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Von altem Eisen und neuem Mut

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik

Die Gruppe der älteren Arbeitslosen wächst seit Jahren. Eine Bestandsaufnahme.


Wien. Ein paar Verlängerte, ein paar belegte Brötchen, Cremeschnitten. Besinnliche Stimmung will im Hinterzimmer des Wiener Cafés Siebenbrunnen nicht so recht aufkommen. Es ist die Weihnachtsfeier des Vereins "Zum Alten Eisen", in dem sich seit 1994 Arbeitslose über 50 organisieren. Um einander zu helfen, sich auszutauschen, um einander Mut zu machen. Es ist der am längsten bestehende Arbeitslosenverein Österreichs, die Gründer sind in die Jahre gekommen und inzwischen in Pension.

Einige hundert Mitglieder hat der Verein eigenen Angaben zufolge, am weihnachtlich gedeckten Tisch im Café Siebenbrunnen sitzen nur einige wenige. Es sind ausschließlich Männer. "Wir beraten auch viele Frauen. Viele von denen schämen sich aber wegen der Arbeitslosigkeit, die wollen über sich nichts in der Zeitung lesen", sagt Dietmar Köhler, Obmann des Vereins. Es komme häufig vor, dass Arbeitslose nur einmal den Mitgliedsbeitrag zahlen, sich Erfahrung und Beratung holen, dann aber nicht mehr auftauchen.

Es geht viel um Politik, auch um Kapitalismuskritik. Viele am Tisch sind links sozialisiert. Ausgrenzung und Disziplinierung, so beschreibt Dietmar Köhler die vorherrschende Haltung in Politik und Wirtschaft den Arbeitslosen gegenüber. Für ihn ein Hauptgrund, wieso viele Betroffene mit der Politik abschließen, nicht mehr wählen gehen - was die Politiker im Gegenzug dazu bringe, die Gruppe zu ignorieren. Die Betroffenen beraten, ein klares Bild ihrer konkreten Möglichkeiten bei der Jobsuche mitzugeben, helfen, "Fettnäpfchen zu vermeiden", auch im Umgang mit dem Arbeitsmarktservice (AMS) - das sei ihre Hauptaufgabe, erklärt der ehemalige Exportleiter Köhler. Oft würden neue Mitglieder mentale Unterstützung brauchen. "Denen musst du zuerst einmal klarmachen, dass sie nicht selbst schuld sind an ihrer Situation", sagt er.

Anreize für Unternehmer

Mehr als 100.000 Menschen über 50 waren im November arbeitslos oder befanden sich in Schulungen des AMS - um fast 6 Prozent mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Seit Jahren steigt die Arbeitslosigkeit in der Gruppe der Älteren überdurchschnittlich. Über viele Jahre waren Ältere kaum arbeitslos, auch weil die Tür zur Frühpension ein Stück weit offener stand als heute. Über Jahre wurde die Arbeitsmarktproblematik vom Pensionssystem aufgefangen. Seit der Zugang zur Invaliditätspension deutlich schwieriger ist, ist die Frühpension ein Auslaufmodell geworden. Das ist ein handfester Faktor, der die Situation für Menschen über 50 deutlich verschärft.

Die Chancen auf Wiedereinstellung sind gering, ein Hauptgrund für die zunehmende Altersarmut, vor allem aber nicht nur bei Frauen. Berechtigter Alarmismus? Man könne das Problem nicht prinzipiell in Abrede stellen, sagt Johannes Kopf, Chef des AMS. Dennoch: der Hauptgrund für den Anstieg bei den Älteren sei in der demografischen Veränderung der Gesellschaft zu suchen. "Wir werden immer älter, deshalb gibt es auch mehr ältere Arbeitslose - aber gleichzeitig auch mehr Ältere in Beschäftigung", erklärt Kopf. "Relativ zum restlichen Arbeitslosenphänomen ist die Situation bei den Älteren aktuell nicht unglaublich dramatisch."

Aus der Sicht des AMS sind die Zahlen eindeutig. Im Jahresdurchschnitt 2006 waren in der Gruppe 50 Plus 520.000 Personen in Beschäftigung, 2015, knapp zehn Jahre später, sind es 870.000. Im November 2016 befanden sich gar 940.000 ältere Personen in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. In der Gruppe 55 plus hat sich die Beschäftigung im selben Vergleichszeitraum sogar verdoppelt, von knapp 200.000 auf 392.000.

Entgegen einer weitverbreiteten Annahme ging die Zahl der Schulungsteilnehmer über 50 in den letzten Jahren deutlich zurück, um über 36 Prozent von 2014 auf 2015. Tatsächlich setzt man politisch verstärkt auf Anreize für Unternehmer, ältere Arbeitslose einzustellen. Für die von Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer aus der Taufe gehobene "Beschäftigungsinitiative 50 Plus" wurden für den Zeitraum 2014 bis 2017 545 Millionen Euro bereitgestellt. Stellt eine Firma einen älteren Arbeitslosen ein, kann das AMS bis zu 50 Prozent der Lohnkosten übernehmen.

Für die Mitglieder vom Verein "Zum Alten Eisen" ist das eine versteckte Unternehmensförderung. Firmen würden sich so billig Arbeitskräfte besorgen, sagt Dietmar Köhler: "Wir erleben immer wieder, dass unsere Leute zwar mittels Förderung einen Job bekommen. Nach einem Jahr aber werden sie gekündigt, und die Firma holt sich den Nächsten." Über 60 Prozent der so Eingestellten behalten auch nach Ablauf der Förderung ihren Job, entgegnete Johannes Kopf. Bei unbotmäßiger Handhandhabung werde ein Förderverbot für Unternehmen verhängt. Auch das komme vor, gibt Kopf zu. Wie viele Unternehmen von einem Förderverbot betroffen sind, will das AMS aber nicht benennen.

Auch wenn um die 40 Prozent nach Auslaufen der vom AMS bezahlten Förderungen ihre Jobs wieder verlieren, würden die Betroffenen dennoch vom Programm profitieren, ist AMS-Chef Kopf überzeugt: "Die Betroffenen machen einen Riesenschritt vorwärts." Immerhin würde man so ein Pensionsjahr erwerben, ein Jahr arbeiten, anstatt Arbeitslosengeld zu beziehen - mit positiven Auswirkungen auf Motivation und psychische Verfassung. Auch die Chancen auf Weiterbeschäftigung würden durch das eine Jahr im Job verbessert, sagt Kopf.

Mehr arbeitslose Akademiker

Längst sind nicht nur eher niedrig qualifizierte Ältere arbeitslos, immer häufiger trifft es auch Akademiker oder Führungskräfte. "Ich erinnere mich an einen gekündigten Piloten, der sich an uns gewendet hat - allerdings erst, nachdem er mal ein paar Monate ausgiebig Urlaub gemacht hat. Als er dann merkte, dass es am Stellenmarkt düster aussieht, weil die Airlines sparen, hat er bereut, dass er die Angebote vom AMS allesamt ausgeschlagen hat", erzählt Herbert Fuxbauer vom Verein "Zum Alten Eisen". Dass vor allem arbeitslosgewordene Führungskräfte häufig Ansprüche stellen, die sich nicht mit dem Angebot am Arbeitsmarkt decken, bestätigt auch das AMS. Die Selbsteinschätzung von Führungskräften sei häufig vom früheren beruflichen Erfolg geprägt, man sei es gewöhnt, aufzusteigen. Werden sie mit über 50 arbeitslos, passiert etwas, das Johannes Kopf als "Instant Aging", also plötzliches Altern, bezeichnet. Eben noch ein zentraler Mitarbeiter, gelten auch arbeitslos gewordene Führungskräfte dann plötzlich als schwer vermittelbar.

Mit dem AMS haben jene Akademiker, die sich an den Verein "Zum Alten Eisen" gewandt haben, keine besonders guten Erfahrungen. Einen seit 15 Jahren arbeitslosen Juristen habe das AMS an ein Projekt für Uniabsolventen vermitteln wollen, erzählt Dietmar Köhler. Wer es sich leisten kann, gibt Geld für individuelle Beratung aus, wie sie private Jobcoaches anbieten. Peter Marsch ist einer von ihnen. Seit fünf Jahren berät er mit seiner Personalberatungsfirma "jobs" vor allem Besserqualifizierte und Akademiker. "Es ist wie in der privaten Gesundheitsvorsorge: Sie können zum Kassenarzt oder zum Privatarzt gehen. Beim einen sind Sie einer von hunderten, beim anderen einer von wenigen", sagt Marsch. Die Betroffenen würden begreifen, dass das AMS sich nicht wirklich um sie kümmert, weil es diese Ressourcen nicht anbieten kann. "Die Nachfrage steigt", sagt der Jobcoach. Längst hat sich ein privater Markt rund um die stetig wachsende Gruppe gutausgebildeter, älterer Arbeitsloser aufgetan.

Informationen und Angebote für Menschen über 50 auf Arbeitssuche:

www.arbeitsuche50plus-wien.at

www.fit2work.at

www.arbeitundalter.at

www.zumalteneisen.weebly.com