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Ermessenssache Datenschutz

Von Katharina Schmidt

Politik

Das Sicherheitspaket im neuen Regierungsübereinkommen soll die Österreicher gläsern machen.


Wien. Die Forderung klang wie direkt George Orwells dystopischem Roman "1984" entnommen. Videoüberwachung, Lauschangriff im Auto und Erfassung der Kfz-Kennzeichen. Nach totalem Überwachungsstaat klangen die Wünsche, mit denen Innenminister Wolfgang Sobotka vor exakt einem Monat für Empörung bei Opposition und Zivilgesellschaft sorgte. Doch dann kam jener Freitag, an dem ein 17-Jähriger in Favoriten festgenommen wurde, weil er einen Anschlag auf die Wiener U-Bahn geplant haben soll. Und plötzlich waren die Ideen salonfähig - sie fanden beinahe unverändert Eingang in das überarbeitete Regierungsprogramm. Nicht zu Unrecht konnte Sobotka stolz verkünden, das Programm trage ÖVP-Handschrift.

Bis Juni 2017 will die Koalition demnach die "legistischen Anpassungen" vornehmen, die ermöglichen sollen, Prepaid-Wertkarten zu registrieren, die Videoüberwachung und die Überwachung von Kennzeichen zu ermöglichen. Der Lauschangriff im Auto soll ebenso kommen wie die Überwachung internetbasierter Kommunikation, Telekommunikationsdaten sollen im Anlassfall gespeichert werden können ("Quick freeze").

"Kein Beitrag zur Prävention"

Dass all diese Ideen sinnvoll sind, bezweifelt der Datenschutzexperte Andreas Krisch, der auch Mitglied im Datenschutzrat ist. "Es ist für mich nicht nachvollziehbar, welchen Beitrag diese Maßnahmen wirklich zur Prävention oder Aufklärung leisten können", sagt er zur "Wiener Zeitung". Denn häufig seien die Personen, um die es geht, ohnehin schon amtsbekannt, die von ihnen ausgehende Bedrohung würde aber oft nicht ausreichend ernst genommen. "Es geht eher darum, den bestehenden Datenbestand so zu nutzen, dass es auch etwas bringt, das ist vor allem eine personelle Frage." Videomaterial anzuhäufen, das man aus Kapazitätsgründen dann ohnehin nicht sichten könne, sei wenig zielführend.

Befragt nach seiner Einschätzung zu den einzelnen Maßnahmen, meint Krisch: Die Registrierung von Prepaid-Wertkarten sei in erster Linie ein Problem für Touristen und für Anbieter, die zum Beispiel in U-Bahn-Stationen Handyautomaten aufstellen wollen. "Ansonsten muss man sich die Frage stellen, wie weit wir das Grundrecht auf Kommunikation einschränken wollen, in Hinblick auf die Frage, dass man jederzeit wissen muss, wer kommuniziert."

Als äußert problematisch schätzt Krisch das Vorhaben ein, internetbasierte Kommunikation zu überwachen: Denn WhatsApp oder Skype seien veschlüsselt - um die Kommunikation über diese Dienste abzuhören, müsse man entweder mit den Anbietern kooperieren oder aber den berühmt-berüchtigten Bundestrojaner einsetzen. Bereits vor Jahren hat eine Kommission rund um den Wiener Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk aber festgestellt, dass die Überwachung mit Hilfe einer vom Staat eingesetzten Schadsoftware "rechtlich kaum sauber durchzuführen ist", so der Experte. Außerdem werde dabei das Endgerät derart verändert, dass die Beweiskraft vor Gericht ohnehin eingeschränkt wird.

Staatsanwalt reicht nicht

In Sachen Videoüberwachung sieht das überarbeitete Regierungsprogramm vor, dass "bei Gefährdungslage" Videomaterial insbesondere öffentlicher Betreiber auf Anordnung der Staatsanwaltschaft den Sicherheitsbehörden herauszugeben sei. Außerdem soll eine Mindestspeicherdauer festgelegt werden. Derzeit ist diese auf maximal 72 Stunden begrenzt - und an Auflagen der Datenschutzbehörde gekoppelt. Für Krisch stellt sich hier die Frage, "ob das grundrechtskonform überhaupt umzusetzen ist", denn selbst bei Gefährdungslage könne man nicht willkürlich ein großes Gebiet überwachen. Axel Anderl, Leiter des IT-Desks bei der Wiener Kanzlei Dorda, meint dazu, dass der Einbau von Rechtsschutzinstrumenten wichtig sei - so müsse ein Richter die Überwachung freigegeben und nicht, wie vorgesehen, nur ein Staatsanwalt.

Von allen Idee sieht Krisch nur zwei als machbar: "Quick freeze", also eine Anlassspeicherung von Telefondaten, die grundrechtlich abgesichert sein soll, sei vorstellbar, genauso wie eine Echtzeitüberwachung über Kameras im öffentlichen Raum. Auch Letzteres nur dann, wenn es sich um konkrete Tatverdächtige handle.

Anderl betont die Notwendigkeit eines konkreten Anlasses. "Eine komplette Überwachung ist nicht möglich. Wenn es eine konkrete Terrorbedrohung gibt, dann ist eine Überwachung in Ordnung - aber nur nach richterlicher Anordnung und wenn das Rechtsschutzinteresse gewahrt bleibt." Generell sei die derzeitige Situation schwierig, "weil sich das Bedrohungsszenario gewandelt hat, aber deswegen darf man die Freiheits- und Grundrecht nicht komplett über Bord werfen." Das Grundrecht auf Datenschutz habe in Österreich einen hohen Stellenwert, weil es in Verfassungsrang steht, "aber am Ende des Tages ist es immer eine Abwägung: Was wiegt im Einzelfall mehr - das Datenschutzrecht des Einzelnen oder das allgemeine Sicherheitsinteresse?" Grundsätzlich hält Anderl die Ideen der Koalition für "datenschutzrechtlich bedenklich". Die Höchstgerichte setzten hier aber ohnehin klare Grenzen.

Bis Juni hat sich die Regierung für die legistischen Anpassungen Zeit gegeben, Widerstand dagegen gibt es schon jetzt: Kritik kam bereits von Grünen, Neos, dem Verband der Internetserviceprovider und dem Datenschutzverein Epicenter.works.