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"IS ist nicht mehr im Zentrum"

Von Werner Reisinger

Politik
© Vedran Dzihic

Terror: Balkan-Experte Vedran Dzihic warnt vor der Stigmatisierung einzelner ethnischer Gruppen.


Wien. Welche Rolle spielt die albanische Herkunft des am Freitag festgenommenen mutmaßlichen Islamisten? Beleuchten Behörden und Medien die richtigen Aspekte? Der Wiener Politologe und Balkan-Experte Vedran Dzihic beschäftigt sich mit der Ideologie, den Netzwerken und den Radikalisierungsmechanismen in den Balkanländern und den Communities hier in Österreich.

"Wiener Zeitung":Bisher schienen Albaner in der dschihadistischen Szene, zumindest medial, keine Rolle zu spielen - in Österreich seien es vor allem Tschetschenen und Bosnier, von denen Gefahr drohe. Innenminister Wolfgang Sobotka sprach von einem "radikalen albanisch-islamistischen Milieu". Wie sieht dieses aus?Vedran Dzihic: Ich halte es für problematisch, explizit von einem albanisch-islamistischen Milieu zu sprechen. Man kann bei den Islamisten in Österreich nicht von "den Tschetschenen" oder "den Bosniern" sprechen, die Milieus überlappen sich. Herkunftsmilieus sind vor allem wegen der gemeinsamen Sprache wichtig, es geht um Kommunikation, schon alleine wegen der Bedeutung der sozialen Medien für Ideologie, Strategie und Planung.

Natürlich gibt es in Österreich spezifische ethnische Gruppen, die eine stärkere Affinität zum Islamismus aufweisen, wie die von Ihnen genannten. Rund 500 Personen sind seit 2004 aus den Ländern des Balkan als Dschihadisten nach Syrien gegangen. Die albanische Diaspora ist vor allem in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich zahlenmäßig stark, die Syrien-Kämpfer vom Balkan sind mit der Diaspora eng vernetzt. Sie verfolgen die Entwicklungen am Balkan genau, etwa die schlechte wirtschaftliche Lage und die politische Instabilität. Nicht nur deshalb sollte man mit ethnischen Zuspitzungen vorsichtig sein. Der in Graz verurteilte serbische Prediger Mirsad O. hat auch im albanischen Milieu großen Anklang gefunden, auch der nun festgenommene, mutmaßliche Islamist war offenbar ein Anhänger des Predigers.

Wieso dann diese Zuspitzung?

Wenn in einer Szene intern ausschließlich auf Albanisch kommuniziert wird, kann aus nachrichtendienstlicher Sicht das Bild einer ethnischen Geschlossenheit entstehen, man benötigt zur Überwachung Beamte, die Albanisch sprechen, man überwacht die Reisebewegungen und so weiter. Die Szenen sind aber durchlässig.

Der Festgenommene ist erst 17. Welche Rolle spielt hier das Milieu und welche spielt das Internet?

Beides ist für den Radikalisierungsprozess zentral. Oft kommt zu einem sozialen Milieu, das von Kleinkriminalität und prekären Lebensumständen geprägt ist, die Welt des digitalen Islamismus hinzu. Radikalisierung, die ausschließlich über das Netz stattfindet, kommt ebenso selten vor wie Radikalisierung ohne soziale Medien, nur in persönlichen Milieus.

Seit einiger Zeit ruft die IS-Führung auf, nicht mehr zum Dschihad nach Syrien zu kommen, sondern hier, in Europa, zu kämpfen. Welche Rolle spielen Rückkehrer?

Natürlich geht von Rückkehrern eine massive Gefahr aus, sie radikalisieren Jugendliche oder sind selbst potenzielle Attentäter. Der Strom von Kämpfern aus dem Balkan oder auch aus EU-Ländern wie Österreich ist aber de facto zum Erliegen gekommen. Einerseits, weil IS sich militärisch auf dem Rückzug befindet, andererseits, weil die Ausreisewege, via die Türkei, weitaus schwieriger geworden sind. Zudem haben die behördlichen Aktionen - bei uns, in Deutschland, der Schweiz wie auch am Balkan - gegen ausreisewillige Islamisten Wirkung zeigen. Wir haben es mit einem Strategiewechsel zu tun, der für die Behörden schwer zu fassen ist: Leute sollen Taten verüben, die eben nicht in das klassische, ethnische oder religiöse Schema passen. Das hat taktische Gründe, Ziel ist es, es den Behörden und Geheimdiensten so schwer als möglich zu machen. Der IS an sich spielt nicht mehr eine so zentrale Rolle. Wenn es aber dazu kommt, dass eine Gruppe konkrete Pläne schmiedet, dann schließen sich durchaus Szenen zusammen und IS-Strukturen kümmern sich um Mittel, Dokumente, Bewaffnung.

Auch wenn die Behörden betonen, dass Österreich hinsichtlich islamistischen Terrors keine "Insel der Seligen" ist: Anders als Frankreich oder Großbritannien ist Österreich nicht militärisch in Syrien engagiert. Macht uns das für den IS als Ziel weniger attraktiv?

Natürlich ist die Gefahr für Länder, die in Syrien militärisch engagiert sind, größer. Zugleich ist es wichtig zu sehen, dass das Phänomen IS mittlerweile nicht mehr mit der eigentlichen Terrororganisation gleichzusetzen ist. Das geht weit darüber hinaus. Radikale Islamisten und Dschihadisten entwickeln zunehmend auch eigene Logiken, die sich teilweise mit jener des IS decken, teilweise aber auch davon abweichen, die IS-Ideologie weiterentwickeln - in einer diffusen Form.

Man sucht etwa andere Anschlagsziele. "Der Westen ist gegen den Islam", das ist zwar nach wie vor das Hauptmotiv. Aber man kann sich in einem kleinen Zirkel auch einbilden, dass speziell Österreich ein Aggressor ist: Der Umgang in der Flüchtlingsfrage, der Law-and-Order-Kurs, den manche Politiker fahren, spielen hier eine Rolle. Deshalb ist Sensibilität bei der Sprachwahl, auch in der Terror-Berichterstattung, aber auch bei Politikern, von zentraler Bedeutung. Eine Stigmatisierung einzelner ethnischer Gruppen kann das Gefühl des Angegriffen-Werdens noch verstärken.