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"Die Cannabispflanze ist eine wahre Chemiefabrik"

Von Werner Reisinger

Politik

Der Schweizer Cannabisforscher Rudolf Brenneisen über Chancen und Risiken von Medizinalhanf.


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© Christoph Liebentritt

Wien. Während in der Schweiz und Deutschland längst eine intensive Debatte über Cannabis als Medizin geführt wird, hat das Thema Medizinalhanf Österreich gerade erst erreicht. Obwohl die jahrtausendealte Heilpflanze laut Experten enormes medizinisches Potenzial birgt, ist Cannabis in Österreich nach wie vor als Suchtmittel stigmatisiert. Prinzipiell ist es Patienten zwar möglich, künstlich hergestellte Medikamente auf Cannabisbasis, wie Dronabinol oder Sativex, zu erhalten. Die Kosten für die Präparate aber sind hoch, die Krankenkassen übernehmen sie in den seltensten Fällen. Viele versorgen sich am Schwarzmarkt mit Cannabis.<p>Der Schweizer Pharmakologie-Professor und Cannabisforscher Rudolf Brenneisen will die Pflanze "zurück in die Apotheken" bringen.

<p>"Wiener Zeitung":In Österreich benötigt man ein sogenanntes "Suchtgiftrezept", um an Medikamente auf Cannabisbasis wie synthetisches THC (Hauptinhaltsstoff der Pflanze, Anm.) zu gelangen. Gibt es hinsichtlich des allgemein steigenden Konsums dafür nicht gute Gründe?<p>Rudolf Brenneisen: Für mich ist es aus ethisch-medizinischer Sicht unhaltbar, wenn sich ein Patient sein Medikament, mit dem er gute Erfahrungen gemacht hat, illegal auf der Straße besorgen muss. Qualität und Zusammensetzung, die Gewichtung der Wirk- und Inhaltsstoffe sind so nicht bekannt, die Patienten wissen auch nicht, ob das Cannabis mit Pestiziden behandelt wurde. Der Bedarf ist aber gegeben. Die Situation für Patienten, die Cannabis konsumieren, ist in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich sehr restriktiv - in Frankreich noch restriktiver. Deshalb denke ich, dass kontrolliert produziertes Cannabis, von dem man so auch die genaue Zusammensetzung kennt, in die Apotheken kommen soll.<p>Warum? Es gibt ja bereits Medikamente.<p>Dronabinol ist nichts anderes als synthetisches, hochreines THC. Da es synthetisch hergestellt wird, ist es eben entsprechend teuer. Der Fokus auf den Hauptwirkstoff ist aber nur die halbe Wahrheit: Bis jetzt sind uns 500 Inhaltsstoffe der Cannabispflanze bekannt, dennoch nimmt man den Hauptwirkstoff heraus und alles dreht sich darum. Von allen anderen Stoffen sind uns Wirkung und gegenseitige Beeinflussung, ob positiv oder negativ, bis jetzt nur bruchstückhaft bekannt. Cannabis ist eine wahre Chemiefabrik.<p>Es scheint, dass die Skepsis gegenüber klassischen Medikamenten zunimmt, während um die natürliche Cannabispflanze ein neuer medizinischer Hype entsteht. Warum?<p>Wir erleben aktuell eine Hochstilisierung der Natur. Ich erlebe das auch oft in Gesprächen mit Patienten - viele denken, wenn etwas aus dem Labor kommt, kann es nicht gut sein; ist es natürlich, muss es gut sein. Das stimmt natürlich nicht. Wenn man aber beim Patienten die Wirkung von synthetischem mit der von natürlichem Cannabis vergleicht, so gibt es keinerlei Unterschiede. Dennoch existiert diese Wahrnehmung, der wir mit gezielter Information entgegentreten wollen. Es gibt für mich kein Entweder-oder in dieser Frage, sondern nur ein Sowohl-als-auch.<p>Die Diskussion über Medizinalhanf wird in Österreich immer vor dem Hintergrund der Frage nach Entkriminalisierung geführt. Ist es da nicht kontraproduktiv, den Verkauf von natürlichem Cannabis in Apotheken zu fordern?<p>Der angesprochene Hype macht es uns als Wissenschaftern nicht leichter. Und natürlich sind hier Personen, die als Alibi vorschützen, sie hätten Migräne und deshalb Cannabis konsumieren wollen, ein Problem. Die Abgabe im medizinischen Sinn müsste strikt vom Freizeitkonsum getrennt werden. Für den Freizeitkonsum müssten aber - Stichwort Socialclubs - die selben hohen Standards wie im medizinischen Bereich gelten. Nehmen wir das Beispiel Israel: Rund 25.000 Patienten erhalten dort Cannabis auf Rezept, die meisten von ihnen natürliches Cannabis. Es gibt dort absolut hochkarätige Produzenten und andererseits eine äußerst strenge Regulierung - Freizeitkonsum ist absolut tabu. Dennoch ist es ein enormer administrativer Aufwand für die Ärzte, Cannabis zu verschreiben. Viele scheuen diesen, und Ähnliches können wir auch hier in Europa beobachten. In der Schweiz brauchen wir für jedes Cannabisprodukt, das über ein Prozent THC enthält, diese Sonderbewilligungen. Oft sind aber Produkte mit einem höheren THC-Gehalt therapeutisch notwendig.<p>Wieso bewegt sich, trotz intensiver Debatten, in der praktischen medizinischen Anwendung von Cannabis wenig?<p>Was wir vor allem haben, ist ein stetig wachsender Pool von medizinischen Indikationen, die wir über Patientenbefragungen gewinnen. Es sind auch die Patienten selbst, die durch Medienberichte aufmerksam werden und nach Cannabis verlangen. Wenn man ein neues Medikament - und das wäre so gesehen Cannabis in der Apotheke - zulassen will, braucht es klinische Studien, jede Sorte dun jedes Produkt muss genau erforscht sein. Dafür brauchen wir eine Menge Geld, es braucht potente Sponsoren. In der Schweiz gibt es dafür auch öffentliche Mittel. Es ist aber nicht richtig, dass Pharmakonzerne nicht an Cannabis interessiert sind, weil sie es natürlich nicht patentieren lassen können. Speziell im Bereich chronische Schmerzen gibt es bei vielen Konzernen ein Umdenken, man erkennt das enorme Potenzial der Substanz Cannabis und versucht, es für die eigene Produktion und Entwicklung zu nutzen.<p>Eine Monopolsituation wie in Österreich, wo nur die Agentur für Ernährungssicherheit Cannabis produzieren darf, halte ich jedoch für problematisch.

Zur Person:

Rudolf Brenneisen (67) ist Professor der Pharmazie und gilt als einer der international führenden Cannabisforscher. Er arbeitete als externer Chemiker und Analyst für die US-Drogenbehörde DEA und war von 1998 bis 2014 Forschungsgruppenleiter im Departement Klinische Forschung an der Universität Bern. Er ist Mitglied der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin, die den hochrangig besetzten Kongress "Cannabinoide in der Medizin - Neue Trends" am 12. November in Bern organisiert.

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