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Dilettantisch oder die Stimme des Volkes?

Von Petra Tempfer

Politik

Der emotional aufgeladene Prozess gegen den Amokfahrer von Graz befeuerte die Kritik an Geschworenengerichten.


Der Amokfahrer von Graz ist zu trauriger Berühmtheit gelangt. Im Sommer des Vorjahres war er mit seinem Auto durch die Grazer Innenstadt gerast und hatte dabei drei Menschen getötet. Gestern wurde er (nicht rechtskräftig) zu lebenslanger Haft verurteilt, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen und somit für zurechnungsfähig erklärt. Es war ein Geschworenengericht, das darüber entschieden hatte.

Genau hier stellt sich in neu aufgeflammter Intensität die Frage, ob dieses Urteil die gewichtige Stimme des Volkes repräsentiert - oder einfach nur dilettantisch aus dem Bauch heraus erfolgte. Denn es lag in den Händen von acht Laienrichtern, darüber zu urteilen, ob Alen R. zu einer Haftstrafe verurteilt werden konnte, was nur bei Zurechnungsfähigkeit möglich ist. Bei Zurechnungsunfähigkeit wäre er für unbestimmte Zeit in den Maßnahmenvollzug gekommen.

Das nun erfolgte Urteil könnte freilich für Opfer und Angehörige eine gewisse Genugtuung bedeuten, weil Alen R. nun mit lebenslanger Haft bestraft wird. Dass ihm zuvor bereits zwei Psychiater in ihren Gutachten Zurechnungsunfähigkeit bescheinigt hatten und nur einer Zurechnungsfähigkeit, scheint für die Geschworenen irrelevant gewesen zu sein - aber nur theoretisch. Denn jedes Papier, jeder Zeuge, jedes Video über den Fall, womit die Geschworenen tagtäglich konfrontiert waren, beeinflusste diese. Und freilich auch die Medien.

Kann ein Geschworenengericht dann überhaupt gerecht urteilen? Oder ist deren Entscheidung verantwortungslos? Geschworene haben nie Akteneinsicht, sie müssen ihre Entscheidung per Stimmenmehrheit nicht begründen, was diese schwer überprüfbar macht. Bei Stimmengleichheit gilt: Im Zweifel für den Angeklagten. Nur wenn die drei Berufsrichter, die anschließend über das Strafausmaß entscheiden, einstimmig meinen, dass die Geschworenen geirrt haben, können sie den Wahlspruch aussetzen.

Und dennoch repräsentieren die Geschworenen die Stimme des Volkes und sind somit eine wesentliche Säule des Rechtsstaates, heißt es von den einen. Durch sie werden etwaige Absprachen zwischen Richter und Staatsanwalt unterbunden. Mit ihnen wird dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung Rechnung getragen. Und sich von Medien und Meinungsbildnern abzuschotten, ist ohnehin unmöglich - und zwar auch für Berufsrichter.

Dann gibt es aber auch die anderen. Die, die das Geschworenengericht selbst anprangern, weil diese acht Personen, deren Stimme bei Prozessen mit hohen Strafen wie Mordprozessen über Schuld oder Nichtschuld entscheidet, per Zufallsprinzip ausgewählt werden. Das heißt, es sind Desinteressierte genauso darunter wie Menschen ohne juristische Vorbildung. Denn Geschworener zu sein, gilt als Bürgerpflicht. Sobald man dazu bestellt wird, kann man nur in Ausnahmefällen davon befreit werden. Zum Beispiel, wenn es eine unverhältnismäßig starke persönliche oder wirtschaftliche Belastung darstellen würde.

In Deutschland schlägt man sich mit Fragen wie diesen jedenfalls nicht mehr herum: Die 1848 ins Leben gerufenen Geschworengerichte wurden 1924 abgeschafft. In Österreich gibt es sie mit einer kurzen Unterbrechung während der Zeit des Nationalsozialismus seit 1873. Aber so sehr das Thema Geschworenengerichte hierzulande auch polarisieren mag, so pragmatisch holt einen die Quote, wie viele Angeklagte zu Unrecht verurteilt werden, auf den Boden der Tatsachen zurück: Sie ist laut der österreichischen Richtervereinigung bei Geschworenen und Richtern gleich. Letztendlich kommt die Kritik an Geschworenengerichten vermutlich stets von der Seite, die verloren hat.