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Die Wut der Kleingärtner

Von Bernd Vasari

Politik

Kaum ein Wiener ist so privilegiert wie die Kleingärtner der Wasserwiese im 2. Bezirk. Trotzdem sind sie frustriert.


"Früher waren wir die Mehrheit, heute sind wir nur noch die Minderheit", heißt es von den Gärtnern, die nicht namentlich genannt werden wollen.
© Nathan Spasic

Wien. Gabi hat es sich in ihrem Liegestuhl bequem gemacht. Sie blinzelt in die Sonne, die nach mehreren grauen Novembertagen durch die Wolken bricht. Ein warmer Wind streichelt sanft über die dichten Hecken und akkurat gestutzten Sträucher ihres Kleingartens. Sie umschließen das Areal wie eine Mauer und machen Gabis Reich uneinsehbar. Die pensionierte Beamtin schließt die Augen. Kein Geräusch stört ihre Ruhe.

Doch plötzlich klatscht ein Sackerl auf den Rasen. Sie schreckt aus dem Liegestuhl hoch. Obwohl Gabi nicht sieht, wer es über die Hecken in ihren Garten geworfen hatte, kennt sie doch den Inhalt: Blumensamen und Parteiwerbung. Es ist nicht das erste Mal, dass ihre Idylle durch ein fliegendes Sackerl gestört wird. Seit mehr als einem Jahr landet die Flugpost in ihrem Garten. Begonnen hat es im vergangenen Sommer während der Wahlkämpfe für die Bezirkswahl Leopoldstadt und die Wien-Wahl. Weiter ging es während des Wahlkampfs für die Wiederholung der Bezirkswahl und mittlerweile fliegen sie zum dritten Mal inmitten eines Präsidentschaftswahlkampfs.

"Was soll ich mit den Samen?", murmelt Gabi, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie schüttelt genervt den Kopf. "Die werden doch eh nichts." Die mitgelieferte Parteiwerbung beachtet sie erst gar nicht. Sie weiß ohnehin, dass sie auch dieses Mal die FPÖ wählen wird. So wie die meisten Gärtner in dem Leopoldstädter Kleingartenverein "Wasserwiese", der sich zwischen Donaukanal und Prater erstreckt. 54,25 Prozent (ohne Wahlkarten, Anm.) wählten hier Norbert Hofer (FPÖ) bei der Stichwahl im Mai. 20 Prozentpunkte mehr als im wienweiten Vergleich. Im ersten Wahlgang im März bekam Hofer sogar drei Mal mehr Stimmen als sein Rivale Alexander Van der Bellen, der in dem Sprengel damals trotzdem den zweiten Platz erreichte.

Hohe, blickdichte Hecken trennen die Parzellen.
© Nathan Spasic

"Die SPÖ hat zu vieleFremde hereingelassen"

Eine gespenstische Stille liegt über der knapp 280.000 Quadratmeter großen Kleingartenanlage. Eng aneinander gebaute Häuser stehen hier auf 858 Parzellen, begrenzt durch meterhohe Hecken. Zwischen ihnen führt ein schachbrettartiges elf Kilometer langes Wegenetz. Die Anlage wirkt wie eine Festung: heruntergezogene Rollos, vergitterte Fenster, Alarmanlagen und auf manchen Zäunen sogar Stacheldrahtschleifen.

"Wir haben schon sehr viele Einbrüche gehabt", sagt Gabi. "Ich war selbst ein Opfer davon. Seitdem fühle ich mich unsicher und bedroht." Wer die Täter waren, wisse sie zwar nicht, einen Verdacht habe sie aber trotzdem. Es waren mit Sicherheit "Fremde", wie sie sagt. Menschen, deren Sprache sie nicht verstehe und die aus dem Ausland kommen. Menschen, die keine "Unsrigen" sind. Immer wieder würde sie diese "Fremden" beobachten. Wie sie durch die Anlage gehen und fotografieren. Gabi deutet auf ihre blickdichten, etwa drei Meter hohen Hecken. "Natürlich gehst du dann immer höher. Es ist ein Selbstschutz. Ich habe Angst, dass ich ausspioniert werde."

Es ist ziemlich lange her, dass Gabi das Gefühl hatte, diese Stadt sei ihre Stadt. Damals, als sie noch die SPÖ wählte. Doch von den Genossen will sie heute nichts mehr wissen. "Die SPÖ hat zu viele Fremde hereingelassen", sagt sie. "Ich habe das Gefühl, dass ich verdrängt werde." Dann erzählt die pensionierte Beamtin von den Schleppern, die im vergangenen Jahr auf der Wiese neben den Gärten dutzende Flüchtlinge freigelassen haben. "Jeder in der Anlage hat sich gefürchtet", erinnert sich Gabi. "Wir haben die Polizei gerufen, aber sie kam nicht."

