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"Kein Rechtsruck in der ÖVP"

Von Brigitte Pechar

Politik
Ingrid Korosec zu Asyl und Mindestsicherung: "Die ÖVP macht absolut keinen Rechtsruck, sie agiert nur vernünftig."
© Seniorenbund

Seniorenbundpräsidentin fordert Vorsorgehausbesuche bei Menschen ab 75 und ein Referenzalter zum Pensionsantritt.


"Wiener Zeitung": Sie werden heute als Nachfolgerin von Andreas Khol beim Bundesseniorentag in Linz zur Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes gewählt. Damit erhalten Sie eine enorme Machtfülle, wenn man die Mitgliederstärke von 305.000 bedenkt. Werden Sie diese im ÖVP-Bundesparteivorstand entsprechend einsetzen?Ingrid Korosec: Natürlich, der Seniorenbund ist der mitgliederstärkste Bund in der ÖVP. Es ist meine Aufgabe, die Themen, die Senioren und Seniorinnen betreffen, in den Mittelpunkt zu rücken.

Ich meinte aber, ob Sie sich auch in die strategische Zukunftsgestaltung der Volkspartei einbringen werden.

Das ist mir ein zentrales Anliegen. Da die Senioren auch immer älter werden, immer länger gesund bleiben und der Lebensabschnitt als Senior der längste ist, ist es besonders wichtig, wie die Zukunft gestaltet wird.

Wie soll die Partei Ihrer Meinung nach ausgerichtet sein? Viele Beobachter nehmen gerade einen Rechtsruck wahr. Sehen Sie das auch so?

Nein, die ÖVP macht absolut keinen Rechtsruck, sie agiert nur vernünftig. Es ist einfach nicht möglich, dass wir alle, die zu uns kommen wollen, aufnehmen. Da muss man einschränken und sagen, jene Menschen, die um ihr Leben rennen, muss man aufnehmen. Aber all jene, die kommen, weil sie glauben, dass es bei uns besser ist, denen muss man klar sagen: Das geht nicht. Dasselbe gilt auch für die Mindestsicherung. Es kann nicht sein, dass zwischen Arbeitseinkommen und der Mindestsicherung kaum ein Unterschied besteht - oder sogar manchmal umgekehrt. So kann es nicht gehen. Da müssen Änderungen kommen. Und auch hier gilt: Mindestsicherung für jene, die sie brauchen, aber es darf keine Hängematte sein, und es muss klar sein, dass das nur ein Sprungbrett ist. Es kann nicht sein, dass Senioren, die ihr ganzes Leben lang in Österreich gearbeitet und eingezahlt haben, mit der Ausgleichszulage gleich viel haben wie jene, die gerade zu uns kommen und noch nie einbezahlt haben. Das hat nichts mit Rechtsruck zu tun, das sind Notwendigkeiten.

Ihr Hauptaugenmerk wird den Pensionisten gelten. Aber manchen Jungen scheint es, als wären Pensionisten besser aufgestellt als sie - wenn man die Veränderungen in der Arbeitswelt und die Zukunft des Pensionssystems betrachtet. Werden Sie sich in gesellschaftspolitischen Fragen mit den Jungen solidarisch zeigen?

Selbstverständlich. Da ist vor allem die Bildungspolitik gefragt. Die Arbeitswelt hat sich total verändert. Früher ist man in ein Unternehmen eingetreten und wenn man gut war, konnte man bis zur Pension dort bleiben, ein Aufstieg war möglich. Die heutigen Dienstverhältnisse sind meistens befristet oder es gibt Projektarbeit. Die Jugend ist verunsichert in einer Welt, die immer schneller wird, wo die Ressourcen knapper werden, wo die Bedrohung zunimmt. Da ist Unterstützung notwendig, darauf muss die Politik reagieren. Ich habe keine Sorge, dass die Arbeitsplätze zu wenig werden, es entstehen andere, qualitätsvollere. Dazu muss die Jugend durch das Bildungssystem ermächtigt werden. Was die Unterstützung betrifft, zitiere ich aus einer Studie, aus der hervorgeht, dass jedes Großelternpaar ihre Kinder und Enkel mit durchschnittlich 236 Euro im Monat unterstützt. Das sind im Jahr drei Milliarden Euro. Wir Senioren helfen, wo wir können - nicht nur finanziell. Aber insgesamt ist es für die Jugend schwieriger geworden, auch bei den Wohnungen.

