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Eine Sparmaßnahme der Justiz

Von Petra Tempfer

Politik
Vor allem im Bereich des Familienrechts können Verfahren langwierig sein - hier fehlen die meisten Rechtspfleger.
© Fotolia/magele-picture

Rechtspfleger erledigen 82 Prozent der gerichtlichen Verfahren. Künftig sollen sie weitere Fälle der Richter übernehmen - es gibt aber nur halb so viele Rechtspfleger wie Richter. Personalnotstand und längere Verfahren drohen.


Wien. Zuerst waren es Verlassenschaften, bei denen es um bis zu rund 36.000 Euro ging. Dann, das war 1994, wurde dieser Wert auf 150.000 Euro erhöht. Und nun sollen es Fälle bis zu 200.000 Euro sein, die von Diplomrechtspflegern abgewickelt werden sollen. So sieht es die Änderung des Rechtspflegergesetzes vor, dessen Begutachtungsfrist diese Woche geendet hat. Demnach sollen Rechtspfleger noch weitere Aufgaben der Richter übernehmen - und das, obwohl sie bereits 82 Prozent aller gerichtlichen Verfahren erledigen. Rechtspfleger gibt es aber nicht einmal halb so viele wie Richter. Akuter Personalnotstand bei der Rechtsprechung droht.

Konkret gibt es rund 770 Rechtspfleger (630 Vollzeitkapazitäten), Berufsrichter sind es etwas weniger als 1700. Rechtspfleger unterliegen dem Weisungsrecht des Richters. Dieser kann ihnen also eine Weisung erteilen. Allein dem Richter ist es vorbehalten, in Strafsachen zu entscheiden - Rechtspfleger übernehmen aber zahlreiche andere Fälle etwa im Bereich Grundbuch, Firmenbuch, der Exekutionen, Verlassenschaften und Obsorge.

Versicherung decktmöglichen Schaden nicht ab

Mit der Gesetzesänderung soll nicht nur die Wertgrenze bei Verlassenschaften, die in den Zuständigkeitsbereich der Rechtspfleger fallen, auf 200.000 erhöht werden, sondern auch jene des Vermögens Minderjähriger bei Pflegschaftsverfahren von 100.000 auf 150.000 Euro. Auch bei Sachwalterschaften sollen Rechtspfleger künftig Fälle bis zu diesem Vermögenswert übernehmen. Bei Firmengründungen soll die Wertgrenze für die erste Eintragung einer GmbH von 70.000 auf 100.000 angehoben werden. Die Änderungen werden mit der Inflation begründet.

Vor allem Unterhalts- und Obsorgeverfahren könnten mit einem enormen Zeitaufwand verbunden sein, zum Beispiel wenn der Unterhaltspflichtige im Ausland ist, heißt es vonseiten der Rechtspfleger in ihren Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf auf der Parlamentshomepage. Für ein Verlassenschaftsverfahren wiederum haben diese laut Personalbedarfsrechnung (PAR) nur 73 Minuten Zeit - Richter hingegen 189 Minuten. Pikantes Detail: Rechtspfleger können über die Österreichische Beamtenversicherung bei der Wiener Städtischen für Schäden, die sie während Ihrer Amtsausübung verursachen, eine Amts- und Organhaftpflichtversicherung abschließen. Die Versicherungssumme beträgt aber nur 100.000 Euro - geht es bei einer Verlassenschaft um 200.000 Euro, bewegt sich der Rechtspfleger auf dünnem Eis.

Denkt man die Konsequenzen der Verschiebung der Zuständigkeiten weiter, so könnte sich die Justiz durch die Gesetzesänderung freilich einiges ersparen. Denn Rechtspfleger sind Beamte der Allgemeinen Verwaltung - Richter verfügen über eine freie Dienstzeit und ein höheres Gehalt. Laut Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz liegt dieses in der höchsten Stufe und Gruppe bei 10.300 Euro. Das Finanzministerium spricht in seiner Stellungnahme davon, "dass es nicht nachvollziehbar erscheint", dass die Verschiebung "keine finanziellen Auswirkungen nach sich zieht". Vielmehr erscheine es "wahrscheinlich und plausibel, dass dadurch Einsparungen im Bereich der Justizverwaltung entstehen".

