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Die verlorene Debatte

Von Jan Michael Marchart

Politik

Mehr als zwei Jahre nach der parlamentarischen Debatte ist es um das Thema Sterbehilfe in Österreich ruhiger geworden.


Wien. Mehr als ein halbes Jahr lang beschäftigten sich Experten und Politiker in Österreich mit einem unangenehmen Thema, das im Alltag gerne weggeschoben wird: mit dem Ende des Lebens. Die Regierung einigte sich rasch auf den Ausbau der Palliativ- und Hospizeinrichtungen, die ein Sterben ohne Schmerzen ermöglichen. Im März 2015 wurde der Beschluss der von SPÖ und ÖVP eingesetzten parlamentarischen Enquete-Kommission festgeschrieben und veröffentlicht. Dann wurde es still um die wichtigen Fragen über ein möglichst selbstbestimmtes Sterben. Die öffentliche Debatte verhallte so schnell, wie sie gekommen war - zwischen Politikpräferenzen wie Hypo und Wahlsonntagen.

Auch der Beschluss des deutschen Bundestages im Herbst 2015, der die geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland unter Strafe stellte, fand hierzulande kein Echo. Die Ruhe wurde von einem Gerichtsfall aus Salzburg unterbrochen. Dieser zeigte die Unsicherheiten der heimischen Gesetzgebung bei der Versorgung am Lebensende. Ein Anästhesist musste sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten, weil er einer sterbenden Frau eine zu hohe Dosis Morphium verabreicht haben soll. Morphiumgaben zur Symptomlinderung gehören für Palliativmediziner aber zum Alltag. Der Prozess am Landesgericht Salzburg ist noch nicht zu Ende. Nach zwei Sitzungen wurde dieser auf unbestimmte Zeit vertagt. Ein Gutachter soll klären, ob der Arzt sorgfältig gehandelt hat. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Über Fälle wie diese wird seit Dezember des Vorjahres in einem mit Experten gespickten Hospiz- und Palliativforum der Regierung diskutiert. Die Sterbehilfe-Debatte findet praktisch hinter verschlossenen Türen statt. Einer der Experten ist Harald Retschitzegger, Leiter der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG). Das Forum habe im Zuge des Salzburger Falls einen Antrag an das Gesundheitsministerium gestellt. Mit einer Gesetzesänderung sollen Palliativmediziner mehr Rechtssichereit bekommen. "Es muss klar sein, wenn man nicht um jeden Preis Leben verlängert, nichts Verbotenes tut", sagt Retschitzegger. "Ärzte, die nach den Qualitätsstandards arbeiten, sollen keine Angst vor juristischen Konsequenzen haben müssen." Die Antrag wird im Ministerium derzeit geprüft.

Ungeregelte Finanzierung

Die allgemeine Debatte über die Sterbebegleitung sei für Retschitzegger "nicht weg". Sie würde nur in der Öffentlichkeit im Moment nicht so groß diskutiert werden. "Das sehe ich aber nicht als Problem", sagt der Palliativmediziner. "Seit der Diskussion im Parlament wissen wir, was es braucht. Jetzt müssen die festgelegten Punkte umgesetzt werden."

Was es brauche, sei der Ausbau der Palliativ- und Hospizeinrichtungen. Dafür sollen 2016 und 2017 je 18 Millionen Euro investiert werden. Details zur Finanzierung sollen die laufenden Verhandlungen zum Finanzausgleich bringen.

Waltraud Klasnic, eine der Vorsitzenden des Hospiz- und Palliativforums, kann über den Status quo der Verhandlungen nichts sagen. Aber aus ihrer Sicht bewege sich bei der Sterbebegleitung an sich einiges. Das Forum erarbeite derzeit einen Plan zur Regelfinanzierung. Denn die Geldvergabe im Palliativ- und Hospizbereich ist in jedem Bundesland anders geregelt und sei nicht gesichert.

Die Sterbebegleitung ist stark von Spenden und ehrenamtlichen Mitarbeitern abhängig. Aber selbst wer ehrenamtlich arbeiten möchte, stößt auf Hürden: "Manche Bundesländer zahlen Zuschüsse, manche nicht. In Wien bekommt man keinen", sagt Klasnic. "Und sich die Ausbildung selber zu zahlen, ist nicht für jeden leistbar."

Um die zugegeben schwierige Diskussion um eine Liberalisierung der Judikatur machte die Enquete-Kommission einen großen Bogen. Die Suizid-Assistenz wurde bereits im Vorfeld abgelehnt. Für die SPÖ war das Thema "zu heiß" und die ÖVP wollte sogar ein Sterbehilfeverbot in der Verfassung verankern. Dagegen gab es juristische Bedenken und den Zeitgeist Europas. Die Tendenz geht in Richtung selbstbestimmten Sterbens. Die nötige Zweidrittelmehrheit konnte die ÖVP nie erreichen.

Kurzweilige Debatte

Erst nach der Enquete, im März des Vorjahres, meldete sich die SPÖ zu Wort und wollte über eine Straffreiheit bei der Beihilfe zum Suizid sprechen. Wenig später empfahl die Mehrheit der Bioethikkommission, den Passus straffrei zu stellen, wenn der Patient an einer zum Tode führenden Erkrankung leidet und ein Sterben absehbar ist. Damit endete die Debatte in Österreich, während die Fraktionen im deutschen Bundestag darüber diskutierten, ob Ärzte Sterbehilfe leisten dürfen oder nicht und unter welchen Voraussetzungen.

In Österreich droht für die Beihilfe zum Suizid wie bei der Tötung auf Verlangen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Die Ärztekammer steht einer Liberalisierung negativ gegenüber. Die Beihilfe zum Suizid entspreche nicht dem ärztlichen Ethos.

In Österreich gibt es laut dem Dachverband Hospiz derzeit 314 Hospiz- und Palliativeinrichtungen für schwerkranke und sterbende Menschen. 2015 wurden drei Palliativstationen, davon zwei in Niederösterreich und eine in Oberösterreich, neu errichtet.