Zum Hauptinhalt springen

Alternativer Patriotismus

Von Jan Michael Marchart und Katharina Schmidt

Politik
© Daniel Novotny

Hat Van der Bellens Wahlkampf den Heimatbegriff auch links der Mitte salonfähig gemacht?


Wien. Am Sonntagabend wehte ein Hauch von Amerikanismus durch die Wiener Sofiensäle. Wie ein Boxer in den Staaten wurde Alexander Van der Bellen auf seiner Wahlparty empfangen. Die hunderten jubelnden Gäste im Saal ließen ihrem Kandidaten einen schmalen Gang Richtung Bühne, als stünde er kurz vor dem Einstieg in den Ring. Doch diesen hatte er bereits wenige Stunden zuvor als Sieger verlassen, wie die Klänge von "We Are the Champions" kurz nach seinem Eintritt in den Saal unmissverständlich klarmachten. Seine Fans jubelten frenetisch, hielten rot-weiß-rote Van-der-Bellen-Plakate in die Höhe, schwangen Regenbogenfahnen und stimmten immer wieder "Sascha"-Chöre an. Van der Bellen lächelte entspannt, wie selten im Wahlkampf.

Dann folgen für politische Beobachter durchaus bemerkenswerte Szenen. Als ein Kinderchor auf der Bühne für den grünen Professor die Bundeshymne singt, stimmt das politisch links-alternative Publikum, das Nationalismen dieser Art eher ablehnend begegnet, lauthals ein. Als die Strophe "Heimat großer Töchter und Söhne" korrekt in der neuen Version gesungen wurde, folgte Applaus. Auch als die inoffizielle Hymne Österreichs "I am from Austria" des Austropoppers Rainhard Fendrich aus den Lautsprechern dröhnte, zeigte sich das Publikum äußerst textsicher.

Plötzlich sind also vorher als rechts verpönte Symbole wie die Liebe zur Heimat, die Bundeshymne und der Trachtenjanker bei den Linken salonfähig geworden. Und das ausgerechnet durch die Kandidatur eines ehemaligen Grünen-Chefs. Alexander Van der Bellen selbst soll in der Bundespräsidentenstichwahl die Idee aufgebracht haben, den Heimatbegriff zu nutzen. "Es war von Anfang an eine bewusste Entscheidung, die Van der Bellen so wollte", sagt sein Wahlkampfmanager Lothar Lockl. Es sei darum gegangen, den Begriff und die Symbole positiv zu besetzen - bei Van der Bellen, der als Kaunertaler mit Tracht aufwuchs, sei die Rückbesinnung auf die Wurzeln auch glaubwürdig gewesen. "Es ging darum, den Zusammenhalt Österreichs zu betonen und ein positives Österreich-Bild zu transportieren", so Lockl. "Es geht um einen Heimatbegriff, der mir sehr am Herzen liegt", sagte Van der Bellen selbst bei der Präsentation der ersten Heimat-Kampagne im April dieses Jahres.

Die Jugend erreicht?

In einem ist man sich uneinig: Während Wahlkampfmanager Lockl meint, dass die Heimat-Kampagne über die sozialen Medien auch bei den Jungen gut angekommen sei, bezweifelt das die Jugend selbst. Bei den Jungen Grünen sieht man auf Nachfrage die Symbole wie die rot-weiß-rote Fahne oder auch den Heimatbegriff selbst sehr kritisch. Dies wird als nationalistisch konnotiert abgelehnt.

Lockl wagt nicht zu beurteilen, ob sich das neue linkslastige Heimatbewusstsein halten wird. Er betont aber auch, dass "die Einstellung, dass auf der einen Seite das Volk steht und auf der anderen das Establishment, nicht der Realität entspricht".

Für den Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Universität Wien ist die Verwendung des Heimatbegriffs auch durch linke Gruppierungen nichts Neues: Bereits Altkanzler Bruno Kreisky sei für einen "schlichten, einfachen Patriotismus" eingestanden, meint er zur "Wiener Zeitung". Bierzelte und Trachtenkapellen habe schon der Sonnenkönig in den 1970er Jahren "sehr geschickt besetzt". Und: "Wir kommen dorthin zurück, wo Kreisky aufgehört hat", sagt Rathkolb zum abgelaufenen Van-der-Bellen-Wahlkampf. Während der Ex-Grünen-Chef im ersten Wahlgang nur Gemeinden über 2000 Einwohner angesprochen habe, habe er nun einen sehr traditionellen Wahlkampf auch in den kleinen Gemeinden geführt und damit den ländlichen Bereich erreicht, in dem Hofer in allen drei Durchgängen der Bundespräsidentenwahl stark war. Dass damit der Heimatbegriff auch in der traditionellen Grünwählerschaft salonfähig geworden sein könnte, bezweifelt Rathkolb allerdings: "Van der Bellen und Grüne sind zwei unterschiedliche Welten."

Der französische Soziologe Didier Eribon beschrieb in einem Interview mit "Die Zeit" die Verwendung konservativ geprägter Worte durch linke Fraktionen als "gefährlich". Konkret bezog er sich auf die spanischen Linkspopulisten Podemos. "In Spanien benutzt Pablo Iglesias, der zentrale Kopf von Podemos, zum Beispiel ständig den Begriff la patria, die Nation. Das gesamte Programm basiert auf diesem Begriff", sagt er. "Er begreift nicht, dass das ein sehr gefährliches Wort ist, das historisch klar besetzt ist."

Kann man im Umkehrschluss also nicht links sein und sich für die eigene Heimat einsetzen? Das sieht Elisabeth Wehling anders als der Soziologe Eribon. Sie arbeitet an der University of California in Berkeley im Bereich kognitive Linguistik. Wehling beschäftigt sich intensiv mit der Sprache in der Politik - unter anderem hat sie auf jene während der Bundespräsidentenwahl in Österreich geachtet. "Heimat kennen wir alle, Heimat ist Identität. Heimat ist etwas ganz Wichtiges", sagt Wehling. "Auch progressive Menschen haben eine Heimat." Es können alle politischen Kräfte mit dem Begriff arbeiten und das sollten sie auch, meint die Linguistin. Diese würden sich schließlich für Wählerstimmen bewerben, um Politik für ihre Heimat zu machen. Genau darum ging es auch im Rennen um die Hofburg, daher sei es wichtig "dieses Land und diese Gemeinschaft zu benennen". Tritt man solche Begriffe an konservative Gruppen ab, beraubt sich die Linke der Möglichkeit, solch wichtigen Dinge wie Heimat benennen zu können.

"Große Geschichte hat gefehlt"

Kritisch sieht Wehling die Art und Weise, wie der Heimatbegriff in den Wahlkampf Van der Bellens aufgenommen wurde. Dies sei sehr kurzfristig und offensichtlich ohne langfristige Strategie passiert. Das sei für so einen "kniffeligen Begriff" wie Heimat, der seit vielen Jahren konservativ geprägt ist, notwendig. Sich das Wort bloß auf die Fahnen zu schreiben, reiche nicht. "Ich mache mir Sorgen, dass der Begriff wie ein Werbegag behandelt wird", sagt Wehling. "Man muss eine gute, langfristige Geschichte dazu erzählen." Beispielsweise, wie eine progressive Heimat aussehen kann. Man könne diesen Begriff Heimat mit einem geeigneten Werte-Narrativ füllen. Im Bezug auf die Kampagne des grünen Professors habe die große Geschichte noch gefehlt, meint die Expertin. "Es kam nicht von ungefähr, dass der Heimat-Begriff erst zum Ende hin zum Konzept gemacht wurde", führt sie aus.