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Für Deutsch ab dem ersten Tag

Von Alexia Weiss

Politik
Ilkim Erdost will Deutschkurse so gestaltet wissen, dass sie möglichst nah an den Bedürfnissen von Geflüchteten und Migranten sind.
© Jenis

An der VHS Ottakring geht man in der Sprachvermittlung andere Wege.


Wien. Ilkim Erdost leitet die Volkshochschule Ottakring. Hier versucht man, die Deutschkurse so zu gestalten, dass sie möglichst nah an den Bedürfnissen von Geflüchteten und Migranten sind.

Aktuell hat sich ja die Bundesregierung in ihrem neuen Programm darauf geeinigt, dass Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte einen Rechtsanspruch auf Deutschkurse bekommen sollen - die "Wiener Zeitung" hat darüber berichtet.

Umgekehrt wird von der Regierung ein verpflichtendes Integrationsjahr eingeführt, das neben Deutsch- und Wertekursen sowie Kompetenzchecks auch gemeinnützige Tätigkeiten vorsieht. Außerdem müssen Asylberechtigte einen Integrationsvertrag inklusive einer Werteerklärung unterschreiben, der die oben genannten Maßnahmen enthält. Wer das nicht macht oder Kurse und gemeinnützige Tätigkeiten verweigert, soll keine Sozialleistungen wie etwa die Mindestsicherung mehr bekommen.

Im Interview schildert nun Ilkim Erdost die aktuellen Herausforderungen für Wien und formuliert ihre Wünsche für ein österreichweit noch besseres Angebot an Sprachkursen. Ihr fehlt vor allem eine lückenlose Betreuung, welche den Deutschlernenden Pausen und Systembrüche erspart.

"Wiener Zeitung": Die beiden Sprachwissenschafterinnen Verena Plutzar und Verena Krausneker haben kürzlich kritisiert, dass nicht alle angebotenen Deutschkurse den Bedürfnissen von Flüchtlingen und Migranten entsprechen. An der VHS Ottakring gehen Sie andere Wege als andere Anbieter. Wie sehen diese aus?Ilkim Erdost: Alle unsere Kurse sind teilnehmerzentriert. Das bedeutet, dass wir uns immer daran orientieren, wo die Teilnehmer wirklich stehen. Das kann ein A1-Kurs sein oder ein A2-Kurs, aber erst nach ein paar Wochen weiß man, auch wenn das im Vorfeld gut getestet wird, welche Vorkenntnisse die Menschen haben, welche Lerntempi. Die Kursleiter müssen sich dann darauf konzentrieren, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer brauchen.

Wie bringt man dabei die verschiedenen Bedürfnisse der Teilnehmer unter einen Hut?

Genau das ist die Kunst der Lehrenden. Es gibt Menschen, die schneller lernen, andere, die langsamer lernen. Manche sind im Mündlichen besser als im Schriftlichen. Wir unterrichten mit authentischen Materialien. Statt Lehrbüchern verwenden wir Zeitungsartikel, Beiträge aus dem Internet oder Texte, die die Teilnehmer selbst mitbringen. So werden die Lebenswelten der Menschen in den Kurs integriert.

Der Europäische Referenzrahmen für Sprachen dient zur Einteilung in die Kurse, aber auch als Vorgabe, was prüfungsrelevant ist. Ist das ein taugliches Mittel?

Es ist ein Mittel, das sich in der Praxis etabliert hat. Alle Institutionen arbeiten damit. Natürlich kann man darüber streiten, ob es gescheit ist, menschliche Fähigkeiten in solche Raster einzusortieren. Tatsache ist, wenn man einen pragmatischen Zugang wählt, geht das. Wir lassen uns aber dadurch nicht in den Kursen Ketten anlegen. Was es in unseren Kursen auch nicht gibt, ist teaching to the test. Es geht darum, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlernen. Der Spracherwerb steht im Mittelpunkt. Wenn es um Prüfungsvorbereitung geht, dazu gibt es Prüfungsvorbereitungskurse.

Eine Herausforderung, die sich mit der großen Fluchtbewegung von 2015 stellt, ist die Alphabetisierung. Was ist hier zu beachten?