Für betroffene Bürger, die etwa auf Unterhaltszahlungen warten oder geerbt haben, bedeutet der Personalnotstand vor allem eines: eine längere Verfahrensdauer. Schon jetzt müssen Elternteile Monate oder mitunter Jahre auf einen Beschluss und die damit verbundene Unterhaltszahlung warten. "Im Außerstreitbereich (in diesem arbeitet ein Viertel der Rechtspfleger, dazu zählen Verlassenschafts- und Unterhaltsverfahren, Anm.) besteht bereits jetzt ein Fehlbestand von 58 Diplomrechtspflegern", heißt es dazu vom Oberlandesgericht Graz in seiner Stellungnahme. Dort betrage der Auslastungsgrad der Rechtspfleger im Außerstreitbereich 125,84 Prozent.

"Ein Obsorgestreitist emotional belastend"

Auch Gewerkschafter Gerhard Scheucher, der die Rechtspfleger vertritt, schreibt in der aktuellen Ausgabe der juristischen Fachpublikation "Der österreichische Rechtspfleger" von einer eklatanten Überbelastung im Außerstreitbereich. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" sagt er, dass zwar Richter die komplexeren Fälle behandelten und daher mehr Zeit dafür zur Verfügung hätten, ein Obsorgestreit aber in jedem Fall emotional belastend sei. Dadurch - zusätzlich zu dem zeitlichen Stress - sei die Fluktuation unter den Rechtspflegern groß. "Etliche brechen weg", so Scheucher. Zudem sei der Frauenanteil und damit die Zahl der Karenzen hoch.

Scheucher baut auf den Nachwuchs, bis 2019 seien 70 neu ausgebildete Rechtspfleger in Aussicht. Die Ausbildung dauere viereinhalb Jahre und bestehe aus einem Praxisteil und einem Theorieteil in der Justizschule. Europaweit gibt es nur noch in Deutschland Rechtspfleger mit einem ähnlichen Tätigkeitsfeld bei der Rechtssprechung, die gesetzliche Regelung und Ausbildung sind dort aber Bundesländersache. In Deutschland entscheiden Rechtspfleger mitunter sogar in Strafsachen oder haben eine freie Dienstzeit wie in Hamburg. Scheucher und auch die Vereinigung der Rechtspfleger würden sich für Österreich jedenfalls eine hochwertigere Ausbildung an einer Fachhochschule wünschen. Die Zahl der Rechtspfleger steht und fällt jedoch mit den Planstellen. Und diese gibt das Justizministerium vor.

Dieses will sich auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" nicht zur Gesetzesänderung äußern - "so wie bei allen Gesetzen warten wir die Begutachtung ab, prüfen die einzelnen Stellungnahmen und werden diese dann entsprechend berücksichtigen", heißt es. Auch die Partei-Justizsprecher wollen zum Teil erst einmal abwarten. Nur FPÖ, Grüne und Neos sprechen sich klar für eine Aufstockung der Planstellen aus. Laut Neos müsste man gleichzeitig die Zeitwerte, die laut Personalanforderungsrechnung für die einzelnen Verfahren zur Verfügung stehen, erhöhen.

Sogar die Richter selbst sehen für eine Erhöhung der Wertgrenzen keinen dringenden Bedarf. Die österreichische Richtervereinigung weist in ihrer Stellungnahme auf die "bereits jetzt angespannte Situation" der Außerstreitrechtspfleger hin. Laut Christian Haider, Vorsitzender der Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, kann eine Wertgrenzen-Erhöhung nur damit einhergehen, Zeitwerte und Zahl der Rechtspfleger ebenfalls zu erhöhen, sagt er zur "Wiener Zeitung". Die Abschaffung des Weisungsrechts, die Rechtspfleger mit dem Argument, dass es "totes Recht" sei, ebenfalls immer wieder fordern, befürwortet er aber nicht: "Weil Rechtspfleger keine volljuristische Ausbildung haben."