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"Keine Bananenrepublik"

Von Werner Reisinger

Politik

Regierung will ab Jänner an neuem Wahlrecht arbeiten.


Wien. Der Kleber ist schuld. Die Spitze der ÖVP und auch Innenminister Wolfgang Sobotka bleiben bei ihrer Argumentation, wonach weder Sobotka selbst noch die Organe der Republik für die Wahlkarten-Affäre verantwortlich seien. "Die Konsequenzen liegen bei der Firma", sagte der Innenminister am Dienstag vor dem Ministerrat im Parlament.

Der finanzielle Schaden, den die Republik durch die Wahlverschiebung und den damit verbundenen Mehrkosten erleide, sei als Regress von der betroffenen Firma kbprintcom einzufordern, kündigte Sobotka an. Er selbst sei zum Zeitpunkt, als die Affäre ihren Lauf nahm, noch gar nicht im Amt gewesen, verteidigte sich Sobotka im Ö1-"Morgenjournal". Unterstützung bekam der Innenminister vor dem Ministerrat von ÖVP-Klubchef Lopatka. Auf die Frage nach personellen Konsequenzen verwies dieser ebenfalls auf die Firma - sowie auf die bereits laufenden Verfahren der ursprünglich für die Wahlanfechtung verantwortlichen Bezirkswahlkommissionen.

Im Nationalrat brachten indes SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos den angekündigten Initiativantrag zur Verschiebung der Stichwahl ein. Zum neuen Termin für die Stichwahl, den 4. Dezember, werden demnach auch die im Umlauf befindlichen, schadhaften Wahlkarten vernichtet und durch "neue, alte" Wahlkarten, hergestellt von der (privaten) Staatsdruckerei, ersetzt. Zudem werden die Wählerverzeichnisse aktualisiert - Jugendliche, die in der Zwischenzeit 16 geworden sind, sollen an der Wahl teilnehmen können. Zusammen mit den Einbürgerungen kommen so 50.000 neue Wähler dazu.

Zentrale Wählerevidenz

Stichtag hierfür wird - Zitat Sobotka - "entweder der 27. September oder der 4. Oktober" sein. Am Donnerstag befasst sich der Innenausschuss mit der "einmalig anwendbaren" Verfassungsbestimmung, ab nächster Woche behandelt das Plenum den Antrag. Beschlossen werden soll das Sondergesetz am 21. September. Dem Fahrplan für die Gesetzeswerdung stimmte die FPÖ zu - dem eigentlichen Gesetz jedoch nicht. Die Freiheitlichen verlangen weiterhin eine Abschaffung der Briefwahl bzw. eine Beschränkung derselben auf Auslandsösterreicher.

Für die Klubobmänner der beiden Regierungsparteien kann es aber nicht bei diesem - eigens für das organisatorische Wahldebakel geschaffenen - Verfassungsgesetz bleiben. Andreas Schieder (SPÖ) und Reinhold Lopatka (ÖVP) kündigten am Dienstag eine baldige und umfassende Reform des Wahlrechts an. Ab Jänner, so Lopatka, solle sich eine Reformgruppe mit dem neuen Wahlrecht befassen. Dieses solle alle bisher aufgetretenen Problemfelder beheben. Laut Schieder soll demnach eine zentrale Wählerevidenz kommen, auch die Auszählungsmodalitäten und -zeiten sowie das Beisitzersystem sollen angepasst werden. Die wichtigste angedachte Neuerung aber wird wohl ein zweiter Wahltag sein. Einen oder mehrere solcher Extratermine kann sich auch der ÖVP-Klubchef vorstellen. Die Vorbereitungen für ein zentrales Wählerregister will Lopatka aber vorziehen und noch dieses Jahr im Parlament beschließen. Eine zentrale Wählerevidenz zu erstellen sei ihm zufolge mit einem erheblichen Aufwand verbunden, hinsichtlich der für 2018 geplanten Nationalratswahl sei ein rascher Beschluss notwendig.

Lopatka für E-Voting

Geht es nach dem ÖVP-Klubobmann, müsse auch das Thema E-Voting, also eine elektronische Stimmabgabe bei Wahlen, diskutiert werden. Deren Vorteile liegen für Lopatka auf der Hand: Im Falle eines vorgezogenen Wahltags könne man, im Gegensatz zur Briefwahl, die Stimme noch korrigieren.

Bei Abwesenheit könne man so mit der Stimmabgabe bis zum Wahltag warten. Als Positivbeispiel für das E-Voting nannte Lopatka Estland, wo es "sehr gute Erfahrungen" mit dem System gebe. Am System der Briefwahl aber will Lopatka trotzdem festhalten. Mit dem Sondergesetz zur Wahlverschiebung zeigten sich beide Klubobleute zufrieden. Es gelte, das Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen - "Österreich ist keine Bananenrepublik", so Schieder.

Wie die Regierungskoordinatoren Thomas Drozda (SPÖ) und Harald Mahrer (ÖVP) beim Briefing nach dem Ministerrat ankündigten, wird das Bundesheer im Rahmen der Sicherheitsstrategie in Kürze weitere 85 Personen an die ungarisch-serbische Grenze entsenden. Damit sollen die Ungarn bei ihren Bemühungen, die Grenze zu sichern, unterstützt werden. Innenminister Sobotka sprach von einer "stabilen Lage" hinsichtlich der Flüchtlingsbewegungen, wohl aber würden sich in Italien, Ungarn, Bulgarien und Griechenland größere Gruppen von Flüchtlingen aufhalten. "Die Obergrenze könnte knapp unterschritten werden, sie könnte auch erreicht werden", so der Innenminister. Mit Stichtag
1. August laufen 2016 bisher laut Sobotka 26.419 Asylverfahren.