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Auf ein Neues

Von Simon Rosner

Politik

Eine Einigung bei der Mindestsicherung ist noch nicht vom Tisch. Niederösterreich erhöht aber mit neuer Kürzung den Druck.


Wien. Erst Bildungsreform, dann Gewerbeordnungsreform, zu Beginn dieser Woche nun der neue Finanzausgleich. Was auch immer die Bundesregierung im Herbst an Reformmaßnahmen beschlossen hat, stieß zwar inhaltlich meist auf heftige Kritik, da strukturelle Veränderungen mutmaßlich nur in homöopathischen Dosen enthalten waren. Aber immerhin gab es Beschlüsse. Das ist bei der Mindestsicherung anders.

Bundeskanzler Christian Kern stoppte die Verhandlungen, die seit mehr als einem Jahr im Laufen sind. SPÖ und ÖVP schieben sich wechselseitig die Schuld für das Scheitern zu, die meisten Bundesländer hoffen indessen weiter auf eine bundesweite Einigung und mahnen weitere Gespräche ein. Vor allem Wien ist sehr dahinter, dass es noch zu einer Lösung kommt, schließlich ist die Hauptstadt durch den Zuzug anerkannter Flüchtlinge aus anderen Bundesländern überproportional betroffen. Deshalb pocht Wien seit Monaten auf eine Residenzpflicht für Asylberechtigte, doch die kann es nur mit einer bundesweiten Regelung der Mindestsicherung geben.

Dem Vernehmen nach soll deshalb auf informeller Ebene ein neuer Versuch gestartet werden, Wiens Bürgermeister Michael Häupl habe sich eingeschaltet, heißt es. Was freilich nicht bedeutet, dass Häupl diesen austriakischen Knoten lösen kann. Zu viele unterschiedliche Interessen scheinen einer gemeinsamen Lösung entgegenzustehen.

Was dafür spricht: Wien braucht eine neue 15a-Vereinbarung, um auch eine Residenzpflicht zu erhalten. Aber auch die ÖVP-geführten Länder im Westen wünschen sich eine Bundesregelung. Zwar würden die Landesgesetze zur Mindestsicherung nach Jahreswechsel weiterlaufen, jede von der ÖVP angestrebte Änderung wie eine Reduktion der Geldauszahlungen für Flüchtlinge und eine Deckelung müssten dann aber mit dem Koalitionspartner im Land vereinbart werden - und das sind die Grünen, die sich vehement dagegen sträuben. Ein endgültiges Aus wäre auch eine nicht schönzuredende Pleite für die Regierung.

Es spricht allerdings auch einiges gegen eine Einigung. Erstens dürfte Sozialminister Alois Stöger - weniger inhaltlich als stilistisch - die ÖVP-Verhandler nachhaltig verärgert haben. Zweitens sind Oberösterreich und Niederösterreich bei ihren Plänen weit von den Minimalvorstellungen des rot-grünen Wiens entfernt. Erst am Freitag kündigte Niederösterreichs Finanzlandesrätin Johanna Mikl-Leitner an, den Wohnzuschuss (wie auch die volle Höhe der Mindestsicherung) an die Aufenthaltsdauer in Österreich knüpfen zu wollen.

Kein Wohnzuschuss mehr

Anerkannte Flüchtlinge, die kürzer als fünf Jahre im Land sind, würden demnach künftig nur mehr 572,50 Euro pro Monat erhalten und müssten davon auch die Miete zur Gänze bezahlen, da es keine Beihilfe mehr geben wird. Für viele dürfte sich das als eher unmöglich herausstellen, weshalb mit Abwanderung in andere Bundesländer, vor allem nach Wien, zu rechnen sein wird.

