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"Gesundheit und Leben sind gefährdet"

Von Petra Tempfer

Politik

Dissens der Beteiligten verzögert bundesweiten Start der E-Medikation.


Wien. Vor zwei Wochen war es die Plattform Patientensicherheit, zu der Ministerium, Ärzte, Apotheker und Krankenpfleger zählen, die sich für die E-Medikation zur Vermeidung von Wechselwirkungen und Doppelverschreibungen stark machte. Am Dienstag folgte der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der eigentliche Initiator des Projektes, der auf eine bundesweite Ausrollung drängte. Und doch scheint diese noch lange nicht in Sicht. Denn seit 1. Juli muss zwar jeder der rund 8000 Vertragsärzte E-Medikation verwenden, sofern diese technisch verfügbar ist - zum entsprechenden Software-Update ist er allerdings nicht verpflichtet. Der Hauptverband warte daher auf das Okay des Gesundheitsministeriums für eine verpflichtende Ausrollung, am liebsten per Verordnung, sagte Chefin Ulrike Rabmer-Koller am Dienstag. Sanktionen für sich weigernde Ärzte soll es aber keine geben.

"Eine Verordnung gibt es dann, wenn es einen abgestimmten Rollout-Plan gibt und alle das Okay dazu gegeben haben", hieß es dazu aus dem Ministerium. Und das sei noch nicht der Fall. Vor allem die Softwarehersteller, die neben Ärzten und Apothekern zu den Interessengruppen zählten, hätten noch nicht alle zugestimmt. Generell habe man aber höchstes Interesse an einem Rollout. Pamela Rendi-Wagner, Sektionsleiterin im Gesundheitsministerium, nannte vor zwei Wochen das erste Quartal 2018 für eine bundesweite Anwendung.

Doch auch die Wiener Ärztekammer deponierte am Dienstag massive Bedenken. Schon das Pilotprojekt in Deutschlandsberg in der Steiermark sorgt für erhärtete Fronten. Als "unausgereift und somit unsicher", bewertet Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer für Wien und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte, den E-Medikations-Probebetrieb. Dieser hat hier Ende Mai mit 30 Ärzten, neun Apotheken, dem LKH und einem Pflegeheim gestartet und läuft bis 1. November. Dann will man mit der österreichweiten Ausrollung beginnen. 19 der 30 Ärzte nutzen die E-Medikation bereits regelmäßig, sagte Volker Schörghofer, Generaldirektor-Stellvertreter des Hauptverbandes.

Steinhart kann diese Zahl nicht nachvollziehen. Die meisten Software-Hersteller schafften die Einbindung der E-Medikation in die Ordinationssoftware nicht. Aus technischen Gründen hätten mehr als die Hälfte der angemeldeten Ärzte nicht am Projekt teilnehmen können. "Stimmt nicht", konterte Schörghofer. Steinhart habe vielleicht alte Zahlen, die technische Verfügbarkeit sei nachweislich gegeben: 94 Prozent der mit E-Card-System ausgestatteten Ärzte in Deutschlandsberg und 70 Prozent in Österreich könnten sofort mit der E-Medikation ausgestattet werden.

"Unausgereiftes System"

Für Steinhart ist diese dennoch kein Thema. Dieses unausgereifte System könne man keinem Arzt empfehlen, sagt er. Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, war allerdings vor zwei Wochen als Vertreter der Ärzte der Plattform Patientensicherheit für die E-Medikation eingetreten und hatte sich für eine rasche Ausrollung ausgesprochen.

Die Ärzteschaft scheint gespalten. Der Hausärzteverband mobilisiert von Anfang an gegen Elga. Aus Datenschutzgründen, wie sie sagen, stoßen sich die Hausärzte vor allem an der Tatsache, dass Versicherte sich aktiv abmelden müssen (Opt-Out). Andererseits führe die Idee der E-Medikation ad absurdum, wenn Patienten über das Elga-Portal Medikamente verbergen können, wie es derzeit der Fall ist. Der Hausärzteverband trete daher für eine Opt-in-Option ein - diese dann aber mit der verpflichtenden Nennung aller Medikamente, heißt es zur "Wiener Zeitung". Dass Ärzte mit Mehrkosten von durchschnittlich 7000 Euro konfrontiert seien, um die technischen Voraussetzungen für Elga zu schaffen, sei ebenfalls untragbar.

Der Hauptverband relativiert. "Für den Probebetrieb in Deutschlandsberg haben die Ärzte 500 Euro Aufwandsentschädigung bekommen", heißt es auf Nachfrage, "und für die Zukunft hat das Ministerium eine Anschubfinanzierung von 1000 Euro in Aussicht gestellt." Das ist den Ärzten freilich zuwenig - laut Hauptverband ungerechtfertigterweise. Denn Ärzte seien als Vertragspartner freiberufliche Unternehmer, die in ihrem eigenen und dem Interesse ihrer Patienten mit der modernen Kommunikation mithalten sollten.

Patientenanwalt Gerald Bachinger macht jedenfalls Druck. Denn bei der Einnahme von drei Medikamenten seien drei Wechselwirkungen möglich. Bei fünf Medikamenten zehn. "Gesundheit und Leben der Patienten sind gefährdet", sagte er. Jeder Tag, der hier verzögert wird, sei einer zu viel.

Die E-Medikation ist eine der Kernanwendungen der Elektronischen Gesundheitsakte (Elga). Dabei werden vom Arzt und Apotheker verordnete und rezeptfreie Medikamente auf einer Datenbank gespeichert. Die Daten sind über die E-Card abrufbar. Mithilfe einer Software kann der Arzt Wechselwirkungen erkennen. Der Patient kann über das Elga-Portal (www.gesundheit.gv.at) Einblick in seine Liste bekommen. Derzeit sind laut Hauptverband 8,4 Millionen E-Cards aktiv. 247.000 haben sich von Elga abgemeldet.

Die E-Medikation ist eine der Kernanwendungen der Elektronischen Gesundheitsakte (Elga). Dabei werden vom Arzt und Apotheker verordnete und rezeptfreie Medikamente auf einer Datenbank gespeichert. Die Daten sind über die E-Card abrufbar. Mithilfe einer Software kann der Arzt Wechselwirkungen erkennen. Der Patient kann über das Elga-Portal (www.gesundheit.gv.at) Einblick in seine Liste bekommen. Derzeit sind laut Hauptverband 8,4 Millionen E-Cards aktiv. 247.000 haben sich von Elga abgemeldet.