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Die kleine Braut

Von Marina Delcheva

Politik

Eine 13-Jährige, zwangsverheiratet und schwanger, landet in Österreich. Trotzdem sind Kinderehen kein Thema für heimische Behörden.


Wien. Im Krieg herrschen andere Regeln, meist gar keine. Ghada, nennen wir sie in dieser Geschichte so, ist gerade einmal 13 Jahre alt, als sie verheiratet wird. Ihr Ehemann ist 25 und damit fast doppelt so alt wie sie. Zu diesem Zeitpunkt wütet schon der Bürgerkrieg in ihrer Heimat Syrien. Einen Vater, Ghadas Vater, gibt es in dieser Geschichte nicht. Nur eine Mutter, die der Heirat zustimmt. Um sie vor Verschleppung und Vergewaltigung zu schützen, wie sie später erklären wird. Ob das junge Mädchen tatsächlich schon mit 13 heiraten wollte? Das nicht. Wer will sich denn schon kurz nach Einsetzen der ersten Periode für immer binden?

Ghada und ihr Mann sind nach islamischem Recht verheiratet. Ein behördliches Dokument, das die Ehe bestätigt, gibt es nicht. Nur einen Monat nach ihrem 14. Geburtstag bringt sie, selbst noch ein Kind, heuer im Februar ihr erstes Kind zur Welt, einen gesunden Buben. In einem steirischen Krankenhaus.

Immer mehr Kinderehen

Ghada ist eines von weltweit 700 Millionen jungen Mädchen, die laut der Hilfsorganisation "Save the Children" minderjährig und meist gegen ihren Willen verheiratet wurden. Allein heuer wurden 15 Millionen Mädchen verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt wurden, so die internationale NGO-Vereinigung "Girls Not Brides". Das ist alle zwei Sekunden eine.

Die meisten von ihnen leben in Nigeria und Indien. Bis vor wenigen Jahren spielte Syrien eine unbedeutende Rolle in dieser Statistik. Der Krieg hat das dramatisch geändert. Waren vor dem Bürgerkrieg in Syrien 13 Prozent der minderjährigen Mädchen verheiratet - drei Prozent waren dabei jünger als 14 -, ist die Rate heute auf 51 Prozent gestiegen. UN Women warnt schon seit Jahren davor, dass durch den Krieg und dem Zusammenbruch jeglicher Staatlichkeit die Lage für Frauen immer prekärer wird.

Nicht jede dieser Ehen wird nur aus Traditions- und Religionsbewusstsein geschlossen. In Kriegszeiten wollen Eltern oft ihre Töchter beschützt wissen. Manchmal haben sie schlicht keine Mittel, um alle ihre Kinder zu ernähren. In den vergangenen Jahren wurden zum Beispiel in libanesischen Flüchtlingslagern und Armutsvierteln tausende syrische Mädchen zwangsverheiratet. Die Eltern griffen meist aus nackter Not zu dieser Maßnahme. Das Brautgeld sollte die Familie eine Zeit lang über die Runden bringen und das Mädchen sollte es, hoffentlich, bei ihrem neuen Mann besser haben. Und manchmal sind einfach keine Eltern mehr da, die ihre Töchter vor Verschleppung und Zwangsehe beschützen könnten.

Im Zuge der Flüchtlingskrise sind einige dieser Mädchen mit ihren Ehemännern nach Europa geflohen. Während es für Deutschland mittlerweile ausführliches Datenmaterial zu Kinderehen gibt - heuer wurden dort 1500 verheiratete minderjährige Ausländer registriert, großteils Mädchen -, gibt es in Österreich überhaupt keine Zahlen dazu. "Es sind Einzelfälle, aber es kommt vor", sagt Christina Kraker-Kölbl von der Grazer Frauenberatungsstelle für Migrantinnen, Divan, in Zusammenhang mit dem aufsehenerregenden Fall.

Kinderehen sind in Österreich verboten und werden deshalb nicht anerkannt, heißt es auf Nachfrage aus dem Innenministerium und den Wiener Standesämtern. Ganz so eindeutig ist es nicht, kritisiert Sophie Ederer, Rechtsbeistand in Asylverfahren. In manchen Fällen werde willkürlich entschieden, ob die Ehe in Österreich gilt oder nicht. An der Lebenssituation der Mädchen ändert das freilich nichts.

