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Wählen im Zeichen der Spaltung

Von Peter K. Wagner

Politik

Zehn Listen treten bei der Grazer Gemeinderatswahl am 5. Februar an. Der langjährige Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) geht als Favorit ins Rennen. Doch das Grazer Wahlverhalten gilt als eigen.


Graz. Sowohl beim Wahlsieg im Mai als auch nach seinem Wiederholungserfolg im November nahm sich der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen des vermeintlich gespaltenen Österreichs an. Und sprach in Anbetracht der nahezu gleich vielen Stimmen für Norbert Hofer von zwei Hälften, die gemeinsam Österreich ausmachen würden.

In kaum einem anderen Gebiet zeigen sich diese beiden Hälften so deutlich wie in Graz. Die Mur trennt die zweitgrößte Stadt Österreichs, egal ob Nationalrat, Landtag oder Bundespräsident - immer, wenn seit 2013 gewählt wurde, spaltete der Fluss die Siedlung in eine grüne und eine blaue Hälfte. Aber Graz wäre nicht Graz, wenn Blau und Grün nun auch um das Bürgermeisteramt rittern würden. Die Grazer sind Wechselwähler. Und zur endgültigen Verwirrung trägt schließlich bei, dass sie kommunal tendenziell bürgermeistertreu sind. Bevor also nur eine Stimme gezählt wurde, steht fest, dass die Grazer Wahlen kaum zur Einordnung der Stimmungslage im Land nach dem Hofburgduell taugen.

Siegfried Nagl von der ÖVP ist bereits seit 2003 im Amt und holte 2012 in 16 von 17 Bezirken die meisten Stimmen. Er gilt als Konservativer mit liberalem Anstrich und hat sich trotz immer wieder kehrenden Anwandlungen, das entspannte Graz etwa mit restriktiven Plänen gegen Betteln oder Alkoholkonsum in der Innenstadt zur Verbotsstadt zu transformieren, geschickt genug angestellt, um bestätigt zu werden. Wobei es ihm seine Stadt leicht macht. Zwar staut sich im Grazer Becken der Frust über steigende Miet- und Immobilienpreise ebenso regelmäßig auf, wie die Feinstaubgrenzwerte überschritten werden, aber beide Stadthälften kennen keine großen Sorgen. Es kommt nicht von ungefähr, dass eine Studie der EU-Kommission im Vorjahr feststellte, dass die Grazer die zufriedendsten Arbeitnehmer Europas sind.

Dass man am Fuße des Schloßbergs nicht erst im Herbst zu den Wahlurnen schreitet, hängt einmal mehr mit dem Fluss zusammen, der die Stadt spaltet. Die KPÖ mit Vizebürgermeisterin Elke Kahr koppelte die Zustimmung zum Budget 2017 an eine Volksbefragung über das umstrittene Nagl-Projekt Murkraftwerk im Süden von Graz. Nagl lehnte ab, weil der Magistrat die rund 10.000 Unterschriften der Kraftwerksgegnerbewegung "Rettet die Mur" aus formalen Gründen abwies. Die Koalition war Geschichte. Es war nicht das erste Mal, dass eine Nagl-Regierung vorzeitig kippte. Im Jahr 2012 zerbrach jene mit den Grünen. Es kam ebenfalls zu vorgezogenen Neuwahlen. Schon damals war das Murkraftwerk ein Streitpunkt.

Grazer Mythos KPÖ

Der Grazer Bürgermeister trägt eine gewisse Ungeduld in sich, die man positiver als Arbeitswillen bezeichnen kann. Das Murkraftwerk will er unbedingt verwirklichen. Die Kraftwerksgegner fürchten 16.000 Baumopfer, lassen die 1800 Arbeitsplätze während der zweieinhalbjährigen Bauzeit - in Betrieb soll es später nur einen Posten geben - nicht gelten und haben eine Studie veröffentlicht, die über die Unwirtschaftlichkeit des Projekts berichtet. Weder das noch der weiterhin fehlende Partner für die verbliebenen 50 Prozent der an die 80 Millionen Investitionskosten lassen Nagl allerdings zweifeln. Dass der Baustart in dieser Woche erfolgte, legt den Schluss nahe, dass es Nagl und seine Partner eilig haben.

