern. In Bereichen, in denen ich aber besonders innovativ sein muss, sind Ziele und deren Messung aber manchmal sogar hinderlich. Dafür muss man bewusst Freiräume schaffen.

Politik müsste aber innovativ sein.

Sollte sie, es sollte dann aber auch konsequent umgesetzt werden. Im Moment hat man den Eindruck, dass Politiker innovativ sein wollen, sich das aber oft auf Ankündigungen beschränkt. Man verkauft sich durch neue Ideen und dem Bekenntnis zu Innovationen. Innovation muss aber auch umgesetzt werden. Da kann die Wirkungsorientierung eine Rolle spielen und den Rahmen geben. Damit Innovationen und Veränderungen nachhaltig sind, muss ich versuchen, sie mit einem Ziel zu konkretisieren und dann auch die Umsetzung kritisch zu messen. Und da haben wir in Österreich ein Problem.

Weil Politik und Verwaltung nicht mehr gut zusammenarbeiten?

Ja, absolut. Wir haben eine bedenkliche Entwicklung zunehmend starker Kabinette, die sich auch immer mehr von der Verwaltung abkoppeln und ihr nicht mehr vertrauen. Die Größe der politischen Kabinette ist im letzten Jahrzehnt stark angestiegen. Aber wer soll die Innovation umsetzen? Das muss die Verwaltung sein. Und wer kann beurteilen, was realistische Innovationen sind? Die Verwaltung! Wenn es da aber keine Kommunikation gibt, und das sehe ich, dann versanden die Innovationen.

Die Verwaltung, in Person von Beamten und öffentlich Bediensteten, sind mittlerweile fast gänzlich aus der politischen Debatte verschwunden. Warum?

Weil sie kaum noch dürfen. Das ist auch eine Frage der politischen Kultur. Lässt es die Politik zu, dass Meinungsäußerungen aus der Verwaltung in die Öffentlichkeit kommen, oder ist die politische Kommunikation exklusiv bei den Kabinetten? Die Verwaltung selbst kann sich nicht mehr nach außen darstellen. Der "Staat" ist in der Wahrnehmung heute fast nur mehr die Politik.

Hinter dieser Verwaltungsreform steckt ja auch die Idee, das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat zu stärken, genauso beim Schlagwort der Partizipation. Es gibt da allerdings eine Ambivalenz in der Gesellschaft: Einerseits der Wunsch nach Teilhabe, andererseits nach einer starken Hand. Zeigt sich auch darin eine gesellschaftliche Spaltung?

Bei diesen kollaborativen Ansätzen, ist es wichtig sicherzustellen, dass nicht nur eine kleine Elite bzw. die, die partizipieren wollen, mitmachen, sondern alle Gesellschaftsschichten. Sonst hat man eine Elitenpartizipation. Ein anderes Problem vor allem bei Infrastrukturprojekten sind Partialinteressen bei Partizipation, dieses "Not in my Neighbourhood". Es schalten sich nur die ein, die dagegen sind, weil sie betroffen sind, alle anderen interessiert es nicht.

Aber wie kann man jene einbinden, die sich quasi selbst rausgenommen haben?

Indem man ihnen aufzeigt, dass sie doch eine Gestaltungsmöglichkeit haben, dass man Ihre Interessen und Lebenslagen ernst nimmt. Partizipation und Kollaboration muss auf der kommunalen Ebene starten, auf der Bundesebene beziehungsweise bei Bundesgesetzen ist Partizipation oft viel zu abgehoben von der Lebenswelt der Bürger. Ich bin auch skeptisch, wenn die Verwaltung durch veröffentlichte Berichte Vertrauen zurückgewinnen will. Die Forschung zeigt, dass solche Berichte vom Bürger ohnehin nicht gelesen werden. Vertrauen muss ich dort aufbauen, wo die Lebensnähe da ist. Deshalb bin ich ein absoluter Befürworter davon, die kommunale Ebene zu stärken.

Die Transparenz war aber eine Hoffnung bei der Rückgewinnung von Vertrauen.

Es ist aber naives Verständnis, dass es den Bürger interessiert, nur wenn ich etwas öffentlich mache. Den Bürger interessiert es, wenn es in seiner räumlichen Nähe ist. Eine wichtige Rolle spielen aber Medien und Zivilgesellschaft relevant, die über stärkere Transparenz Druck aufbauen und intervenieren können. Denen nützen solche Informationen deutlich stärker.

Kann man eine verstärkte Einbindung der Menschen auch so interpretieren: Die Politik gibt Verantwortung ab, in dem sie Entscheidungen wieder zurückdelegiert an die Wähler?

Ich bin insgesamt auch kritisch gegenüber dieser pauschalen Forderung nach mehr Partizipation und Öffnung. In manchen Bereichen bin ich froh, wenn nicht alles einem Plebiszit unterworfen wird. Da gibt es die mediale Beeinflussung, und Brexit war ein Paradebeispiel dafür: Dazu gibt es ja Experten, dass sie komplexe Fragen beurteilen können. Es gibt heute eine weitverbreitete Ideologie, dass Öffnung und Partizipation immer gut ist. Da habe ich meine Zweifel und man sollte solche Ansätze sehr gezielt einsetzen.

Es gibt bei diesen plebiszitären Entscheidungen auch ein Danach. Wie in Großbritannien beim Brexit. Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn man für eine Entscheidung, die man selbst nicht wollte, nicht Politiker, sondern Mitmenschen verantwortlich machen muss?

Da besteht die Gefahr einer gesellschaftlichen Polarisierung wie man sie gerade auch in Großbritannien beobachten konnte. Je mehr ich das Plebiszit als Lösung finde, desto eher können solche Polarisierungen entstehen. Dann hat man zwei klare Lager. Und die beiden Lager nachher wieder zusammenzubringen, ist deutlich schwieriger, als wenn man die Entscheidung in der Arena politischer Entscheidungsträger und Experten lässt.

Gerhard Hammerschmid
ist Professor für Public Management an der Hertie School of Governance in Berlin. Er ist Autor mehrerer Bücher über die öffentliche Verwaltung, hat selbst im Finanzministerium gearbeitet und Reformprojekte betreut. Hammerschmid sitzt auch im Kuratorium des Zentrums für Verwaltungsforschung in Wien (KDZ).