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"Für mich war Schule eine transformative Erfahrung"

Von Bettina Figl aus Washington D.C.

Politik

US-Bildungsminister John King über Studienkredite, frühkindliche Erziehung und wie die Schule sein Leben rettete.


"Wiener Zeitung": Studienkredite waren ein viel diskutiertes Thema im Präsidentschaftswahlkampf. Präsident Barack Obama hat seinen Kredit bis 2004 zurückbezahlt, damals war er Senator im US-Staat Illinois. Haben Sie Ihre Uni-Schulden schon abbezahlt?John King: Nein, noch nicht. Meine Frau und ich haben in Harvard studiert, und wir hoffen, dass wir die Schulden abbezahlt haben, bevor unsere Töchter aufs College gehen.

Welche Maßnahmen haben Sie als Bildungsminister in diesem Bereich gesetzt?

Wir haben 60 Milliarden Dollar, die sonst Banken bekommen hätten, als Direktkredite an Studierende vergeben, Pell Grants (staatliche Stipendien für Bachelor-Studierende mit geringem Einkommen, Anm.) um mehr als 1000 Dollar pro Stipendiat erhöht. Es gibt Steuergutschriften und Präsident Obama hat einkommensbezogene Rückzahlungen eingeführt (bei staatlichen Krediten müssen nur maximal zehn Prozent des Jahreseinkommens zurückbezahlt werden, nach 20 Jahren werden die Schulden erlassen, Anm.).

Hillary Clinton will die Gebühren an öffentlichen Colleges für Studierende mit niedrigem Einkommen abschaffen. Bis 2021 soll kein US-Amerikaner mit weniger als 125.000 Dollar Haushaltsjahreseinkommen an öffentlichen Unis Studiengebühren zahlen. Ist das realistisch?

Wir dürfen die Vorhaben der Präsidentschaftskandidaten nicht kommentieren. Aber ich kann sagen, dass Kürzungen der staatlichen Investitionen im Bereich der öffentlichen Universitäten zur Folge hatten, dass Studieren teurer wurde. Diesen Kurs müssen die Bundesstaaten revidieren. Ein Vorschlag von Präsident Obama lautet, Studierenden mit niedrigem Einkommen die Studiengebühren für das zweijährige Community-College zu erlassen - das braucht aber die Zustimmung der Bundesstaaten.

Wieso können Unis ihre Studiengebühren jedes Semester erhöhen?

Unser System ist dezentral. Privatcolleges, Board-Colleges und öffentliche Colleges legen ihre Gebühren eigenständig fest. Im öffentlichen Bereich ist manchmal der Gesetzgeber des Bundesstaates involviert, manchmal Treuhänder. Diese Entscheidungen werden auf lokaler Ebene getroffen.

Durchschnittlich hat ein Studierender in den USA 37.000 Dollar Schulden. Ein Doktorand der Literaturwissenschaften hat mir erzählt, er habe 150.000 Dollar Schulden und Angst, er könnte, wenn er keinen Job findet, obdachlos werden. Ist das eine Gefahr?

Jeder entscheidet selbst, ob er eine teure Uni besucht oder nicht. Studierende an Privatunis haben meist höhere Schulden, finden nach dem Abschluss aber auch gut bezahlte Jobs und können ihre Kredite bezahlen. Oft sind jene, die ihren Kredit nicht zurückzahlen können, mit sehr kleinen Beträgen - im Schnitt weniger als 10.000 Dollar - überfällig. Schließt man die Ausbildung nicht ab, ist die Gefahr, in Kreditverzug zu geraten, dreimal so hoch. Wenn wir öffentliche Ausbildung leistbar machen wollen, dürfen wir nicht auf den Studienabschluss vergessen.

Im neu eröffneten National Museum of African American History heißt es in einem Video: "Wir lernen nicht über Ethnizität in der Form, in der wir es lernen sollten." Wie kann das sein?

Entscheidungen bezüglich des Lehrplans treffen die Schulbezirke - insgesamt gibt es 40.000. Der Staat setzt nationale Standards für Fächer wie Sozialkunde, in dem afro-amerikanische Geschichte und die Bürgerrechtsbewegung besprochen werden. Ich war selbst Sozialkundelehrer. Mir ist es wichtig, dass Schüler mehr über Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe lernen und über die Herausforderungen in der Beziehung zwischen Polizei und Bürgern, und deren geschichtlichem Kontext. Was Schüler lesen, ist ebenfalls sehr wichtig - doch welche Bücher gelesen werden, entscheiden die Schulen.

Sie erzählen oft, Lehrer an öffentlichen Schulen hätten Ihr Leben gerettet. Wie das?

Ich bin in Brooklyn, New York, aufgewachsen. Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war, mein Vater starb, als ich zwölf war. "Zuhause" war immer ein unsicherer, instabiler, angstbehafteter Ort für mich. Während dieser Zeit hatte ich einige Jahre denselben Lehrer, wir lasen jeden Tag die "New York Times", haben die Theaterstücke "Mittsommernachtstraum" und "Alice im Wunderland" aufgeführt, das Nationale Geschichtsmuseum besucht. Ich fühlte mich in der Schule aufgehoben, eingebunden und herausgefordert - sie hat mir Hoffnung auf eine positive Zukunft gegeben. Für mich war Schule eine transformative Erfahrung.

Was sind die größten Herausforderungen für Ihren Nachfolger?

Er oder sie kann auf unsere Erfolge aufbauen. Noch nie gab es so viele High-School-Absolventen wie heuer: 83 Prozent, denn weniger Afro-Amerikaner und Latinos brechen die Schule ab. Mehr Menschen gehen ins College, davon eine Million Afro-Amerikaner und Latinos - nie zuvor waren die Uni-Absolventen so divers wie heuer. Eine Herausforderung ist die frühkindliche Erziehung: 40 Prozent der Vierjährigen besuchen derzeit öffentliche Kindergärten, das müssen wir auf Dreijährige ausweiten. Obama will den Gratis-Kindergarten für Kinder aus Familien mit mittlerem und geringem Einkommen - der Kongress hat diesen Vorschlag noch nicht kommentiert. Es gibt ein neues Gesetz, das garantieren soll, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen gefördert werden. Die Bundesstaaten haben die Aufgabe, dieses neue Gesetz in den nächsten Monaten umsetzen.

Zur Person

John B. King Jr.

Jahrgang 1975, ist der erste afro-
amerikanische und puerto-ricanische Bildungsminister der USA. Zuvor war er ab 2011 Bildungskommissar des Staates New York. Er war Direktor einer High School in Brooklyn und Gründer einer Charter Schule in Massachusetts. Seine Karriere im Bildungssektor begann er als Sozialkundelehrer in San Juan, Puerto Rico, und Boston, Massachusetts.