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Krank nur im Notfall

Von Marina Delcheva und Petra Tempfer

Politik

SVA kürzt Krankengeld für Selbständige - Sozialministerium will Harmonisierung des Sozialversicherungssystems.


Wien. Für viele Selbständige wird Kranksein heuer eine besonders teure Angelegenheit. Und zwar für all jene, die eine zusätzliche Krankenversicherung abgeschlossen haben, wie die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) in einem Schreiben an ihre Versicherten angekündigt hat. Der Grund: Die SVA hat ein Defizit von zehn Millionen Euro angehäuft. Tausende Selbständige müssen daher auf einen Großteil der Leistungen ihrer Krankenzusatzversicherung verzichten, sofern sie eine abgeschlossen haben (auf freiwilliger Basis). Das Krankengeld beträgt nun mindestens acht Euro pro Tag. Früher waren es mindestens rund 30 Euro. Die Zusatzversicherung garantiert Krankengeld ab dem vierten Tag. Sonst bekommen die Selbständigen erst ab dem 43. Tag Geld.

Die Briefe flatterten den rund 31.000 Betroffenen, also allen Zusatzversicherten, just nach der Ankündigung der Regierung ins Haus, das Sozialversicherungssystem zu reformieren und eine bessere Krankenversicherung für Selbständige zu gewährleisten. Wie Kanzler Christian Kern und Vize Reinhold Mitterlehner beim Ministerrat am Mittwoch verkündeten, ist mit dem neuen Regierungsprogramm auch eine umfassende Reform der Sozialversicherung geplant.

Konkret sollen Unternehmer und kleine Selbständige nicht erst nach dem 43. Tag, sondern schon viel früher ein Krankengeld bekommen. Ab wann genau und in welcher Höhe, das muss jetzt verhandelt werden. Außerdem fordert Kern, dass Defizite bei den Sozialversicherungen aus ihren rund drei Milliarden Euro schweren Rücklagen - zumindest zum Teil - beglichen werden. Vor allem Letzteres kommt bei den Versicherungsträgern gar nicht gut an.

Weniger Krankengeld

Die SVA bezieht auf Nachfrage konkret dazu keine Stellung. Sie rechtfertigt die Einschnitte damit, dass sich aus der Zusatzversicherung Defizite in Millionenhöhe angehäuft hätten. Grund dafür sei die Tatsache, dass einfach zu viele Selbständige die angebotene Zusatzversicherung in Anspruch genommen hätten. Waren es 2007 nur knapp 8000 Versicherte, sind es heute fast 31.000 der insgesamt 800.000 Versicherten. "Hier ist es so, dass man sich Jahr für Jahr anschauen muss, ob die Beiträge mit den Leistungen übereinstimmen. Das hat Jahrzehnte lang gut funktioniert, in den letzte beiden Jahren aber eben nicht, und daher waren diese Änderungen notwendig", rechtfertigt Thomas Neumann, stellvertretender SVA-Chef, im Ö1-"Mittagsjournal" am Donnerstag die Kürzungen.

Von diesen ist auch die Wiener Rechtsanwältin Nevena Shotekova-Zöchling betroffen. Rückwirkend ab dem 1. Jänner entfällt ihr Mindestkrankengeld von fast 30 Euro am Tag. Ihr Krankengeld beträgt nun höchstens 60 Prozent der täglichen Beitragsgrundlage oder mindest acht Euro pro Tag. Die Prämie wird dabei nur geringfügig billiger. "Das ist nicht angemessen, da niemand von so wenig Geld leben kann. Wer selbständig ist, geht ohnehin nur im äußersten Notfall in Krankenstand", empört sich die Anwältin.

Es sind vor allem die Mindestverdiener, die Kürzungen der SVA trifft, wie der Vergleich der Kosten und Höhen des neuen Krankengeldes aus der Zusatzversicherung in den unterschiedlichen Einkommensklassen zeigt. All jene, die die monatliche Mindestbeitragsgrundlage (das Einkommen, aus dem der Beitrag prozentuell errechnet wird) von 425,70 Euro und den geringsten Zusatzbeitrag von 30,77 Euro für die Zusatzversicherung an die SVA bezahlen, erhalten ein Krankengeld von täglich 8,51 Euro. In der nächsten Klasse, in der die monatliche Mindestbeitragsgrundlage bei 1500 Euro und der Zusatzbeitrag bei 37,50 Euro liegt, beträgt das Krankengeld bereits 30 Euro.