Werden die Behörden dennoch tätig, wird die Jugendwohlfahrt eingeschaltet und der Mann angezeigt. Allein heuer ermittelte die Staatsanwaltschaft in 14 Fällen wegen Zwangsehe, zu Anklagen kam es in nur drei Fällen. In 173 Fällen wurde Anklage wegen sexuellen Missbrauchs und schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen erhoben. Wie viele dieser Anklagen in Zusammenhang mit einer Kinderehe stehen, ist nicht bekannt.

"Das Thema ist sehr neu für die Behörden und oft fehlt die Sensibilität und das Wissen", sagt Kraker-Kölbl. Ihr Verein betreut Ghada und ihr Kind, sowie eine 17-jährige, ebenfalls verheiratete Syrerin, die auf eigenen Wunsch bei ihrem älteren Ehemann lebe.

Zurück zu Ghada. Das junge Mädchen kam 2015 mit ihrem Ehemann und ihrer Mutter nach Österreich. Die Ehe war nie auch nur ansatzweise gleichberechtigt. Er hat sie immer wieder geschlagen, vergewaltigt und gedemütigt. Im Zuge des noch laufenden Asylverfahrens ist aber zunächst kein Betreuer und keine Beamtin auf die Lebenssituation des eingeschüchterten Mädchens aufmerksam geworden. "Die Behörden dachten wohl, ihre Mutter sei die Ehefrau und das Mädchen deren Tochter", meint Kraker-Kölbl.

Dass der Fall überhaupt bekannt wurde, ist einer aufmerksamen Betreuerin bei der Familienberatung und Ärzten im Krankenhaus zu verdanken. Diese fragten erstmals genauer nach, wessen Baby das ist, wer die Mutter und wer die Großmutter ist. Ghadas Ehemann wurde rechtskräftig wegen schwerer sexueller Nötigung von Minderjährigen verurteilt. Das Mädchen wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Baby in einer Asylunterkunft in der Steiermark und wird von Jugendamt und Divan betreut. Der Vater darf das Baby allerdings weiterhin unter Aufsicht und Auflagen sehen.

Zwangsehen nicht neu

"Dieses Problem hatten wir auch schon vor den Flüchtlingen", sagt Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser. Immer wieder werden dort Frauen betreut, die minderjährig und gegen ihren Willen geheiratet haben. Oft seien diese Ehen nur nach islamischem Recht geschlossen. Das bedeutet, dass die Frauen im Falle einer Trennung ohne Unterhaltsanspruch, ohne Ausbildung und Job dastehen und ihre Kinder oft den Schwiegereltern zugesprochen werden. Deshalb gehen viele wieder zum schlagenden Ehemann zurück.

Zwangsehe ist übrigens kein rein ausländisches Phänomen, wie Daten der Wiener Frauenberatungsstelle Orient Express zeigen. Im Vorjahr wurden dort 57 Fälle von angedrohter Zwangsehe und 50 Betroffene registriert. "Das jüngste Mädchen war 14 Jahre alt und ist hier aufgewachsen", sagt Serin Sempere-Culler von Orient Express. Die Notwohnung sei voll. "Wir haben immer viel zu tun." Oft könne man die Ehe durch Beratung und Intervention abwenden.

Und nicht nur Frauen, sondern auch junge Männer sind von Zwangsehe bedroht. Sie heiraten aus einem Pflicht- und Ehrgefühl heraus Frauen aus der Heimat ihrer Eltern, die sie nicht lieben. "In so einer Ehe kann oft Gewalt entstehen", erklärt die Beraterin.

Der Verein betreut und berät auch Frauen, die bereits verheiratet sind und sich trennen wollen. Die verlassenen Männer reagieren oft wütend und mit Unverständnis auf die Trennung. Viele sprechen der Ehefrau überhaupt das Recht ab, selbst zu entscheiden, ob sie gehen darf oder nicht.

"Wir bereiten die Frauen darauf vor, dass es danach nicht einfacher wird", so Sempere-Culler. Viele sprechen kein Deutsch, haben keinen Job und waren, oft unfreiwillig, nur zu Hause bei den Kindern. Nach der Trennung schlittern sie deshalb zwangsläufig in die Mindestsicherung und in Armut. Am Arbeitsmarkt ist kaum Platz für diese Frauen. "Aber viele blühen richtig auf und emanzipieren sich."

Ghada geht mittlerweile hier in die Schule und lernt Deutsch. Und auch sie soll irgendwann wieder aufblühen. Damit sie und ihr Sohn eines Tages nicht wieder bei einem schlagenden Ehemann landen, muss sie lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und irgendwann ihr eigenes Geld zu verdienen.