Wien. Magistratisches Bezirksamt Wien Leopoldstadt, Raum 311. In dieser unscheinbaren Amtsstube wird dieser Tage das Wahlrecht neu definiert. Oder zumindest: so großzügig wie möglich ausgelegt. Anders als bei der Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl, die Innenminister Wolfgang Sobotka bekanntlich wegen fehlerhafter Wahlkarten auf den 4. Dezember verschoben hat, wird die Bezirksvertretungswahl im zweiten Bezirk trotz desselben Problems am 18. September stattfinden. Grund dafür ist laut Stadt, dass man eine Gesetzesänderung nicht mehr rechtzeitig zuwege gebracht hätte.

Und weil das Wahlergebnis tunlichst auch halten soll, hat man sich das Festhalten am Sonntagstermin rechtlich absichern lassen. In zwei Gutachten führen die Verfassungsrechtler Theodor Öhlinger und Heinz Mayer aus, dass Wahlkarten, die nicht mehr verschlossen sind, auch keine Wahlkarten mehr sind. Denn in der Wiener Gemeindewahlordnung ist genau definiert, wie eine Wahlkarte auszusehen hat. Wenn sie offen ist, sieht sie nicht mehr so aus, wie im Gesetz definiert - und sei, so die Experten, damit keine Wahlkarte mehr. Anders als das Innenministerium unterstützt die Stadt Wien diese Ansicht - und tauscht sogar schon unterschriebene Wahlkarten aus.

Und das mit einigem Aufwand. Insgesamt sind knapp 72.000 Menschen in der Leopoldstadt wahlberechtigt, davon haben rund 6800 Wahlkarten beantragt. Wie viele davon umzutauschen sind beziehungsweise schon umgetauscht wurden, kann Christine Bachofner, Leiterin der Abteilung Wahlen der Stadt Wien (MA 62), nicht sagen: "Das ändert sich minütlich", sagt sie zur "Wiener Zeitung". Denn um sicherzugehen, dass möglichst viele Wahlkarten ausgetauscht werden, werden die Wähler auch aktiv kontaktiert - von 90 Prozent der Wahlkartenwähler habe man durch den Antrag entweder die Telefonnummer oder die E-Mail-Adresse.

Offenes Innenkuvert

So auch von Adam, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er hat schon vor einiger Zeit festgestellt, dass sein Wahlkuvert nicht ordentlich verschlossen war. Auch das Innenkuvert sei nicht verschließbar gewesen, meint er zur "Wiener Zeitung". Er hat das Kuvert, so gut es ging, verschlossen und abgeschickt. Das war vor den Medienberichten. Vergangenen Samstag wurde er angerufen, er möge seine Wahlkarte austauschen.

Und so steht er jetzt in Raum 311. Die Beamtin behandelt zwei Anträge gleichzeitig, ist schon leicht genervt. Adam muss mit seiner Unterschrift den Austausch der Wahlkarte quittieren, dann hält sie ihm das aufklaffende Überkuvert hin. Er muss selbst sein Wahlkuvert daraus entnehmen. Der Stimmzettel liegt daneben - ob er nicht vielleicht selbst daran schuld ist, kann er nicht mehr sagen, aber komisch ist es doch, meint er. Mit der neuen Wahlkarte bekommt Adam auch ein neues Wahlkuvert. "Eines der beiden müssen Sie zerreißen", sagt die Beamtin. Draußen im Vorraum ist eine provisorische Wahlzelle aufgebaut. Adam gibt noch einmal seine Stimme ab, klebt das Kuvert zu und gibt es der Beamtin. Sie verräumt es in einer Postkiste. Adam hat gewählt. Das komische Gefühl bleibt.