"Außerdem", sagt der Grafik-Designer Peter Manfredini zur "Wiener Zeitung", "gibt es beim SVA-Beitrag anders als bei der Steuer keinen progressiven Verlauf." Der Prozentsatz ist also fix und beträgt rund 28 Prozent des Einkommens (7,65 Prozent Krankenversicherung, 18,5 Prozent Pension und 1,53 Prozent Selbstständigenvorsorge). Das treffe erneut die Mindestverdiener. Denn eine Höchstbeitragsgrundlage gibt es sehr wohl. Diese liegt bei 5810 Euro monatlich. "Alles, was darüber ist, ist SVA-frei", sagt Manfredini. Der Grafik-Designer ist Teil des Arbeitskreises "Amici delle SVA" - eine ironische Bezeichnung für die überparteiliche und unabhängige Initiative für ein gerechtes Sozialversicherungssystem für Selbständige.

Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien relativiert. "Bei unselbständig Erwerbstätigen zahlt die Krankenkasse auch erst ab der zehnten Woche des Krankenstandes. Vorher zahlt der Dienstgeber, und den gibt es bei Selbständigen nicht." Falls Kern nun aus sozialen Gründen der Meinung sei, dass alle Anspruch auf Krankengeld haben sollen, werde sich die Frage der Finanzierung stellen. Denn Quersubventionierungen der Leistungen an die Zusatzversicherten aus dem Topf der SVA-Beiträge seien vonseiten der SVA nicht möglich, so Czypionka, weil das zwei Rechenkreise seien.

Doppelgleisigkeit abschaffen

Für einen Teil der Selbständigen ist zudem die Mehrfachversicherung Thema. Die gängigste Form besteht bei mehreren Erwerbstätigkeiten über der Geringfügigkeitsgrenze. Auch hier gibt es eine Höchstbeitragsgrundlage von 69.720 Euro jährliches Gesamteinkommen. Mitte 2016 waren laut Sozialministerium 43.107 Personen als Angestellte und als Selbständige versichert. Die meisten von ihnen haben also an zwei Kassen Beiträge abgeführt.

Man kann aber nur einmal krank werden, und die Arztleistung wird auch nur von einer Versicherung übernommen (von welcher, entscheidet der Patient). Warum muss man dann zwei Mal Krankenversicherung zahlen, fragen sich viele Betroffene? Manfredini kritisiert zudem, dass die Vorschreibungen der SVA immer drei Jahre im Nachhinein kommen, also am Einkommen des drittvorletzten Jahres bemessen werden. Falls dieses ein gutes Jahr war, sind die Vorschreibungen dementsprechend hoch. Falls das aktuelle Jahr ein schlechtes ist, hat man ein Problem.

Die Regelung diene vor allem der höheren Beitragsgerechtigkeit, heißt es dazu von der SVA auf Nachfrage. Warum sollen eine Person mit einem einzigen Einkommen von 3000 Euro monatlich und eine Person, die aus zwei Einkommensquellen je 1500 Euro verdient, unterschiedliche Beiträge bezahlen, heißt es. Es sei nur schwer argumentierbar, dass die Beiträge der einen Person von 3000 Euro berechnet werden und die der mehrfachversicherten Person lediglich von einem Einkommen, also von 1500 Euro. Die Sozialversicherungsbeiträge beider Personen sollten exakt gleich hoch sein. Aufgrund der höheren Pensionsversicherung habe man wiederum einen erhöhten Pensionsanspruch.

Czypionka ortet allerdings ein weiteres Problem. Nämlich, dass man, wenn man bei zwei Versicherungsträgern über die Höchstbeitragsgrundlage kommt, selbst aktiv werden muss, um Geld zurück zu bekommen. "Das ist unnötige Bürokratie." Das soll sich jetzt ändern. "Künftig soll eine automatische Differenzvorschreibung beziehungsweise Beitragserstattung durch die Sozialversicherung bei mehreren Erwerbstätigkeiten eingeführt werden", heißt es aus dem Sozialministerium. Wer also zu viel eingezahlt hat, soll automatisch und ohne eigenen Antrag sein Geld zurückbekommen.

"Wer mehr verdient, zahlt mehr", resümiert Dieter Holzweber, Sprecher des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, und verweist auf das "solidarische Sozialsystem" in Österreich. Lösen ließen sich diese Probleme nur, "wenn es nur einen Versicherungsträger" gäbe und nicht allein die Beiträge, sondern auch die Leistungen harmonisiert würden. Dagegen wehren sich allerdings die 14 Kassen und zehn Ärztekammern.

Die Regierungspläne gehen aber dem Vernehmen nach in diese Richtung. Das Sozialministerium hat im Dezember des Vorjahres eine Studie zur Effizienz der Sozialversicherungsträger bei der London School of Economics in Auftrag gegeben. Erste Ergebnisse sollen im März vorliegen, bis zum Sommer soll es eine Gesamtevaluierung geben. Die Studie soll dann die Grundlage für weitere Verhandlungen und mehr Harmonisierung im System sein. "Es geht darum, Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Trägern herzustellen", so das Sozialministerium. Derzeit ist es so, dass je nach Versicherungsträger und Bundesland die Entgelte aber auch die angebotenen Leistungen teils sehr unterschiedlich sind.