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Was wir 2016 über uns gelernt haben

Von Daniel Kosak

Politik

Die Unterbringung von Geflüchteten bedeutete für Gemeinden eine enorme Herausforderung - sie wurde bewältigt. In den kommenden Jahren werden die Aufgaben aber nicht weniger, denn nun gilt es, die Integration zu organisieren.


Im Spätherbst 2015 hatte die Quartierkrise bei der Unterbringungen von Geflüchteten ihren Höhepunkt erreicht. Bilder von hunderten Flüchtlingen, darunter auch Frauen und Kinder, die in Traiskirchen im Freien oder in hastig bereitgestellten Bussen übernachten mussten, haben die innenpolitische Debatte und die Medien dominiert.

In ungewohnter Eile beschloss der Bund damals das "Durchgriffsrecht", um rasch - und auch gegen den Willen von Gemeinden - Quartiere für Geflüchtete schaffen zu können. Die Gemeinden gerieten vielfach unter Druck. "Bürgermeister verhindern Asylquartiere" waren die Schlagzeilen einerseits. "Wir schaffen das nicht" oder "Wir überfordern unsere Leute" die häufigen Reaktionen der Ortschefs.

Mehr als ein Jahr später lohnt sich ein Rückblick auf dieses Jahr und darauf, was "wir" aus diesem Jahr gelernt haben.

Daniel Kosak ist Kommunikationsleiter des Österreichischen Gemeindebundes und Vizebürgermeister in Altlengbach in Niederösterreich.

Die wichtigste Erkenntnis ist vielleicht, dass möglichst frühe und gute Einbindung das nötige Verständnis schafft. Das klingt banal und gilt nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Viele Gemeinden haben sich von der Unmittelbarkeit der Anforderungen überfahren gefühlt. Plötzlich war der mediale Druck allgegenwärtig, viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wurden ständig mit der Frage konfrontiert: "Warum sind in Ihrer Gemeinde noch keine Flüchtlinge untergebracht?"

 

Die Tatsache, dass die Gemeinden selbst ja kaum über geeignete Quartiere verfügten, spielte keine Rolle mehr. Im Fernsehen waren bunte Österreich-Karten zu sehen, die jene Gemeinden auswiesen, die schon Menschen aufgenommen hatten. Und eben auch jene, in denen es noch keine Quartiere gab. Zwangszuteilungen standen im Raum - mit oder ohne Durchgriffsrecht.

Große Hilfsbereitschaft

Heute sehen wir: In zwei Drittel der Kommunen haben Flüchtlinge eine Unterkunft gefunden, das ist eine Verdoppelung im Vergleich zum Herbst 2015. Das Durchgriffsrecht wird kaum angewandt, weil es ausreichend Quartiere gibt und die Flüchtlingszahlen rückläufig sind.

Also Ende gut, alles gut? Nein, denn die Unterbringung war nur die erste von vielen Aufgaben, die zu bewältigen sind. Die Integration der Menschen, die bei uns Schutz suchten und suchen, wird uns noch über Jahre hinweg beschäftigen. In vielen Gemeinden sind in den ersten Monaten der großen Fluchtbewegungen sehr schnell zivilgesellschaftliche Bewegungen entstanden. Menschen haben sich spontan bereit erklärt, Deutschkurse abzuhalten, mit Kindern (und Erwachsenen) zu lernen, es wurden Spenden gesammelt, von Geld bis zu Kleidung oder Lebensmitteln.

"Die stille Mitte" war erwacht. In vielen Fällen waren es Helfer, die in den bisherigen Strukturen der Gemeinden, also in Vereinen, Feuerwehr, Rettung und so weiter, kaum engagiert waren.

Institutionelle Organisationen wie das Rote Kreuz, die Caritas oder die Diakonie waren zu diesem Zeitpunkt eher mit der Unterbringung und der Beschaffung von Quartieren befasst. Diese Welle der Unterstützung und der spontanen Hilfe hat eine menschenwürdige Betreuung der Flüchtlinge überhaupt erst ermöglicht. Der Staat allein hätte das niemals leisten können.

Hilfsarbeit mit Rückschlägen

Heute ist die Lage anders. Dauerhafte Hilfsbereitschaft kostet viel Kraft und Ausdauer. Nicht alle Helferinnen und Helfer können und wollen diese Kraft über lange Zeiträume hinweg aufbringen. Terroranschläge und weltpolitische Entwicklungen haben auch dazu beigetragen, dass die Hilfsbereitschaft gesunken ist. Von den vielen Spontanhelfen ist die Mehrzahl wieder in ihre eigene Lebenswelt zurückgekehrt, die dauerhaftes Engagement nicht immer zulässt - Beruf, Familie und andere Verpflichtungen.

