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Gefährlich machtlos

Von Petra Tempfer

Politik
© Fotolia/b_susann_k

Rund 300 Gefährder leben in Österreich. Um gegen diese vorgehen zu können, müsste man das Polizeirecht ändern.


Wien. Etwa 520 sollen es in Deutschland sein. In Österreich, das zehnmal kleiner ist, wird deren Zahl sogar auf 300 geschätzt, so der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler. Der Terrorverdächtige, den die Cobra am Freitag in Wien festgenommen hat, war auch einer. Tja, was eigentlich? Man nennt sie Gefährder, eine genaue Definition dieses Begriffes gibt es allerdings nicht. Und das ist das Problem.

Oder zumindest das vorrangige Problem, das sämtliche Präventionsmaßnahmen schwierig macht. So schlug Innenminister Wolfgang Sobotka bereits Anfang Jänner vor, vorbeugende Maßnahmen gegen Terrorismus und Kriminalität zu treffen, wobei ein Punkt die Gefährder betraf: Diese sollten mittels Fußfessel überwacht werden, sagte er. Nach der Festnahme des Terrorverdächtigen in Wien plädierte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in der "Presse" am Sonntag für ein umfangreiches Sicherheitspaket, das in das für Ende des Monats angekündigte "Update" des ÖVP-SPÖ-Regierungsprogrammes aufgenommen werden solle. Er unterstützte Sobotkas Vorschlag, Gefährder besser - zum Beispiel mit Fußfessel - zu überwachen. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil reagierte auf Mitterlehners Forderung irritiert. Er erwarte sich, dass man Vorschläge intern diskutiere, sagte er am Montag.

In Deutschland laufen nach dem Terroranschlag am 19. Dezember in Berlin, als ein islamistischer Attentäter mit dem Lastauto in einen Weihnachtsmarkt fuhr und zwölf Menschen tötete, ähnliche Debatten. Dort ist man allerdings schon weiter: Seit längerem liegt der Gesetzentwurf von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Abschiebehaft bei ausreisepflichtigen Gefährdern auf dem Tisch. Ein schwieriges Unterfangen, ist doch das Polizeirecht in Deutschland in den 16 Bundesländern unterschiedlich geregelt. Aber auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schlug vor, islamistische Gefährder sollten in Abschiebehaft genommen werden dürfen, wenn die Herkunftsstaaten nicht kooperieren. Beide wollen dafür sorgen, dass mutmaßliche Extremisten besser überwacht werden - zum Beispiel mit einer Fußfessel.

Einheitliche Standards fehlen

Allein - was macht einen Menschen zu einem Gefährder? "Es gibt keine einheitlichen Standards", sagt Stephan Humer, Vorstandsvorsitzender des Netzwerk Terrorismusforschung mit Sitz in Berlin, zur "Wiener Zeitung". Das mache vor allem die Kommunikation zwischen den Ländern schwierig.

Grundsätzlich verdächtig seien zurückgekehrte IS-Kämpfer aus dem Syrien-Krieg. Seit Anfang des Konfliktes hätten sich 300 Personen aus Österreich auf den Weg zur sunnitischen Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) gemacht, heißt es dazu aus dem Innenministerium. Rund 90 Dschihad-Rückkehrer seien bekannt. Werden diese dann auch noch irgendwann straffällig, so Humer, gehörten sie schon zum potenziellen Gefährder-Kreis. Kleinkriminelle, Drogenhändler, Taschendiebe. Die Palette sei bunt gemischt, eine gewisse Gewalttätigkeit stecke immer dahinter.

Hier endet die Einheitlichkeit. Alle anderen Definitionen sind länderspezifisch. In Österreich zum Beispiel werden laut Kogler Linksextreme, Rechtsextreme oder religiös Extreme, bei denen Grund zur Annahme besteht, dass sie in örtlicher oder zeitlicher Nähe eine Tat ausführen könnten, zum Kreis der Gefährder gezählt. Personen, die andere radikalisieren, seien allerdings nicht als Gefährder erfasst, sagte er in der Pressekonferenz am Montag.

Zuallererst müssten also laut Humer der Begriff "Gefährder" und die Maßnahmen, wie man mit diesen verfährt, vereinheitlicht werden. Die Zeit drängt. Denn: "Man kann davon ausgehen, dass das Problem größer wird."

Der Strafrechtsexperte Helmut Fuchs von der Universität Wien ortet hier jedoch ein gravierendes Problem. Informationen über Gefährder könne man aus taktischen Gründen oft nicht offenlegen. Zudem seien mitunter Geheimdienste im Spiel. Die Kunst werde also sein, greifbare und gerichtlich überprüfbare Kriterien zu finden.

Was die Maßnahmen gegen Gefährder betrifft, sei man mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert, so Fuchs. Es sei problematisch, einen Menschen, der noch gar keine Tat begangen hat, als Gefährder zu bezeichnen und Konsequenzen daraus entstehen zu lassen. Vor allem, was die Haft betrifft, müsse dieser eine Straftat vorausgehen. Bei der U-Haft müsse der dringende Verdacht einer Straftat bestehen.

Um diese Vorzeichen zu ändern, müsste man das Polizeirecht ändern, sagt Helmut Fuchs, und klären, inwieweit ein Verdachtsfall einen Freiheitsentzug rechtfertigen würde. Man müsste also "die Strafbarkeit dort beginnen lassen, wo man knapp davor ist" und den Straftatbestand um vieles weiter fassen. Wahrscheinlich müsste man aber zusätzlich die Verfassung ändern, weil eine Abschiebehaft für Gefährder das Recht auf persönliche Freiheit verletzen könnte.

"Das Netzwerk zerstören"

Die Fußfessel sei ein etwas geringerer Eingriff, sagt Fuchs. Derzeit ist es so, dass Strafgefangene den Vollzug der Strafe unter elektronisch überwachtem Hausarrest mit Fußfessel verbringen können - Gründe, die die Haft rechtfertigen, müssen aber auch hier vorliegen. Laut Fuchs müsste man bei den Grundsätzen ansetzen.

Eine längere Freiheitsentziehung beruhe auf dem Konsens der Gesellschaft, dass Staatsbürger Ordnung bewahren, die Straftäter allerdings nicht. Nun lehnten aber immer mehr Menschen die demokratisch-freiheitliche Gesellschaftsordnung ab. Die Ausweitung der Personenüberwachung über die Fußfessel auf diese Personen sei vorstellbar.

Humer vom Netzwerk Terrorismusforschung sieht das anders. Die Fußfessel helfe nicht wirklich, jemanden von einer Tat abzuhalten. Die Reaktionszeiten seien zu lang. Er plädiert daher für härtere Maßnahmen wie Haft, "weil man durch diese über die Monate hinweg das Netzwerk zerstört". Ein Gefängnis speziell für Gefährder betrachtet er aber kritisch. Es bestehe die Gefahr der Zusammenrottung. Die einzelnen Länder handhaben das jedoch unterschiedlich. Hier eine einheitliche Linie zu finden, sei die Aufgabe der Politik - und die Basis für eine Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung.