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Der Präsident und der Scherbenhaufen

Von Werner Reisinger

Politik

Ibrahim Olgun bleibt Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Intern wird weitergekämpft.


Wien. Ibrahim Olgun kann fürs Erste aufatmen. Nach dessen Wahl zum Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) am 19. Juni focht ein Zusammenschluss von acht in der IGGiÖ organisierten weiteren Kultusgemeinden Olguns Wahl wegen "Verfassungswidrigkeit" an. Das interne IGGiÖ-Schiedsgericht wies die Beschwerde jedoch zurück, die Entscheidung oblag daraufhin dem Bundeskanzleramt. Am Donnerstag gab das Büro der zuständigen Staatssekretärin Muna Duzdar die Entscheidung bekannt: Olgun bleibt im Amt.

Beim Streit um den neuen IGGiÖ-Präsidenten geht es nur vordergründig um den Wahlvorgang. Seit der Konstitution der Glaubensgemeinschaft 1979 ringen die in ihr zusammengefassten ethnischen Gruppen teils offen, teils verdeckt um Einfluss in der staatlichen Vertretung der Muslime in Österreich, weiß Richard Potz, Religionsrechtler am Institut für Rechtsphilosophie der Uni Wien.

Streit um internen Pluralismus

"In der ersten Verfassung der IGGiÖ stand, dass in deren Gremien nicht mehr als 30 Prozent einer bestimmten ethnischen Gruppe vertreten sein dürfen", sagt Potz. "Das war insofern problematisch, als die türkischen Muslime seit jeher in Österreich eine Mehrheit darstellen." Inzwischen ist das Statut nicht mehr gültig - die Grabenkämpfe aber gehen weiter.

Türken und arabischstämmige Muslime seien in der IGGiÖ lange Zeit tonangebend gewesen. Erst in den Neunzigern kamen Bosnier als weitere große Gruppe dazu. Aufseiten der Republik sei man wegen der Verfassungsbestimmung und der inneren Spannungen zwischen diesen Gruppen nicht unglücklich gewesen, dass der erste IGGiÖ-Präsident ein Afghane war, sagt Potz.

Mit dem Amtsantritt von Olgun, der klar dem türkischen Moschee- und Kulturverband Atib nahesteht, bricht nun der innermuslimische Streit um Repräsentation innerhalb der Vertretung neu aus. Atib gilt als verlängerter Arm der offiziellen türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara. Wie die "Wiener Zeitung" am Mittwoch berichtete, warf der IGGiÖ-Vizepräsident Abdi Tasdögen Olgun in einem internen Mail vor, den Beschluss des Obersten Rates der IGGiÖ bezüglich der Stellenbesetzungen im Hochschullehrgang Islamische Religionspädagogik (IRPA) aufgrund von Einflussnahme seitens der türkischen Botschaft und Atib revidieren zu wollen. Aufgrund des neuen Islamgesetzes ist die Ausbildung der muslimischen Religionslehrer seit 1. September an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) in Wien und Krems angesiedelt - und damit, zusammen mit allen anderen Konfessionen, an einer staatlichen Hochschule.

Tasdögen berichtet in dem der "Wiener Zeitung" vorliegenden Mailverkehr von "Wünschen" des türkischen Botschaftsrats Fatih Karadas bezüglich der zu besetzenden Hochschullehrer, die der IGGiÖ unterliegt. Karadas ist gleichzeitig Vorstandsvorsitzender von Atib. "Es scheint der Fall zu sein, dass die Atib Positionen nun auf die IGGiÖ übertragen werden sollen", schreibt Vizepräsident Tasdögen weiter. Ganz ähnlich die wahlanfechtende Arabische Kultusgemeinde Anfang September in einer Aussendung: "Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ist mehr denn je entfernt von einem in Österreich beheimateten Islam und einer ethnisch-pluralen Vertretung."

Grenzwertige Personalunion

"Das österreichische Grundgesetz ist eindeutig: Die Bestellung von Funktionsträgern ist Sache der Glaubensgemeinschaften", erklärt Religionsrechtler Potz. Vonseiten des Staates gebe es rechtlich gesehen keinerlei Möglichkeit zur Einmischung. Eine Anfechtung sei nur aufgrund "gravierender Verfehlungen" beim Wahlvorgang möglich, das Recht der Wahlaufhebung im Falle einer Anfechtung sei hier "äußerst restriktiv" gestaltet.

Aufgrund der im Konkordat von 1933 festgeschriebenen Rechte der katholischen Kirche, ihre Würdenträger selbst zu bestimmen, sei eine Ungleichbehandlung anderer Religionsgemeinschaften verfassungsmäßig nicht zulässig, sagt Potz. Kurz gesagt: Durch die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit ist es der Türkei möglich, über ihre staatliche Behörde auf das Geschehen in Österreich Einfluss zu nehmen. Dass im Falle von Atib und der Türkei ein maßgeblicher Moscheeverband staatlich kontrolliert wird, hält Potz für "durchaus grenzwertig". Das neue Islamgesetz würde zwar "in manchen Punkten übers Ziel hinausschießen", sagt Potz, bezüglich der Praxis der Personalunion von Atib und türkischer Botschaft sei der Versuch, über ein Verbot der Auslandsfinanzierung einzugreifen, jedoch "verständlich".

Man behalte sich das Recht vor, "jegliche juristische Mittel auszuschöpfen, um geordnete Zustände entsprechend der österreichischen Gesetze herzustellen", so die Arabische Kultusgemeinde in der Aussendung Anfang September. Für eine Stellungnahme zu Olguns Bestätigung als IGGiÖ-Präsident war der Sprecher der Arabischen Kultusgemeinde sowie der wahlanfechtenden Plattform "Multikulturelle Moscheeeinrichtungen" am Donnerstag nicht zu erreichen.