Die Verklärung der Vergangenheit: Sie gehört unter den Kleingärtnern zur gängigen Erzählform.
© Nathan Spasic

"Der Österreicher weiß sichnicht mehr anders zu helfen"

Noch heute würden sich "dunkle Gestalten" auf der Wiese herumtreiben. "Die brüllen um zwei Uhr in der Nacht in einer fremden Sprache herum", berichtet sie. Die Lautstärke stört Gabi dabei aber nicht. "Wenn es jugendliche Österreicher wären, die betrunken sind und da draußen herumbrüllen und ich verstehe es, dann denke ich mir o.k., kein Problem." Bei den "dunklen Gestalten" sei das aber anders. "Wenn ich es nicht verstehe, dann weiß ich ja nicht, was für eine Situation da draußen ist. Kommen die rein, werden sie mich überfallen?"

Ob Norbert Hofer als Bundespräsident und die FPÖ ihre Sorgen ernst nehmen würde? "Die FPÖ hat nicht die Antwort darauf, aber der Österreicher, der wählen darf, weiß sich nicht mehr anders zu helfen", sagt sie. Die derzeit regierenden Politiker seien jedenfalls zu abgehoben. "Die Jungen haben keine Arbeit, die Alten sollen bis zum Umfallen arbeiten. Das Schönreden hilft heute nichts mehr", sagt sie und legt sich zurück in ihren Liegestuhl.

Der Treffpunkt der Gärtner ist das Schutzhaus "Wasserwiese" am hinteren Ende der Gartenanlage. Es ist stets gut gefüllt. Zum Standard gehören hier der Bierbauch der Männer und die bunten Fönfrisuren der Frauen. Die Gärtner sitzen kartenspielend und plaudernd an den Tischen. Ihre Umgangssprache ist ein breites Wienerisch, garniert mit unendlichen Verniedlichungsformen. Hier heißt das panierte Fleisch Schnitzerl und der Gerstensaft Bierli. Beides wird in Massen konsumiert. "Ich brauche kein Handy", sagt einer. "Falls mich wer sucht, ich bin immer da." Lautes Gelächter.

Stacheldraht und Alarmanlagen gehören zur Standardausstattung der Kleingärten.

Die Stammgäste sind vor allem ältere Menschen. Weiße, die während des wirtschaftlichen Aufschwungs der 70er und 80er gearbeitet haben und nun im Ruhestand sind. Abstiegsängste kennen sie nicht. Weder damals noch heute. "Ich habe meine Pension und meinen Garten", sagt ein 60-jähriger ehemaliger Versicherungsangestellter mit Strohhut und nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Bier. Er ist in den Schrebergärten aufgewachsen, der Garten wurde mittlerweile von seinen Eltern auf ihn überschrieben.

Die Öffnung der Grenzen im Osten sei ein Fehler gewesen, sagt er. Danach seien die Einbrüche in der Wasserwiese gestiegen. Auch er war einmal SPÖ-Wähler. "Die Roten sind gut gewesen, sonst würde es uns heute nicht so gut gehen", erklärt der Gärtner und erntet verhaltenes Kopfnicken von seinen Tischnachbarn. "Mit den Ausländern haben sie aber übertrieben. Früher waren wir die Mehrheit in dieser Stadt, heute sind wir nur noch die Minderheit." Laute Zustimmung. Die Ausländer würden zudem viel Geld kosten. Dabei sollte es zuerst Geld für die Österreicher geben, für die Kindergärten, die Schulen und für die älteren Menschen. "Je älter wir werden, desto mehr muss der Staat zahlen. Da bleibt kein Geld für Ausländer." Beifall und Gejohle.

Außerdem sei es mittlerweile auf der Straße gefährlich geworden. "Als ich jung war, bin ich in der Nacht von der Stadt alleine heimgegangen. Das würde ich mich heute nicht mehr trauen", sagt der Gärtner. Von wem die Gefahr ausgehe? "Naja, von den Ausländern natürlich."

Robert Wollendorfer, Vizeobmann des Kleingartenvereins.
© Nathan Spasic

"Wir sind Gefangeneim eigenen Heim"

Eine 85-jährige pensionierte Geschäftsfrau nickt zustimmend. Jahrzehntelang war sie die Inhaberin einer Papierhandlung und fertigte etwa Kranzschleifen für den Bundespräsidenten an. Ihre Eltern erwarben den Garten im Jahr 1926. Sie holt ein Schwarzweißbild hervor. Darauf das alte elterliche Gartenhäuschen. "Früher hatten wir Gelsennetze vor unseren Fenstern hängen, heute sind es Alarmanlagen", erläutert die 85-Jährige. Auch die Hecken seien früher höchstens einen Meter 50 hoch gewesen. "Heute müssen wir absperren, uns einkasteln und sind Gefangene im eigenen Heim." Früher habe keiner die Gartentür zugemacht, das könne sie heute aber nicht mehr machen, weil sonst die "Fremden" ins Haus reinkommen würden.

Die Verklärung der Vergangenheit. Sie gehört unter den Kleingärtnern zur gängigen Erzählform. Dass früher genauso in die Gärten eingebrochen wurde, erfährt man nur auf Nachfrage. Und selbst dann, sei es mit den Einbrechern von damals nicht so schlimm gewesen. "Das waren ganz normale Einbrecher", sagt die 85-Jährige. "Die sind eingebrochen, haben was gegessen und haben vielleicht dort geschlafen. Das gibt’s ja heute nicht mehr." Was der Unterschied zu heute sei? "Die sind heute gezielt auf Raub aus." Bei ihr wurde auch schon eingebrochen.