Geblieben ist trotzdem eine erhebliche Anzahl an Menschen - in Summe sind das Zehntausende -, die weiterhin ihre Freizeit und ihre Kräfte zur Verfügung stellen, um geflüchtete Menschen zu versorgen und ihnen den Einstieg in ein neues Leben zu erleichtern. Diese Arbeit beinhaltet auch viele Rückschläge und gefühlte Enttäuschungen. Die Flüchtlinge kommen - nona - aus anderen Kulturkreisen und verhalten sich oft anders, als sich das manche vielleicht erhoffen und erwarten. Manche Verhaltensweisen, die für uns selbstverständlich scheinen, sind es für viele Flüchtlinge nicht. Pünktlichkeit, zuverlässiges Erscheinen zu Terminen oder Kursen, die Gleichberechtigung von Frauen, der Wert von Bildung und Ausbildung. All das sind Themen, die in der Flüchtlingsarbeit eine große Rolle spielen.

Wegzug führt zu Problemen

Dazu kommt ein weiteres Gefühl, das man nicht unterschätzen sollte: 80 bis 90 Prozent aller Asylwerber verlassen nach einem positiven Asylbescheid innerhalb kurzer Zeit die Gemeinde, in der sie untergebracht waren, und ziehen in einen Ballungsraum.

In der Regel ist dies Wien oder zumindest eine größere Landeshauptstadt. Bei den Helferinnen, die sich oft monatelang um diese Familien gekümmert haben, bleibt häufig ein schaler Nachgeschmack zurück. "Wieso kümmern wir uns hier, wenn die Leute dann ohnehin sofort wieder abhauen?", hört man da oft. Dieses Gefühl wirkt sich gelegentlich dann auf jene aus, die in weiterer Folge in der Gemeinde untergebracht werden, die Hilfsbereitschaft sinkt, weil persönliche Beziehungen "verletzt" wurden.

Dieser Wegzug aus den ländlichen Gebieten führt in den Ballungsräumen naturgemäß zu neuen Problemen. Es sind in sehr kurzer Zeit Gemeinschaften der Geflüchteten entstanden, in denen vielfach wieder nur die eigene Sprache gesprochen wird und der Kontakt zu Österreichern in den Hintergrund tritt. Für die Integration ist das nicht förderlich und wird den Städten noch viel Kopfzerbrechen bereiten.

Für die Bürgermeister war dieses Jahr in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Der gelegentlich hemdsärmelige Zugang der Kommunalpolitik hat nicht zuletzt dazu geführt, dass es nun ausreichend Quartiere gibt, obwohl es da und dort auch ernsthaften Widerstand gab. Die Ortschefs haben gelernt, dass Einbindung nicht nur bei ihnen selbst Ängste abbaut, sondern auch bei der Bevölkerung.

Eine Befragung der Gemeinden von Flüchtlingskoordinator Christian Konrad im Frühsommer 2016 hat klar ausgewiesen: Überall, wo Flüchtlinge untergebracht sind, sind Ängste und Sorgen der Bevölkerung deutlich geringer als in jenen Gemeinden, die keine Flüchtlinge aufgenommen haben. Sichtweisen und Meinungen verändern sich stark, wenn Menschen den Dingen näher sind. Wenn Sie Flüchtlinge kennenlernen, die Kinder miteinander in die Schule gehen.

Die Kraft der Lokalpolitik

Bürgermeister haben auch gelernt, dass sie mit ihren Sorgen nicht alleine sind. In fünf Vernetzungstreffen in ganz Österreich konnten sie miteinander darüber reden, welche Aufgaben, aber auch welche Probleme es im Zusammenhang mit Flüchtlingen bei ihnen gibt. Vom Ehrenamt angefangen bis zu Deutschkursen, gemeinnütziger Beschäftigung oder der Arbeitsmarktlage nach einem positiven Bescheid. Diese Treffen haben viel dazu beigetragen, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister intensiver miteinander diskutieren, Erfahrungen austauschen und das Wissen anderer in ihrer Heimgemeinde anwenden können.

Die Bundespolitik wiederum hat gelernt, dass es ohne die Gemeinden nicht geht und Zwang eher zu Widerstand als zu einer Lösung von Problemen führt. Man könnte sagen: Die große Politik hat die Kraft der Lokalpolitik wiederentdeckt, zuletzt war das auch im Präsidentschaftswahlkampf offenbar kein unerheblicher Aspekt. Vielleicht ist auch das eine Erkenntnis, die bei der Lösung großer politischer Vorhaben dienlich sein kann.

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