Alphabetisierung ist ein wichtiger Aspekt, der häufig unterschätzt wird. Wichtig ist, dass zu Beginn eine ordentliche Beratung und Einstufung stattfindet, wo man nicht nur feststellt, hat diese Person Alphabetisierungsbedarf, sondern auch schaut, welche Vorbildung bringt sie mit. Ist sie in ihrer Erstsprache alphabetisiert? Und wenn ja, in welchem Ausmaß? Es gibt so viele unterschiedliche Erstsprachen jetzt in Wien, von Arabisch und Aramäisch über Kurdisch, Farsi, Dari, Türkisch bis zu Bulgarisch, Urdu, Paschtu, Hindu, Panjabi. Die haben auch alle sehr unterschiedliche Sprachbilder und Schreibbilder.

Wie können Menschen, die nicht alphabetisiert sind, dennoch schon anfangen, Deutsch zu lernen?

Wir haben mit den Bewohnern einer Flüchtlingsunterkunft im Liebhartstal gemeinsam ein Format entwickelt: "Deutsch ohne Schrift". Es vermittelt Alltagssprache und hat einen sehr innovativen Ansatz. Über das Sprechen werden auch Sprachstruktur und Grammatik erworben. Es gibt hier tolle Einzelprojekte, aber kein österreichweites Gesamtprogramm. Das, was wir im Alltag sehr stark merken, ist, dass das Feld sehr komplex ist. Es gibt von den verschiedenen Förderstellen unterschiedliche Kursangebote, eine vielfältige Auswahl an Träger- und Anbieterorganisationen. Oft ist es tatsächlich so, dass es zu Systembrüchen kommt, also z.B. eine Person von einer Seite gefördert wird, einen Kurs macht, warten muss, dann bei einer anderen Organisation anders eingestuft wird. Es gibt aber auch sehr gute Beispiele von Unterstützungs- und Beratungsangeboten aus einer Hand, gerade auch in Wien mit dem Jugendcollege und der Bildungsdrehscheibe.

Was ist nötig, damit das ganze System Deutschkurse besser organisiert wird, als es das jetzt ist?Es wäre dringend notwendig, die Wege für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu verkürzen. Es braucht eine Deutsch-ab-dem-ersten-Tag-Philosophie, ein differenziertes Alphabetisierungsangebot und wir müssen einen stärkeren Fokus darauf legen, was die Menschen mitbringen. Mehr berufsbezogene Deutschkurse fände ich auch wünschenswert. Und es braucht mehr Forschung sowie eine für ganz Österreich zentrale Bedarfserhebung und Evaluation der angebotenen Deutschkurse.

Was bedeutet für Sie ab dem ersten Tag - bezieht sich das auf die Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz oder auf die Zulassung zum Asylverfahren?

Ab dem ersten Tag, wo eine Person bereit ist, einen Kurs zu besuchen. Nicht jede Person ist in der Lage, nach einer Fluchterfahrung oder nachdem sie migriert ist, sofort in einen Deutschkurs zu gehen. Da gibt es so viele existenzielle andere Fragen.

Sind die Mittel entsprechend dem gestiegenen Bedarf an Deutschkursen erhöht worden?

Der Bedarf ist sehr hoch. Wir könnten mehr machen. Ich weiß allerdings, dass sich alle sehr bemühen. Wir müssten aber ein bisschen über unseren Schatten springen, denn ich kenne kein Argument, das dagegen spricht, warum jemand nicht gratis und so viel er oder sie will an Deutschkursen teilnehmen soll.

2016 nahmen 10.000 Personen an Deutschkursen der Wiener Volkshochschulen teil. Rund 5000 Menschen, davon etwas mehr als 2200 Jugendliche) besuchten einen der 503 Alphabetisierungs- und Basisbildungskurse.

An der VHS Ottakring wurden im Vorjahr rund 1000 Menschen alphabetisiert, besuchten einen Basisbildungs- oder Deutschkurs, wobei rund drei Viertel der Teilnehmer in Deutschkursen eingeschrieben waren.

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