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Die Nagl-Probe

Von Peter K. Wagner

Politik

Eigentlich ist der Wahlkampf in Graz an Langeweile nicht zu überbieten. Doch eine überparteiliche Bewegung schickt sich an, dem langjährigen ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl gefährlich zu werden.


Graz. Ein paar Plakate hier, ein paar Ständer da. Ein paar Infostände, die aufgrund der klirrenden Kälte des bisherigen Jänners nur mäßig besucht wurden. Aber eigentlich keine Gefahr in Sicht für Siegfried Nagl von der ÖVP. Den Grazern geht es gut, Nagl ist schon seit 14 Jahren Bürgermeister und hat sich in seiner dritten Amtszeit geschickt genug angestellt, um bestätigt zu werden.

Entsprechend unaufgeregt verläuft der Grazer Gemeinderatswahlkampf. Eigentlich. Denn da gibt es noch diese überparteiliche Bewegung, die vergangenen Samstag schon zum zweiten Mal in diesem Wahlkampf zum Marsch rief. "Grüne Energie? Wir lassen uns nicht pflanzen" steht groß auf einem Doppelhalter. Ein Plakat sticht besonders heraus: Es zeigt ein Porträt des Bürgermeisters mit Pinocchio-Nase.

Rund 2000 demonstrierten laut den Veranstaltern von "Rettet die Mur" diesmal gegen eine Murstaustufe im südlichen Grazer Bezirk Puntigam. Einmal mehr forderten sie eine Volksbefragung. Und bezogen sich damit auf jenen Konflikt, der die um ein paar Monate vorgezogenen Neuwahlen in der steirischen Landeshauptstadt erst nötig machte. Im November hatte die in Graz nahezu als Großpartei geltende KPÖ ihrem Regierungspartner dem Stadtbudget 2017 nicht zugestimmt. Weil das Magistrat Graz den Muraktivisten Formalfehler vorwarf und trotz der mehr als 10.000 gesammelten Unterschriften das Recht auf eine Volksbefragung verwehrte. Ein Nein, das Nagl und den Bauherren der Energie Steiermark sehr gelegen kam.

Umstrittenes Kraftwerk

Schon Anfang Jänner fuhren in Graz-Puntigam die ersten Bagger vor. Und auch die PR-Maschinerie der Projektpartner nahm ihre Arbeit auf: Ein Dialogbüro wurde eingerichtet, ein Ombudsmann abgestellt, in der größten Regionalzeitung warben C-Promis für das Kraftwerk.

Vor wenigen Tagen ließ Nagl dann noch verlautbaren, dass im Norden von Graz 73 Hektar nahe der Mur zum Naturschutzgebiet erklärt wurden. "Mit dem Murkraftwerk im Süden schaffen wir Lebensraum für Mensch und Tier, mit dem neuen Naturschutzgebiet beschützen wir die Tiere und deren Lebensraum", sagte er selbstsicher. Doch auch die Argumente der Gegner klingen plausibel - nicht zuletzt, weil sie ihre Skepsis nicht nur mit Artenschutz und Erhaltung des Naturraums begründen.

Der Baustart des 80-Millionen-Projekts erfolgte Anfang Jänner, obwohl noch immer kein Partner für die verbliebenen 50 Prozent Investitionskosten gefunden ist. Zwar redet der Verbund seit kurzem wieder mit der Energie Steiermark über das Kraftwerk. Dass es nur Gespräche sind, könnte aber daran liegen, dass Wasserkraftwerke aufgrund der Strompreise aktuell nur an Riesenströmen in China ökonomisch Sinn ergeben.

Kürzlich war das Murkraftwerk Thema bei der ersten steirischen Landtagssitzung im neuen Jahr. Landeshauptmann-Vize Michael Schickhofer, der mit der ÖVP in der Regierung sitzt, verwies einmal mehr auf die 1800 Arbeitsplätze während der zweieinhalbjährigen Bauzeit. Es bedarf keines Mathematikstudiums, um zu errechnen, dass es sich dabei nicht um dauerhafte Vollzeitarbeit in der Baubranche handeln kann. Zumindest nicht um heimische. Dass die 800, 8000 oder 16.000 - die Zahlen variieren - zu fällenden Bäume gegen den in Graz immanenten Feinstaub gut wären, erklären einschlägige Studien. Schon die UVP-Prüfung endete nur dank Ausnahmeregelungen mit dem Totschlagargument "öffentliches Interesse" positiv. Die Gegner legten in der Folge Gutachten und Studien von Energieexperten vor, die von vergleichsweise viel zu teurem Strom und einem auf Jahrzehnte nicht möglichen Return of Investment wussten. Berechnungen, die trotz mittlerweile angeblich geringerer Baukosten nicht viel an Bedeutung verlieren.

"Müssen wieder marschieren"

Vor zwei Wochen erklärte der Verfassungsjurist Heinz Mayer obendrein, dass die Stadt Graz der Volksbefragung im November stattgeben hätte müssen. Unter anderem sei das Argument, es handle sich beim Kraftwerk um eine Landessache, nichtig. Landesrechnungshof und Stadtrechnungshof prüften das Murkraftwerk nicht. Der Stadtrechnungshof begutachtete jedoch die Maßnahmen, die das Murkraftwerk begleiten. Und damit vor allem jenen Speicherkanal, über den die Grazer noch weniger wissen als über das Murkraftwerk selbst. 84 Millionen soll er kosten - 80 Prozent wird die Stadt Graz selbst finanzieren. Notwendig wird er, weil eine EU-Richtlinie etwas gegen die Verschlechterung fließender Gewässer hat, wie sie der Mur durch das Kraftwerk blüht. Statt "gut" wäre die Wasserqualität nur noch "mäßig". Der Stadtrechnungshof befand in seinem Bericht den Bau des Speicherkanals daher als "nachvollziehbar", weist aber einen Nachsatz aus: Die angespannte Finanzlage der Stadt Graz - Schuldenstand etwa 1,6 Milliarden Euro - verlange, "Investitionsvorhaben auf das absolut notwendige Mindestmaß zu beschränken".

"Wir müssen wieder marschieren", ruft Steven Weiss, Dozent an der Uni Graz, am Ende der Kundgebung vergangenen Samstag. Die Bewegung plant außerdem eine Informationssendung an alle Grazer Haushalte. Mithilfe von Geldern der Grazer Piraten, die im Wahlkampf ein Bürgerinnenbudget initiierten. Neben den Piraten sprachen auch die KPÖ, die Grünen und die Neos bei der Kundgebung. SPÖ und FPÖ sitzen beim Murkraftwerk im Bürgermeisterboot. Ganz egal, welche Themen die wahlwerbenden Parteien bisher in die Schlacht um Graz warfen, richtige Akzente konnte niemand setzen. Das Murkraftwerk ist zum überparteilichen Thema des Wahlkampfs geworden - und damit zur Nagelprobe für den amtierenden Bürgermeister. Am 4. Februar haben die Kraftwerksgegner die nächste Kundgebung geplant. Am 5. Februar wird gewählt.