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Der Fall Schnizer

Von Katharina Schmidt

Politik

Justizminister Brandstetter: Höchstgerichte haben sich aus der Parteipolitik herauszuhalten.


Wien. Beinahe wäre der Saal voll gewesen. Aber einer der reservierten Sessel blieb leer. Wie erwartet ist Johannes Schnizer am Freitag dem Festakt zum 96. Geburtstag der Verfassung im Verfassungsgerichtshof ferngeblieben. Die Aufregung um den Höchstrichter in der vergangenen Woche war wohl einfach zu viel.

Wie konnte es so weit kommen? Es geht - wieder einmal - um die vom VfGH im Juli aufgehobene Bundespräsidentenstichwahl. Während Präsident Gerhart Holzinger auch nach den teilweise sehr scharfen Angriffen auf das Erkenntnis des Höchstgerichts nicht zur Verteidigung desselben ausrücken wollte, trat Schnizer im "Falter" und im ORF an, dies zu tun. Doch der Schuss ging nach hinten los: Die von Schnizer in den Interviews angeführten Gründe für die Aufhebung der Wahl verpufften in der Erinnerung - denn gleichzeitig erklärte der Verfassungsrichter, dass er persönlich glaube, die Freiheitlichen hätten die Wahlanfechtung von langer Hand vorbereitet. Er selbst werde im Übrigen bei der verschobenen Stichwahl-Wiederholung wieder Alexander Van der Bellen wählen - "wie das letzte Mal". Damit wagte sich der ehemalige Kabinettschef Alfred Gusenbauers weit aus der Deckung und lieferte der FPÖ eine Steilvorlage: Anwalt Dieter Böhmdorfer wollte ihn ob dieser "unfassbaren strafrechtlichen Vorwürfe" gar klagen, ruderte dann aber zurück. Laut Medienberichten sollen einige von Schnizers Richterkollegen gar seinen Rücktritt gefordert haben. Ein Amtsenthebungsverfahren wird es aber wohl nicht geben. Denn dafür verlangt das Verfassungsgerichtshofgesetz unter anderem, dass sich ein Richter durch sein Verhalten "der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig" zeigt.

Trotz seiner Abwesenheit hing Schnizers missglückter Kommunikationsversuch beim Verfassungstag am Freitag unausgesprochen in der Luft. In seiner Begrüßungsrede etwa erklärte Holzinger, der VfGH in der Tradition des Schöpfers der Verfassung, Hans Kelsen, sei ein Ort, an dem "politische Konflikte in rechtliche Konflikte transferiert werden". Und das funktioniere nur, wenn sich dieser als "parteiunabhängiges und in jeder denkbaren Hinsicht unparteiisches Gericht" positioniere. Kanzleramtsminister Thomas Drozda wurde ein wenig deutlicher: Er würdigte zwar die "Art und Weise, wie der VfGH mit der Wahlanfechtung umgegangen ist" und sich "nicht vom öffentlichen Erwartungsdruck beeinflussen ließ". Allerdings betonte er neuerlich seinen Wunsch nach einer "Dissenting Opinion" - also der Veröffentlichung abweichender Stellungnahmen bei Entscheidungen der Höchstgerichte. Denn damit würde man einen demokratischen Diskurs ermöglichen. Und: Die letzten Tage hätten gezeigt, dass Entscheidungen des VfGH unmittelbare demokratiepolitische Auswirkungen haben.

Brandstetter vs. Drozda

Die ÖVP will davon nichts wissen. "Die Entscheidung eines Richtersenats ist immer mehr als die Summe der Einzelrichter", sagt dazu Justizminister Wolfgang Brandstetter der "Wiener Zeitung". Deswegen sei es nicht sinnvoll, Einzelmeinungen zu veröffentlichen. Außerdem sei es die Aufgabe eines Höchstgerichts, für Rechtsfrieden zu sorgen - "aus rechtsstaatlichen Gründen ist es daher nicht sinnvoll, die Autorität der Höchstgerichte zu untergraben", so Brandstetter weiter. Angesprochen auf Schnizers Wortmeldung meinte der Minister, die Aufgabenstellung an die Höchstgerichte sei es, sich "grundsätzlich aus der parteipolitischen Debatte herauszuhalten". Es sei aber nicht die Aufgabe des Justizministers, zu kommentieren, auf welche Weise sie das tun.

Gerade in der Causa Schnizer hätte die Veröffentlichung der abweichenden Meinung übrigens nichts gebracht. War es doch Schnizer selbst, der in der Wahlanfechtungsverhandlung besonders kritische Fragen in Richtung Grünen und Wahlbehörde stellte. Er war es auch, der mit dem Verweis auf Kelsens Erkenntnis aus 1927, wonach die bloße Möglichkeit der Manipulation ausreicht, um eine Wahl aufzuheben, während der Verhandlung den ersten Hinweis in Richtung Erkenntnis gab. Manche glauben, dass sich Schnizer für den 2017 neu zu besetzenden Posten des VfGH-Präsidenten in Stellung bringen wollte. Das ist wohl schiefgegangen.