Zum Hauptinhalt springen

Ganz in Weiß, mit Wut im Bauch

Von Werner Reisinger

Politik

Ärztestreik in Wien, Kärnten und im Burgenland: Angst ums Geschäft und die Betreuungsqualität durch Versorgungszentren.


Wien. Dicke Luft herrschte Mittwochfrüh in der altehrwürdigen Bibliothek des Billrothhauses im neunten Wiener Gemeindebezirk. Der Saal ist voll mit streikenden Ärzten in weißen Kitteln und Journalisten. Draußen im Foyer haben sich Jungärzte und Studenten - ihnen sei es verboten worden, mit Journalisten zu sprechen, sagen sie - mit roten "Kostenscheren" plakativ auf der Treppe postiert. Die Ärzte tragen ihren Protest auf die Straße.

Hauptgrund für die Wut der Mediziner sind die geplanten Primärversorgungszentren (Primary Healthcare Center, PHC), für die am Mittwoch im Nationalrat im Rahmen des Finanzausgleichs eine Förderung von 200 Millionen Euro beschlossen wurde. Die Regierung will diese ab dem kommenden Jahr flächendeckend in Österreich aufbauen. Die PHCs würden zu einer "Ausrottung" der Hausärzte führen, warnt Gert Wiegele, stellvertretender Obmann der niedergelassenen Ärzte. Mit der Reform werde die "Zwei-Klassen-Medizin dauerhaft festgeschrieben", sagt Ärztekammerpräsident Michael Lang. Durch die Einführung der Versorgungszentren würden die Ärzte zu "Befehlsempfängern" von Kapitalgesellschaften, die künftig als private Träger der PHCs fungieren könnten, wird befürchtet.

Gegen Privatisierung

Mit Trommeln, Trillerpfeifen und Plakaten marschieren etwa 150 Ärzte bei eisigen Temperaturen durch die Innenstadt. Die Teilnehmer, meist Allgemeinmediziner, fürchten um die Versorgungsqualität der Patienten - und um ihr Geschäft. "Die Zentren bekommen viel mehr Subventionen und Förderungen, das ist eine unfaire Konkurrenzierung der niedergelassenen Ärzte", sagt ein Mediziner. "Unsolidarisch" nennt er jene seiner Kollegen, die bereits in einem PHC arbeiten und sich dem Protest nicht angeschlossen hätten. "Aber das ist die Zukunft: uns auseinanderzudividieren, unsolidarisch zu machen, Einzelverträge mit den PHCs schließen, die dann in den Händen von privaten Firmen liegen werden." Heute werde alles schöngeredet, "aber die Zukunft wird zeigen, dass wir recht haben". Besonders junge Allgemeinärzte befürchten einen Verdrängungswettbewerb durch die PHCs. "Ich habe erst vor wenigen Monaten meine erste Ordination übernommen", sagt eine von ihnen. "Ich habe beträchtliche Schulden aufnehmen müssen, um die Ordination auszustatten. Wenn bei mir ums Eck ein Zentrum aufmacht, gehen meine Patienten vielleicht dort hin, weil es länger offen hat." An ein Einlenken der Politik glaubt die junge Ärztin nicht mehr.

"Eine gute Idee" nennt hingegen eine andere Ärztin die Versorgungszentren. So, wie es aktuell in den Spitalambulanzen und auch in manchen Ordinationen zugehe, könne es nicht weitergehen. Zu lange würden Kranke auf wichtige Untersuchungen warten, die Ambulanzen seien überfüllt. "Das Problem ist aber, dass die PHCs nicht unter die Obhut der Ärzte gestellt werden." Nicht nur Ärzte, auch andere Berufsstände sollen dort ihre Dienste anbieten können, das Ganze solle gewinnorientiert ausgerichtet werden, so die Befürchtung. "Man kann Medizin nicht ausschließlich nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausrichten. Es geht nicht nur ums Geld, sondern um Menschen, um das Leben der Leute, die uns anvertraut sind." Medizinische Versorgung, das sei Aufgabe der öffentlichen Hand und dürfe nicht in die Hände von Unternehmen gelegt werden, die ihren Aktionären oder Inhabern verpflichtet seien - diese Haltung teilen viele der Demonstranten. Von der Politik fühlen sie sich übergangen.

"Wir haben nichts gegen Vernetzung. Aber wenn ich etwas plane, muss ich die mit ins Boot holen, die die Erfahrung haben. Warum macht man eine Gesundheitsreform ohne Ärzte?", empört sich Naghme Kamaleyan-Schmied, Allgemeinmedizinerin im 21. Bezirk. In einer "Nacht- und Nebelaktion" hätte die Regierung die Gesundheitsreform durchgezogen. "Welchen Stellenwert haben wir in der Gesellschaft?"

Kein Ansturm auf Ambulanzen

Auch Kamaleyan-Schmied hat Angst vor Verdrängung. "Eine beträchtliche Summe" habe sie in ihre Praxis investiert, um Hygienerichtlinien und Bestimmungen zur Barrierefreiheit umzusetzen, sagt sie. Manche ihrer Kolleginnen hätten bis zu 400.000 Euro Schulden aufgrund von Investitionen in die Ausstattung der Praxen. Sie befürchtet, dass Leistungen in den PHCs gedeckelt werden - sprich, dass den Ärzten nur ein gewisses Kontingent an Untersuchungen finanziert wird. "Viele von uns sind verschuldet. PHCs, hinter denen keine Ärzte, sondern Investoren mit klar gewinnorientierten Interessen stehen, haben es leicht, uns auszuhungern", befürchtet Kamaleyan-Schmied.

Dabei gebe es seitens der Ärzte einen Alternativvorschlag. Ein Vernetzungsprojekt von Allgemeinärzten sei ausgearbeitet worden, benachbarte Praxen wären bereit, die Ordinationszeiten aufeinander abzustimmen, Wegbeschreibungen zum nächstgelegenen Arzt inklusive. Die Stadt Wien sei kooperativ gewesen, die Gebietskrankenkasse habe aber abgelehnt.

Die Beobachter des Demozugs sind geteilter Meinung, was die Befürchtungen und Anliegen der Ärzte betrifft. Vor allem Pensionisten fürchten, ihren angestammten Hausarzt zu verlieren. Andere verstehen die Mediziner, finden aber PHCs durchaus sinnvoll: Die dortigen Ärzte wären immer die selben und würden nicht wechseln.

Ein Ansturm auf Ambulanzen und das Wiener PHC blieb am Mittwoch aus, im AKH herrschte normaler Betrieb. Die Ärzte wollen nicht lockerlassen. Sie fordern einen Gesundheitsgipfel mit Bundeskanzler Kern und dem Wiener Bürgermeister Häupl.