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Nur ein kleiner Schubs

Von Katharina Schmidt

Politik

"Nudging" funktioniert bei Elefantenbabys - aber auch bei Menschen? Reinhold Mitterlehner will darauf setzen.


Wien. Barack Obama hat es getan. David Cameron auch. Und Angela Merkel. Jetzt will Reinhold Mitterlehner nachziehen. In seiner Rede zur Lage der Nation vor knapp zwei Wochen erklärte der ÖVP-Chef und Vizekanzler, dass das sogenannte Nudging in Zukunft auch in der österreichischen Politik eine größere Rolle spielen soll.

Der Begriff kommt aus der Verhaltensökonomie, zusammengefasst geht es dabei darum, Menschen nicht durch angedrohte Sanktionen zu einem bestimmten erwünschten Verhalten zu zwingen, sondern sie mit Hilfe kleiner Anstöße (aus dem Englischen: "to nudge someone" - jemanden anstupsen) so zu lenken, dass sie sich selbst dazu entscheiden. Ein oft dafür verwendetes Bild ist jenes der Elefantenmutter, die ihr Junges zwar nicht ans Wasserloch zwingt, aber durch sanfte Stöße mit dem Rüssel in die richtige Richtung geleitet. Erstmals aufgekommen ist der Begriff durch die beiden Wissenschafter Cass Sunstein und Richard Thaler, die sich in ihrem 2008 erschienenen Buch "Nudge" mit dieser vorsichtig paternalistischen Beeinflussung von Menschen auseinandersetzen. 2010 gründete der britische Premier Cameron ein eigenes "Behavioural Insights Team" in der Downing Street, das sich - mittlerweile teilprivatisiert und auf 60 Mitarbeiter angewachsen - Gedanken darüber macht, wie die Briten gestupst werden können.

Ein berühmtes Beispiel ist auch das Bild einer Fliege, das in den Urinalen am Amsterdamer Flughafen Schiphol angebracht wurde: Damit sollen die Männer zum besseren Zielen animiert und so die Toilettenreinigung erleichtert werden. Andere international erprobte Nudges sind etwa Hinweise auf Stromrechnungen, wie viel mehr Strom der Haushalt gegenüber den Nachbarn verbraucht hat, oder grüne Pfeile auf öffentlichen Flächen, die zu Mistkübeln führen. Durch Ersteres konnte in den USA der Stromverbrauch reduziert werden, Zweiteres führte in Dänemark zu weniger achtlos weggeworfenem Müll.

Alle wollen die Fliege treffen

Bei all diesen Testprojekten machen sich die Forscher die Tatsache zunutze, dass die meisten Entscheidungen spontan und emotional getroffen werden. Und wer möchte nicht wissen, wohin ein Pfeil führt, weniger Strom als sein Nachbar verbrauchen oder versuchen, die Fliege im Pissoir zu erwischen?

So harmlos und fast spielerisch das klingen mag: Immer wieder weisen Kritiker auch darauf hin, dass eine derartige Beeinflussung zu sehr in die Entscheidungskompetenz der Bürger eingreife. Als das deutsche Kanzleramt 2015 drei Stellen in dem Bereich ausschrieb, zitierte die "Zeit" den Chef des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, Gerd Gigerenzer: Nudging sei ein Versuch, die Menschen von außen zu steuern, ohne ihre Kompetenz zu erhöhen - ganz nach dem Muster der ehemaligen DDR.

Bevormundung des Bürgers also? Oder gar staatlich sanktionierte Manipulation? Der Präsident des Instituts für höhere Studien, Martin Kocher, selbst Verhaltensökonom, hält diese Kritik für völlig übertrieben. Es sei "naiv zu glauben, dass Beeinflussung überhaupt nicht passiert", sagt er zur "Wiener Zeitung". Es gebe immer Möglichkeiten der Manipulation, Unternehmen würden das jetzt schon nützen: "Sämtliche Verträge werden so gemacht." Natürlich dürfe man die Menschen nicht zu viel an der Hand führen, "sonst verlieren sie die Fähigkeit, selbst zu entscheiden".

Aber es gebe nun einmal gewisse Punkte, in denen man nicht neutral agieren kann. Ein Beispiel: Entweder man ist Organspender oder nicht. Während man in Deutschland erst aktiv Organspender werden muss, ist in Österreich jeder Organspender - außer, er widerspricht. Durch diese "Voreinstellung" ("Default") ist die Zahl der Organspenden in Österreich höher als in Deutschland. Wichtig sei, dass Nudges transparent und offen kommuniziert werden und Voreinstellungen einfach umgestellt werden können. "Nudging ist eine extrem sanfte Form der politischen und gesellschaftlichen Beeinflussung", sagt Kocher. "Man lässt alle Handlungsansätze offen, wählt aber die Variante, von der man annimmt, dass sie im Sinne des Entscheiders ist."

Eigene Einheit am IHS

Kocher soll auf Initiative des Wissenschaftsministers ein Kompetenzzentrum mit zunächst zwei bis drei Mitarbeitern am IHS aufbauen, das über Anreizmechanismen für Bürger und Verwaltung nachdenkt. Die Einheit soll allen Ministerien zur Verfügung stehen und - geht es nach dem IHS-Chef - im kommenden Frühjahr starten. Bereits jetzt gibt es einen kleinen Beirat im Familienministerium, dem Kocher angehört und der sich etwa Gedanken dazu macht, wie mehr Väter in die Karenz gestupst werden können.

Das Wissenschaftsministerium kann sich auch Nudges zur Verringerung der Schwarzfahrerquote oder Erhöhung der Durchimpfungsrate vorstellen. Noch im November soll an der Uni Wien ein Projekt gestartet werden, mit dem Studierende zum zügigen Studienfortschritt motiviert werden sollen. Dabei wird etwa per E-Mail der Studienfortschritt im Vergleich zu anderen mitgeteilt.

"Wir wollen positiv steuern, anstatt mit negativen Konsequenzen zu drohen. Daher setzen wir Anreize, um die Bürger stärker einbinden und ihnen mehr persönlichen Gestaltungsraum als aktive Staatsbürger geben", sagt Mitterlehner. Auch er betont, dass die Wahlfreiheit der Bürger im Vordergrund stehe.