Schon am vorgezogenen Wahltag am 27. Jänner - der eigentliche Wahltag ist der 5. Februar, noch so eine Grazer Besonderheit - steigt Nagl als einer von zehn Listenführern in den Wahlring. Mit besonders breiter Brust wartet dort die bundesweite Kleinstpartei KPÖ auf ihn. Zwischen 1998 und 2003 hatte der Wohnbaustadtrat Ernest Kaltenegger so viele Wähler mobilisiert, dass die Kommunisten seitdem eine Größe der Grazer Stadtpolitik sind. Die KPÖ hat das Thema Wohnen für sich gepachtet und Mandatare, die den Großteil ihrer Gehälter an notleidende Bürger spenden. Die Grazer KPÖ ist inhaltlich die linke Partei, die sich in Österreich nie formiert hat. Und stellt damit die Grazer SPÖ vor ein großes Problem. Welche sozialdemokratischen Klassiker der erst im Juni bestellte Parteichef Michael Ehmann auch in die Schlacht wirft - er wird nicht gehört.

Da droht Nagl laut bisherigen Umfragen eher ein blaues Auge. FPÖ-Spitzenkandidat Mario Eustacchio war zuletzt Verkehrsstadtrat, interessiert sich allerdings erwartungsgemäß mehr für das Thema Migration. Mit Slogans wie "Fremd im eigenen Haus" oder "Fremd in der eigenen Schule" wird er mobilisieren können. Die Grünen sehen die Grazer Vielfalt naturgemäß positiver. Klientel gibt es in der Universitäts- und Fahrradstadt Graz zur Genüge. Spitzenkandidatin Tina Wirnsberger kämpft darum, dass von der KPÖ durch den Koalitionsbruch vereinnahmte Murkraftwerk als Thema für ihre Partei zu gewinnen.

Philip Pacanda komplettierte den Grazer Gemeinderat in der vergangenen Periode. Der Pirat ist neben Thomas Rupprecht im niederösterreichischen Hernstein einer von nur zwei Funktionären seiner Partei, die jemals in Österreich ein Mandat erreicht haben. Mit einem Bürgerinnenbudget, das 60.000 Euro in online einreichbare Projekte anstatt in den Wahlkampf investiert, träumen die Piraten davon, Kurs auf einen zweiten Gemeinderatssitz zu nehmen.

Ein richtiger Grazer

Klassischer gehen es die Neos an, die erstmals in Graz antreten und mit Niko Swatek einen 25-Jährigen nominiert haben, der in der Hochschülerschaft politische Erfahrung sammelte. Er sagt: "Graz darf alles" und entlehnt damit das Motto der Grazer Kulturhauptstadt-Werbekampagne von 2003. Und will als Kämpfer gegen die Verbotskultur in den Gemeinderat einziehen. Seine Chancen stehen dafür besser als für jene Kandidaten, die die zweistellige Kandidatenliste komplett machen: die Liste WIR des ehemaligen FPÖ- und BZÖ-Gemeinderats Gerhard Mariacher, die Nachhaltigkeitsbewegung "Einsparkraftwerk" um Rainer Maichin sowie die Kunstverein- und Lokalgründerin Tatjana Petrovic.

Im Wissen um die große Vielfalt der Konkurrenz inszenierte sich Nagl bei der Präsentation seines Wahlprogramms als perfekte Kombination aus allen Listen. "Die anderen Parteien betreiben nur Zielgruppenpolitik", sagte Nagl. "Ich will auch in Zukunft ein Bürgermeister für alle sein." Zumindest für all jene, die ein neues Murkraftwerk wollen, könnte man anmerken. Nach der Wahl dürfte vieles möglich sein. Nagl arbeitete neben der KPÖ auch schon mit SPÖ, FPÖ und Grünen zusammen. Gar etwas wechselhaft? Nagl ist eben ein richtiger Grazer.