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Deutsch lernen, aber falsch

Von Alexia Weiss

Politik
Um Flüchtlingen Deutsch beizubringen , wird viel getan in Österreich - sowohl auf freiwilliger Basis als auch von Institutionen. Allerdings sei in vielen Bereichen ein massives Umdenken gefragt, sagen Experten wie die Sprachwissenschafterin Verena Plutzar.
© Stanislav Jenis

Viele Sprachkurse für Flüchtlinge gehen an den Bedürfnissen vorbei, kritisieren Sprachwissenschafter.


Wien. Deutsch zu erlernen, das steht ganz oben auf der Wunschliste von Flüchtlingen. Menschen, die sich gut integrieren, das ist wiederum für die Stadtverwaltung prioritär. Viel wird getan, von Institutionen und Freiwilligen. Alleine: Der gute Wille führt nicht immer zum Ziel. Das Netzwerk SprachenRechte, der Verband für Angewandte Linguistik und der Österreichische Verband für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache starteten nun eine Vernetzung von professionellen Sprachkursanbietern ebenso wie von ehrenamtlichen Helfern oder Mitarbeitern der Stadt, um zu sehen, wo es Verbesserungsbedarf gibt, aber auch, was gut läuft. Das erste Fazit der beiden Sprachwissenschafterinnen Verena Plutzar und Verena Krausneker: In vielen Bereichen wäre massives Umdenken gefragt.

Beispiel Deutschkurse: Zum einen haben nicht alle Asylwerber, die sich noch im Verfahren befinden, einen Platz in einem Kurs. So verstreicht wertvolle Zeit - die Menschen, die im Zug der Fluchtdynamik vom Herbst 2015 nach Österreich kamen, sind inzwischen seit 15 Monaten hier. Zum anderen hat man sich in eine untaugliche Strategie verrannt, indem man den Europäischen Referenzrahmen für Sprachen für die Konzeption der Sprachkurse für Flüchtlinge und Migranten herangezogen hat. "Das sehen auch die Kursanbieter, mit denen wir Kontakt hatten, so", erklärt Plutzar.

Kritik an Einheitsniveaus

Dieser Rahmen sei entworfen worden, um Sprachprofile abzubilden. So kann man beispielsweise darstellen, dass jemand auf dem Niveau A1 schreiben, auf dem Level A2 lesen und sprechen, aber sogar schon auf Niveau B1 verstehen kann. In den Kursen werden aber alle Fertigkeiten auf einem Level unterrichtet - denn sie sollen auf die Prüfungen vorbereiten, die ebenso konzipiert sind - man muss auf einem Niveau Deutsch verstehen, sprechen, lesen und schreiben können. Und dann werde nicht einmal evaluiert, wie viele Stunden wirklich nötig seien, um ein Level zu erlernen und mit einer Prüfung positiv abzuschließen.

Zudem wird der Spracherwerb durch die Prüfungsanforderungen stark an Schriftlichkeit gekoppelt. Das schafft dann Probleme, wenn überhaupt erst die Schrift erlernt werden muss. "Hier gibt es zum Beispiel an der VHS Ottakring ein Konzept, bei dem einerseits alphabetisiert wird, andererseits die Sprache zunächst einmal mündlich erlernt wird", erzählt Plutzar. Leider scheine dieses Konzept nicht umgesetzt zu werden. Grundsätzlich fokussieren die Deutschkurse zu stark auf Schriftlichkeit und zu wenig auf mündliche Verständigung. Genau diese bräuchten Flüchtlinge, die sich rasch integrieren wollen, aber dringend. Daher gehe das Kursangebot teils stark an den Bedürfnissen vorbei. "Die ganze Didaktik müsste man völlig neu denken. Die Kurse mit Prüfungszielen nach dem Europäische Referenzrahmen machen so keinen Sinn."

Frustriert seien zudem viele der ehrenamtlichen Helfer, die Deutschunterricht anbieten. "Sie spüren nun, dass sie es nicht schaffen, ihre Schützlinge für die Prüfungen vorzubereiten", so Krausneker. Das sei aber auch gar nicht ihre Aufgabe. Ihre Stärke liege in der Beziehungsarbeit, aber auch in der Sprachbegleitung. Soll heißen: Konversation ist hilfreich, Unterricht sollte von dazu ausgebildeten Experten abgehalten werden.

Beispiel Schulsystem: Auch hier würden quereinsteigende Kinder parallel alphabetisiert und erhielten schriftsprachlichen Unterricht. Was in der Schule besonders auffällt, ist, dass die pädagogische Ausbildung weiterhin keine umfassende Schulung im Unterrichten von Deutsch als Zweitsprache vorsieht. "Das einsprachige Schulsystem ist ohnehin schon durch das Thema Mehrsprachigkeit durch Migration überfordert. Die Flüchtlinge haben das nun nochmals verstärkt", sagt Plutzar.

Im Grunde müsste Sprache von allen Pädagogen - vom Mathematiklehrer bis zur Musiklehrerin - vermittelt werden. Derzeit liege diese Aufgabe allerdings nur bei den - meist dafür nicht ausgebildeten - Deutschlehrern und -lehrerinnen. Flüchtlingskindern Deutsch beizubringen, bedürfe außerdem einer anderen Didaktik und anderer Lehrmittel, als Schüler in Deutsch zu unterrichten, für die diese Sprache die Muttersprache ist.

Ein weiteres großes Defizit des Schulsystems: Wer hier keine Eltern hat, die helfen können, tut sich schwer. Umgelegt auf die Situation von Flüchtlingen bedeutet dies: "Die, die hier einen Lotsen aus dem Bildungsbürgertum gefunden haben, finden ihren Weg und ihren Platz. Aber wenn man das nicht hat, ist es wahnsinnig schwierig", meint Krausneker.

Beispiel Jugendliche: Einige Gymnasien in Wien nehmen auch Flüchtlinge auf, "da gibt es sehr engagierte Schulen, die die Jugendlichen dann auch am Nachmittag noch gesondert fördern", so die Linguistin. Das müsse man aber wissen. Für alle anderen ende mit der Schulpflicht auch der Schulbesuch. Das Jugendcollege mit seinen 1000 Plätzen sei da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie so oft in Österreich sei es ein guter Ansatz, der dann aber nicht bundesweit eingeführt werde. "Es bräuchte aber eine strukturierte und flächendeckende Begleitung", betont ihre Kollegin Plutzar.

"In Österreich ist es so, dass es alles ein bisschen gibt." Sie nennt zum Beispiel die vier Anerkennungsstellen AST, wo man im Ausland erworbene Qualifikationen anerkennen lassen kann. Dort würden auch kostenlos Dokumente übersetzt. Allerdings warte man bereits jetzt Monate auf die Umsetzung. "Und man muss wissen, dass es diese Stellen gibt. Wenn das aber alle wissen würden, wäre diese Stelle noch überlasteter." Fazit Plutzars: "Für alle Themen hat sich schon einmal jemand etwas überlegt. Aber dann gibt es keine flächendeckende Umsetzung. Und es wird nicht sichergestellt, dass es wirklich alle erreicht."

Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen soll den Erwerb einer Sprache, deren Anwendung und Kompetenz vergleichbar machen. Er definiert für alle Teilqualifikationen (Leseverständnis, Hörverständnis, Schreiben und Sprechen) in allen EU-Sprachen sechs Kompetenzniveaus.