Etwa 80 Euro Pacht im Monat zahlen die Gärtner für ihre durchschnittlich 300 Quadratmeter großen Gärten. Seit der Umwidmung in den Neunziger Jahren dürfen ihre Häuser 50 Quadratmeter Grundfläche haben. Rechnet man den Keller und den ersten Stock der Häuser dazu, so bekommt man eine Wohnfläche von 150 Quadratmetern. Mieter von Wohnungen in der gleichen Gegend können von solchen Summen nur träumen. Wohnungen in Praternähe sind sehr beliebt und kosten selten unter 14 Euro pro Quadratmeter.

Eine sichere Pension und ein Haus im Grünen in Bestlage und zum Sondertarif. Woher kommt also die Wut der Gärtner?

"Das Zusammenleben ist mit der Umwidmung vor 20 Jahren schlechter geworden", erinnert sich Robert Wollendorfer, Vizeobmann des Kleingartenvereins. Man durfte auf einmal ganzjährig in den Gärten wohnen. Die Häuser seien danach schnell größer geworden. "Bis dahin gab es nur kleine Gartenhütten, die mit dem Nötigsten ausgestattet waren", erzählt er. "Das hat sich geändert. Die Gärtner haben nun ihr ganzes Hab und Gut hier und haben Angst, es zu verlieren." Auch zu den Nachbarn würde man mittlerweile ein gespannteres Verhältnis haben. "Früher hat man mehr mit den Nachbarn getratscht, man ist zum Tratschen hergefahren. Heute wohnt man hier und will am liebsten nicht mehr gesehen werden. Das ist ein großer Unterschied."

"Es geht kein Politiker mehr durch, von keiner Partei"

Laut Bauordnung dürften die Hecken nur zwei Meter hoch sein. Dieses Maß sei aber schon lange überschritten worden, erklärt Wollendorfer. Dass die meisten Gärtner FPÖ wählen, wundert ihn nicht. "Es geht kein Politiker mehr durch, es gibt niemanden, mit dem man reden kann, von keiner Partei. Aus Frust heraus wählen die Leute dann die FPÖ."

Ein Umstand, den auch SPÖ-Politiker Karlheinz Hora zu spüren bekam. Bei der vergangenen Bezirkswahl im September wurde er als Bezirksvorsteher abgewählt. Im ehemals roten Kerngebiet Wasserwiese konnte er zwar den ersten Platz erringen, nur knapp dahinter landete aber die FPÖ. "Ich kann Ihnen nicht sagen, was passiert ist", sagt Hora. "Ohne Sozialdemokratie hätten die dort gar nichts, trotzdem wählen viele von ihnen blau." Er sei immer wohlwollend von den Gärtnern empfangen worden, schildert er. "Sie klopften mir auf die Schulter und sagten: Ja, du bist eh leiwand." Hora seufzt: "Es nutzt mir aber nichts, wenn am Wahltag ein anderes Kreuzerl da ist."

Die Grünen versuchen erst gar nicht, mit den Gärtnern in Kontakt zu treten. "Wir müssen unsere Kräfte einteilen, wir können nicht alle erreichen", sagt dazu Uschi Lichtenegger, die Hora als Bezirksvorsteher ablöste. Dann wird sie deutlich: "Mit der Haltung der Gärtner: ‚Ich will mein Haus im Prater, aber kein anderer darf es bekommen‘, kommen wir nicht zusammen." Außerdem seien die Grünen gegen eine ganzjährige Nutzung von Kleingärten.

Gabi ist mittlerweile von ihrem Liegestuhl aufgestanden. "Es ist mir dann doch zu frisch geworden", sagt sie. Sie führt in ihr Haus, vorbei an polierten Gartenzwergen und einer eingehüllten Hollywoodschaukel. Aus dem Radio dudelt Schlagermusik. "Ich habe 41 Jahre lang gearbeitet und ein Kind großgezogen. Den Garten und etwas Ruhe habe ich mir jetzt echt verdient", gibt die ehemalige Beamtin zu verstehen. Und jetzt würden die ganzen "Fremden" kommen, durch die sie sich bedroht fühle.

Dann erzählt sie, dass es auch in der Wasserwiese Gärtner gibt, die nicht in Österreich geboren wurden. "Es gibt ein paar vom Balkan. Wir haben aber auch einen Iraner und einen Chinesen", sagt Gabi. Ob sie auch vor ihnen Angst habe? "Nein, das sind alles nette Leute. Da gibt’s gar nichts", versichert sie. "Hin und wieder bringen wir uns gegenseitig sogar Mehlspeisen vorbei."

Was denn der Unterschied zu jenen sei, von denen sie sich bedroht fühle? Gabi lacht und erklärt: "Das sind ja auch keine Ausländer oder Migranten." Sie macht eine kurze Pause, dann sagt sie: "Das sind Österreicher und aus."