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"Das Bildungssystem wird zu oft schlechtgeredet"

Von Mathias Ziegler

Politik
Statt das Schulsystem neu zu erfinden, sollte man lieber das bestehende Positive mehr fördern, meint Pädagoge Andreas Ferner.
© Michael Hetzmannseder

HAK-Lehrer und Kabarettist Andreas Ferner über Reformen und statistische Maßzahlen, über die zu wenig gesprochen wird.


Wien. Er weiß, wovon er spricht: Ab 3. Oktober steht der HAK-Lehrer Andreas Ferner in seinem Nebenberuf als Kabarettist mit einem neuen Programm auf der Bühne des Wiener Orpheums. Unter dem Titel "BildungsFERNER" erzählt er einerseits lustige Geschichten aus dem Schulalltag, zeigt aber auch bildungspolitische Probleme und Lösungsansätze dazu auf. Die "Wiener Zeitung" hat mit ihm darüber gesprochen.

"Wiener Zeitung": Was läuft im österreichischen Schulsystem falsch?

Andreas Ferner: Teilweise weniger, als die Leute glauben. Für meinen Geschmack reden zu viele Menschen von außen mit – sogenannte Bildungsexperten –, die eigentlich kaum Ahnung davon haben, was sich in den Klassenräumen wirklich tagtäglich abspielt. Meiner Meinung nach werden die Lehrer als die wahren Bildungsexperten zu wenig gefragt. Ich glaube, dass unser Bildungssystem zu oft schlechtgeredet wird. Bei den wirklich interessanten Kennzahlen liegt Österreich nämlich sogar sehr weit vorne: Zum Beispiel ist Österreich das beste OECD-Land, wenn es darum geht, wie gut der Übergang von der Schule ins Berufsleben geschafft wird. Und das ist für mich persönlich als Vater tausendmal relevanter als irgendein Pisa-Test, der von bestimmten Wirtschaftsorganisationen willkürlich nach deren Interessen erstellt wurde. Aber über diese positiven Kennzahlen spricht komischerweise kaum jemand, dafür ständig über Pisa, obwohl diese Tests im Grunde überhaupt nichts über den Bildungserfolg oder das Lebensglück von jungen Menschen aussagen.

Also ist alles gut?

Es gibt natürlich Verbesserungsbedarf. Aber man muss bei den Reformen die Lehrer mit einbauen. Und ich glaube, dass eine größere Reform, die grundlegende Dinge ändert, besser wäre als viele kleine, die womöglich letztlich mehr kaputtmachen als helfen. Ein ganz konkretes Anliegen wäre ein Ausbau des Unterstützungspersonals an den Schulen, also Sekretäre, Sozialarbeiter, Psychologen, die all das abdecken, was nicht direkt mit dem Unterrichten zu tun hat. Da liegt Österreich an letzter Stelle, mit weitem Abstand zum Zweitletzten, der Türkei. Würde man da etwas tun, könnten wir Lehrer uns auch wieder mehr auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren: auf das Unterrichten. Derzeit übernehmen wir extrem viele Administrationstätigkeiten. Die meisten Landesschulen haben ja überhaupt kein Sekretariat. Und auch sehr viele soziale Probleme, die in die Schule hereingeschwappt sind, müssen wir alleine lösen.

Mehr Unterstützungspersonal kostet aber auch mehr Geld. Dabei hat Österreich schon jetzt viel höhere Bildungsausgaben pro Schüler als der OECD-Durchschnitt.

Auch diese Zahl muss man sich genau anschauen. Man kann sie nämlich auch extrem positiv interpretieren. Wir haben nämlich deshalb so hohe Pro-Kopf-Ausgaben, weil bei uns der Privatanteil so gering ist. Es gibt noch immer sehr viele gute öffentliche Schulen. Der Staat hat sich also entschieden, allen Heranwachsenden vom Kindergarten bis zur Uni eine gute Bildung zu ermöglichen. Das ist doch ein sehr guter Grund für hohe Ausgaben. In anderen Ländern müssen die Eltern ihr Leben lang sparen, damit ihre Kinder dann später in gute Schulen gehen können. Und wenn man die Ausgaben im Verhältnis zum BIP berechnet, liegen wir bei gerade einmal fünf Prozent – und das ist sehr niedrig im internationalen Vergleich, obwohl wir pro Schüler so viel ausgeben.