Für viele Jugendliche sind die befristeten Mietverträge besondere Hürden. Der ständige Wohnungswechsel verteuert das Leben zusätzlich. SPÖ und ÖVP haben die Mietrechtsreform gerade wieder verschoben. Ein Streitpunkt ist, wie mit befristeten Mietverträgen verfahren werden soll. Soll man Befristungen verbieten, einschränken oder alles so belassen?

Befristungen hat es immer gegeben, aber das muss man eingrenzen. Ich bin keine Mietrechtsexpertin, aber vom Grundsatz her kann es nicht so sein, dass jede Wohnung nur noch für ein paar Jahre vermietet wird.

Viele Fragen, die Senioren betreffen, müssen Sie im Einklang mit Karl Blecha, dem Präsidenten des SPÖ-Pensionistenverbandes, klären. Verstehen Sie sich so gut mit ihm, dass das möglich ist?

Ja, wir haben eine gute Zusammenarbeit. Ich kenne Karl Blecha seit Jahrzehnten. Gemeinsam kommen wir auf 700.000 Mitglieder, wenn man die anderen Fraktionen im Seniorenrat noch dazunimmt, sind wir nicht weit von einer Million entfernt. Es ist ganz natürlich, dass der Seniorenrat gewisse Bereiche gemeinsam abdeckt. Das ist bisher gelungen, das wird es auch in Zukunft.

Sie bewerben gerade sehr intensiv ein neues Projekt: Community Nurse. Was darf man sich darunter vorstellen?

Der Seniorenbund hat drei Anliegen im Gesundheitsbereich, die uns sehr wichtig sind: Die E-Medikation muss flächendeckend umgesetzt werden - vorausgesetzt, die Technik funktioniert. Alte Menschen nehmen viele Medikamente, deren Wechselwirkungen sinnvollerweise abgeglichen werden. Zweitens fordern wir den Ausbau der Geriatrie. Es braucht mehr Fachärzte der Geriatrie und in den Gesundheitsberufen, die ja zunehmend mit alternden Patienten zu tun haben, müssen geriatrische Grundlagen unterrichtet werden. Der dritte Bereich sind die Vorsorgehausbesuche, auch Community Nurse (in etwa "Gemeinde-Krankenpflege") genannt. In Vorarlberg ist dieses dänische Modell schon in Ansätzen erprobt. Zweimal jährlich machen ausgebildete Gemeindeschwestern beratende Hausbesuche bei Menschen ab 75. Der Besuch ist freiwillig, kostenlos und soll präventiv wirken. Dieses Angebot soll von den Ländern unter der Oberhoheit des Bundes angeboten werden. Ich erwarte mir von diesen Vorsorgebesuchen, die natürlich etwas kosten, eine präventive Wirkung, was wiederum die Gesundheitsausgaben verringert.

Als Vertreterin der Pensionisten werden Sie bei Pensionsreformen ein Wort mitzureden haben. Sind Sie für eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es ein Referenzalter braucht. Wenn von einem gesetzlichen Antrittsalter die Rede ist, fassen das viele fast als Verpflichtung auf, mit 60 als Frau oder 65 als Mann in Pension zu gehen. Ich bin dafür, dass sich jeder selbst aussuchen können soll, wann er in Pension gehen will. Mit zumindest gleichen Zu- und Abschlägen (jetzt sind die Abschläge höher als die Boni).

Tatsächlich ist es doch so, dass die Unternehmen ältere Arbeitnehmer möglichst früh in Pension drängen, um Platz zu schaffen für wesentlich billigere junge.

Deshalb muss man die Lebenseinkommenskurve ändern. Das ist noch ein langer Weg, aber man muss damit beginnen und da und dort kleine Pflöcke einbauen. Das möchte ich in vielen Bereichen - wissend, dass man nicht die Sterne vom Himmel holen kann, aber zumindest Sternschnuppen müssen es schon sein.

Zur Person

Ingrid Korosec

war ÖVP-Generalsekretärin, sechs Jahre lang Volksanwältin, war Nationalratsabgeordnete und ist im Wiener Gemeinderat. Sie war mehrere Jahrzehnte im privatwirtschaftlichen Management tätig. Korosec (75) übernimmt heute offiziell die Leitung des Seniorenbundes. Sie ist Mutter zweier Söhne und hat drei Enkelkinder.