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Billige Grenzgänger

Von Marina Delcheva

Politik

Weil immer mehr Osteuropäer hier arbeiten, will SPÖ den Zugang beschränken. Firmen profitieren von billigen Arbeitskräften.


Wien. Sie pflücken Erdbeeren um drei Euro pro Stunde. Sie betreuen rund um die Uhr pflegebedürftige Menschen um 800 Euro für zwei Wochen. Und sie verlegen Fliesen und Fußböden deutlich unter dem gesetzlich festgelegten Kollektivvertragslohn. In den vergangenen Jahren ist die Zahl an Arbeitnehmern aus den östlichen Nachbarstaaten gestiegen, vor allem in niedrig qualifizierten Branchen. Für Betriebe und für private Haushalte ist das erfreulich, denn sie bekommen Arbeitskraft und Dienstleistungen zu Dumpinglöhnen. Für den Arbeitsmarkt und heimische Betriebe, die nach dem Kollektivvertrag anstellen, ist die Entwicklung weniger gut.

Die SPÖ rüttelt nun an einem der vier Grundpfeiler der Europäischen Union, der Personenfreizügigkeit. Konkret fordert Bundeskanzler Christian Kern, dass in Branchen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit wieder die Arbeitsmarktprüfung eingeführt wird. Erst, wenn sich kein länger in Österreich lebender Jobsuchender für eine ausgeschriebene Stelle findet, soll diese mit einem EU-Ausländer besetzt werden.

Die Maßnahme soll vor allem Bürger aus EU-Staaten treffen, in denen das Lohnniveau unter 80 Prozent des heimischen liegt. Also vor allem Osteuropäer. Die Forderung kommt in Brüssel nicht gut an und hat Kern sogar die Zuschreibung "slim-fit Trump" eingebracht. In Österreich ist sie angesichts der hohen Arbeitslosigkeit populär.

"Wir dürfen nicht die Augen vor diesen Realitäten verschließen. Wenn Brüssel jetzt nicht mit uns verhandelt, verhandelt es vielleicht bald mit einem Strache", sagt Christoph Ertl, Sprecher des Sozialministeriums, zur "Wiener Zeitung". Tatsächlich ist die Zahl der Arbeitnehmer vor allem aus den östlichen EU-Nachbarstaaten seit der ersten Arbeitsmarktöffnung 2011, deutlich gestiegen. Laut Sozialministerium waren 2015 rund 477.000 EU-Ausländer in Österreich selbständig oder unselbständig tätig und als Jobsuchend gemeldet. 2011 waren es noch 273.435. Im Rahmen der Entsenderichtlinie sind rund 180.000 ausländische Arbeitskräfte hier tätig.

Anstieg bei Ost-Arbeitern

Der Großteil des Anstiegs entfällt auf Arbeitskräfte aus den EU-Oststaaten, die seit 2011 - Bulgaren und Rumänen seit 2014 - ohne Einschränkungen hier arbeiten dürfen. So ist zum Beispiel die Zahl der Arbeitnehmer aus Ungarn von 34.578 im Jahr 2011 in fünf Jahren auf 71.088 gestiegen, wie Zahlen des Arbeitsmarktservice (AMS) zeigen. In diesem Zeitraum ist die Zahl der unselbständig Beschäftigten aus Ungarn, der Slowakei, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, Polen und Slowenien um 104.804 gestiegen. Der verstärkte Zuzug erhöhe die Arbeitslosigkeit, drücke das Lohnniveau und belaste das Sozialsystem, so der Vorwurf. Unter Druck geraten vor allem weniger qualifizierte Arbeitnehmer in den Grenzregionen und Migranten, die schon länger hier leben.

Betriebe profitieren vielfach

Anderseits haben heimische Betriebe in den vergangenen Jahren deutlich von billigeren und oft besser ausgebildeten Arbeitskräften profitiert. Auch zahlreiche Häuslbauer haben sich ihre Böden und Fliesen von billigen Arbeitern aus den Grenzländern verlegen lassen, anstatt ein heimisches Unternehmen zu einem höheren Preis zu beauftragen.

