Zum Hauptinhalt springen

Wir und die anderen

Von Werner Reisinger

Politik

Ein inklusiver, offener Patriotismus hat in Österreich keine Chance. Abgrenzung dominiert die eigene Identität. Eine Analyse.


Wien. Österreich, das ist nach wie vor ein exklusiver Klub. Stolz sind die Österreicher auf Dinge, deren Existenz nicht in ihrem Schaffensvermögen liegen: Schöne Landschaften, ländliche Vielfalt, die Qualität der Natur rangieren in Umfragen zum Nationalbewusstsein stets an vorderster Stelle. Die österreichische Verfassung, die politischen Errungenschaften der Zweiten Republik hingegen finden, wenn, dann in Form ohnehin durch geschichtspolitische Tradition und Praxis im kollektiven Bewusstsein bestens verankerte Erinnerungstopoi wie Neutralität und Staatsvertrag ihren Niederschlag.

Eine offene, sich über das Bekenntnis zum politischen System und die damit verbundenen Freiheiten definierende Gemeinschaft, wie sie westeuropäische Staaten wie Frankreich oder Großbritannien hervorgebracht haben, ist Österreich nicht. Österreicher sein, das definiert sich - mit einer gehörigen Portion Ambivalenz - auch 2016 über die Herkunft, den Nachnamen, in zunehmendem Maße auch über imaginierte oder tatsächliche kulturell-religiöse Abgrenzung. Was macht österreichischen Patriotismus aus? Wieso ist es nicht gelungen, einen positiven und inklusiven Patriotismus abseits chauvinistischer Stereotype zu etablieren? Nationalbewusstsein in Österreich ist historisch gesehen in zweifacher und hier in widersprüchlicher Hinsicht mit dem Nachbarn Deutschland und dem deutschen Sprachraum zu verstehen. Die deutschsprachigen Gebiete der Habsburger-Monarchie sahen sich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert als Eliten im Vielvölkerstaat. Das Austarieren der steigenden nationalen Ansprüche durch das katholische Herrscherhaus quittierte eine stetig wachsende Zahl von über ihre Vormachtstellung Besorgten mit einer Abwendung von den Habsburgern und vom Katholizismus sowie mit einer Hinwendung zum protestantischen Deutschland.

Österreich, das war der Staat, in dem "die Slawen" nach Gleichberechtigung strebten, man selbst sah sich deshalb vor allem als "deutsch". Speziell in den Grenzregionen des Südens sah man sich als Bollwerk gegen die als Bedrohung wahrgenommen Slawen, wie dies der Slawist Martin Pollack in seinem Buch "Der Tote im Bunker" anhand seiner eigenen Familiengeschichte treffend aufzeigt. Nicht selten führte der anti-österreichische Identitätsdiskurs in Kärnten, der Steiermark und Oberösterreich in eine radikal deutschnationale, völkische, schließlich in rassistische und nationalsozialistische Ideologie. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall der Monarchie ("der Rest ist Österreich") wurden der Unglaube an die österreichische Nation, die Sorge um deren Überlebensfähigkeit und die Angst vor den Nachbarn im Osten noch weiter dynamisiert. Einem exklusiven Patriotismus wurde so ein Grundstein gelegt; einem positiven Patriotismus, der geografischen Lage und dem interkulturellen Erbe des Landes verpflichtet, wurde die Grundlage entzogen. Dass stattdessen Abgrenzung nach Osten identitätsstiftend wirkte, zeigt sich überdeutlich in der Namensgebung der Ersten Republik: Deutsch-Österreich.

Auch bedingt durch die Opfer-Doktrin in den Jahren nach dem Ende der NS-Zeit verkehrte sich dieser Deutsch-Patriotismus nach 1945 in sein Gegenteil. Österreich wurde immer stärker zu Nicht-Deutschland. In einer großen identitätspolitischen Offensive bemühten die Parteien der Nachkriegszeit Stereotype der Habsburgerzeit, in Sissi-Filmen, in der Kunstwelt und in der Popularkultur wurde den Österreichern ein romantisierter Rückgriff auf die Monarchie als eine alte, neue Identität präsentiert. Gegenüber den östlichen Nachbarn sorgte ein radikaler Antikommunismus für eine Transformation anti-slawischer Ressentiments. Die politischen Anstrengungen dieser Zeit wirken bis heute nach: Hofburg, Kaiser Franz Joseph und Sissi sind für die Österreicher noch immer ein fixer Bezugspunkt, von der Außenwahrnehmung ganz zu schweigen.

Dennoch gibt es, wie der Historiker Oliver Rathkolb schreibt, im Rückblick kaum vergleichbare Länder, die eine so rasche Identitätsbildung einer kleinstaatlich organisierten Gesellschaft aufweisen, und das trotz der Traumata der beiden Weltkriege und des Verlusts des Großmachtstatus. In den 1970er Jahren erreichte durch die aktive Außenpolitik Österreichs unter Bruno Kreisky die Neutralität den Höhepunkt ihrer Bedeutung für die österreichische Identität; Wirtschaftswachstum, Sozialstaat und soziale Sicherheit kamen als Bezugsgrößen hinzu. Wann immer es in der Zweiten Republik galt, den Nachbarn zu helfen, nutzte Österreich die Chance auch zum Zweck der eigenen Profilschärfung. Wann immer aber Österreich mit Migrationsbewegungen konfrontiert war, die dauerhaften Zuzug zur Folge hatten, machte sich in Österreich eine politische Kultur mit schwach ausgeprägter demokratischer Tradition sowie ein relativ schwaches zivilgesellschaftliches Bewusstsein bemerkbar. Seit der frühen Nachkriegszeit gehört autoritäres Denken zu Österreich, erst in jüngster Zeit erodiert das Obrigkeits- und Ordnungsdenken zusehends.

Während das Selbstbild der Österreicher als Nicht-Deutsche stärker wurde, bediente der ideologische Kern der politischen Rechte weit über die Nachkriegszeit hinaus die Zweifel an der Lebensfähigkeit Österreichs und hielt deutschnationale Traditionen hoch. Noch in den späten 1980er Jahren sprach Jörg Haider von Österreich als "ideologischer Missgeburt" - dann, plötzlich, der Schwenk auf eine Selbstdarstellung als Österreich-Verteidiger, als wahre Patrioten. Die Linke, so scheint es, hat den Kampf um einen offenen und inklusiven Patriotismus aufgegeben. Patriotismus, sagt Martin Pollack, sei in den letzten Jahren zu einem Schimpfwort verkommen. Die nationalistisch-patriotische Konjunktur in Osteuropa berge für Österreich und seinen von der Rechten besetzten Patriotismus eine Ansteckungsgefahr, befürchtet der Historiker. Der xenophobe Verteilungskampf rund um die Flüchtlingsbewegung, die Suche nach der regionalen Heimat als Illusion von Sicherheit tun ein Übriges. Ein inklusives, offenes Wir-Gefühl, das Österreich dringend brauchen könnte, liegt in weiter Ferne.