Ein dritter Grund, der für ein Scheitern der bundesweiten Lösung spricht: Es wäre eine riesige Pleite für die Regierung - dieses Argument findet sich also auf beiden Seiten. Denn es ist unübersehbar, dass gewissen Protagonisten ein Versagen in dieser Frage samt der möglichen Konsequenz von Neuwahlen durchaus zupasskäme. Da ist etwa die FPÖ in Oberösterreich, die zwar dort in einer Koalition mit der ÖVP sitzt, die aber auf Bundesebene nichts gegen Neuwahlen hätte. Im Gegenteil. Doch auch bei SPÖ und ÖVP, so berichten die beiden Koalitionsparteien jeweils übereinander, sollen angeblich einige auf Neuwahlen spitzen.

Sollte am Ende des Jahres die laufende 15a-Vereinbarung nun tatsächlich ohne Nachfolgerin auslaufen, wäre das gleichbedeutend mit einem Scheitern an einer gemeinsamen Symbolpolitik. Denn darum geht es bei den Reformbemühungen. Auch wenn zu erwarten ist, dass durch positive Asylbescheide im kommenden Jahr die Anzahl der Bezieher von Mindestsicherung deutlich steigen wird, wären die budgetären Einsparungen bei der Deckelung gering. Es geht um rund zehn Millionen Euro pro Jahr. Das ist zwar nicht nichts, aber eine budgetäre Notwendigkeit lässt sich damit nicht argumentieren.

Zu Beginn der Deckelungs-Debatte standen auch mehr arbeitsmarktpolitische Überlegungen im Vordergrund. Tatsächlich sind seit Einführung der Mindestsicherung Anzahl und Anteil der Langzeitarbeitslosen gestiegen. Die Frage ist aber, welche Rolle die Mindestsicherung dabei spielt?

Geld-Anreiz kaum relevant

Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte vom Wifo, verweist auf eine Untersuchung bei älteren Arbeitnehmern. Mit dem 50. Lebensjahr wächst die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 39 auf 52 Wochen. Wer jeweils länger arbeitslos ist, fällt in die Notstandshilfe und hat damit finanzielle Einbußen. Das Wifo untersuchte diese Schnittstelle, fand aber keinen signifikanten Unterschied zwischen 49- und 50-Jährigen. Die Aufenthaltsdauer in der Arbeitslosigkeit schien unabhängig von der Höhe der Sozialleistung zu sein. "Wir schließen daraus, dass der monetäre Anreiz bei Weitem nicht die hauptsächliche Richtschnur ist", sagt Mahringer.

Nach Ansicht des Wifo-Experten werden die arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen einer Deckelung eher gering sein, mittlerweile wird die 1500-Euro-Grenze politisch aber ohnehin eher unter dem Gesichtspunkt der (gefühlten) Gerechtigkeit zwischen Sozialhilfe und Arbeitseinkommen argumentiert. Das ist nicht unwichtig, da Sozialausgaben von den Beiträgen der Bevölkerung getragen werden müssen, es ist aber dennoch Symbolpolitik.

Systemische Anpassungen werden öffentlich bisher kaum diskutiert, wären aber laut Mahringer notwendig. "Es gibt schon Fallensituationen. Zum Beispiel wenn man nur etwas mehr verdient, deshalb aber den Bezug der gesamten Mindestsicherung verliert." Er plädiert deshalb für temporäre Zuverdienstmöglichkeiten, aber auch die Sanktionierung bei Arbeitsunwilligkeit sollte einfacher werden.

Wenn alle Stricke reißen, könnte noch der Nationalrat per Gesetz den Ländern entsprechende Vorschriften machen. Diese Möglichkeit bringt Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker in der "Kleinen Zeitung" ein. Laut Verfassung (Artikel 12) hat der Bund die Möglichkeit, die Grundsätze des "Armenwesens" gesetzlich zu regeln. Den Ländern bleiben dann die Ausführungsgesetze. Kraker fordert daher, die Causa per Gesetz zu regeln: "Man kann nicht von Europa Lösungen verlangen und in Österreich keine finden."