Forscher der Universität Wien haben im Rahmen des Projekts Translab 1300 Pendler aus den Grenzregionen Tschechien, Slowakei und Ungarn sowie Unternehmer, Interessenvertreter und Bürgermeister in Niederösterreich und dem Burgenland befragt.

"Die Frage sollte nicht nur lauten, ob die Arbeiter aus Osteuropa das Lohnniveau drücken und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Sondern, ob die Unternehmer hier nicht auch bewusst Standards unterwandern", sagt Studienautorin Laura Wiesböck. Die Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass die befragten Pendler innerhalb derselben Branche um die Hälfte weniger pro Stunde verdienen, als etwa österreichische Staatsbürger. Im Baugewerbe verdient zum Beispiel ein Österreicher rund 14 Euro pro Stunde, ein länger ansässiger Migrant 13 Euro und ein Pendler rund neun Euro.

Hinzu kommen prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen. Pendler berichteten, sich auf einen Lohn von 1400 Euro netto mit ihrem Arbeitgeber geeinigt zu haben und dann 400 Euro davon in einem Kuvert wieder an den Chef zurückgegeben zu haben - weil sie das mussten. Erntehelfer müssen oft den ganzen Tag in sengender Hitze und ohne sanitäre und Ruheräume auf den Feldern arbeiten; um gerade einmal drei bis vier Euro pro Stunde.

"Viele nehmen das in Kauf, weil die Situation in der Heimat nicht besser ist und das Lohnniveau noch niedriger", so die Forscherin. Zudem seien viele gar nicht über ihre Rechte informiert. Für Arbeitgeber ist das üppige Arbeitskräfteangebot ein Segen. Und zwar nicht nur aus Kostengründen. Viele Pendler beherrschen mindestens zwei Sprachen und sind gut ausgebildet. Gastronomen und Händler suchen oft Personal, das zumindest eine Ostsprache beherrscht. Denn Slowaken, Ungarn und Tschechen sind in den Grenzregionen nicht nur Arbeiter, sondern auch Thermen- und Geschäftsbesucher. Im Burgenland sind etwa 17 Prozent der Beschäftigten EU-Pendler.

Und oft sind es die "eigenen Leute", die schon länger hier Leben und Arbeitnehmer aus dem Osten besonders schamlos ausnützen. Ein Ungar berichtet, dass ihm der ungarisch-stämmige Restaurantbesitzer mit Entlassung gedroht habe, weil er über der Geringfügigkeitsgrenze versichert werden wollte.

Der Koalitionspartner ÖVP möchte die Pläne Kerns auf Nachfrage nicht kommentieren. Die Forderung, die Arbeitnehmerfreizügigkeit einzuschränken, steht rechtlich auf tönernen Füßen. Für eine Änderung braucht es eine absolute Mehrheit im EU-Rat und die östlichen EU-Staaten werden dem nicht zustimmen. Sie exportieren so einen Teil ihrer Arbeitslosen, die wiederum aus dem Ausland Geld nach Hause schicken.

Im Sozialministerium denkt man deshalb über eine teilweise Einschränkung in wenigen Branchen nach. Für diese bräuchte es unter Umständen auch nur eine einfache Mehrheit im Rat. Das soll groben Schätzungen zufolge den Arbeitsmarkt in den kommenden fünf Jahren um 150.000 Arbeitskräfte entlasten.

Außerdem verhandelt man mit Brüssel auch über die Entsenderichtlinie. Diese regelt, unter welchen Bedingungen europäische Firmen ihre Arbeiter nach Österreich schicken dürfen. Arbeitnehmervertreter fordern hier, dass nicht nur nach österreichischem Kollektivvertrag entlohnt werden muss, sondern auch, dass die Sozialversicherung hier und nicht in der Heimat, wo sie niedriger ist, bezahlt wird. Aber auch hier kommt Widerstand.