Laut OECD hat Österreich auch verhältnismäßig kleine Klassen. Zumindest statistisch gesehen . . .

Das ist je nach Schultyp unterschiedlich. Eine Begrenzung der Klassenschülerzahlen gibt es nur im Pflichtschulbereich. Ab 14, 15 Jahren gibt es das gar nicht mehr – ich habe schon oft Klassen mit 36 Schülern unterrichtet.

Braucht Österreich die Gesamtschule?

Ich lehne es ab, sie als Gesamtheilmittel für das Bildungssystems zu sehen. Statt unser ganzes Geld dort hineinzubuttern, sollten wir lieber das, was wir haben, besser machen. Ich persönlich bin jedenfalls dafür, die verschiedenen Schultypen beizubehalten. Bei den höheren Altersstufen zeigt sich ja auch, dass die Differenzierung positiv ist, weil zum Beispiel HAK oder HTL extrem erfolgreich sind. Und selbst wenn sie kommt, bedingt eine gemeinsame Schule der 6- bis 14-jährigen nicht unbedingt eine ganztägige Unterbringung an der Schule. Man kann natürlich das Angebot ausbauen für die Eltern, die es in Anspruch nehmen wollen oder müssen. Aber man muss auch Rücksicht auf jene Eltern nehmen, die vielleicht gar nicht wollen, dass ihre Kinder so lange in der Schule sind, weil sie am Nachmittag Zeit für sie haben oder die Kinder anderweitig außerschulisch betreut werden. Abgesehen davon finde ich es den falschen Ansatz, die Schule als Betreuungseinrichtung zu sehen. Die Schule muss schon jetzt so viel leisten – Stichwort Integration – wir tun eh, was wir können, haben auch bei der Flüchtlingsbetreuung ordentlich mitangepackt, auch wenn darüber nicht so viel gesprochen wird. Aber ich glaube nicht, dass die Schule alles leisten kann. Und auch bei der jüngsten Diskussion um die Sommerferien finde ich, dass die Frage der Unterbringung der Schüler der falsche Ansatz ist.

Könnten Sie mit kürzeren Sommerferien leben?

Es ist sicher ein Problem, die Kinder im Sommer so lange unterzubringen. Aber ich bin diese ganze Diskussion schon so leid, weil ich das Gefühl habe, dass sie großteils aus einer Neidposition und einer Betreuungsmotivation heraus geführt wird. Und es geht nicht darum, was das Beste für die Schüler und die Lehrer ist und wie wir die Schule besser machen können. Eines muss man dazu klar feststellen: Bei der Ferienlänge insgesamt liegen wir genau einen Tag über dem OECD-Durchschnitt. Und ich habe nicht das Gefühl, dass dieses Thema in anderen Ländern so oft so intensiv diskutiert wird.

Welche Bilanz ziehen Sie nach der Zentralmatura?

Ich habe die kaufmännischen Fächer, die werden noch nicht zentral geprüft, und das wird wohl nicht so bald kommen. Zum Glück. Ich bin ein großer Gegner der Zentralmatura, besonders der sogenannten Vorwissenschaftlichen Arbeiten. Ich verstehe den Ansatz der Zentralmatura nicht: Warum müssen alle genau das Gleiche geprüft werden, wenn doch vorher jede Schule individuelle Schwerpunkte setzen soll? Und dass dann erst wieder die Lehrer die Arbeiten der eigenen Schüler korrigieren müssen, führt meiner Meinung nach die ganze Idee ad absurdum. Das müsste dann doch extern korrigiert werden, wenn man die selbstgestellten Kriterien erfüllen will. In anderen Ländern wird nur ein kleiner Teil zentral geprüft. Hier wurde meiner Meinung nach ein fremdes Konzept suboptimal abgeschrieben. Wenn man schon eine Zentralmatura macht, dann muss man die auch konsequent durchziehen. Eines noch: Die Gewerkschaft hat beim Bildungsministerium nachgefragt, warum es keine externen Korrekturen gibt, und ich finde die Antwort zum Totlachen: Um das Geld, das die Lehrer für die Korrektur bekommen, macht das sonst niemand. Das sagt eigentlich eh sehr viel. Ich habe das Gefühl, viele Reformen werden nicht gemacht, um das Schulsystem zu verbessern, sondern um Kosten zu sparen.

Andreas Ferner: BildungsFERNER
Premiere am 3. Oktober im Orpheum Wien
Weitere Termine und Info
www.andreasferner.at