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Naturgemäßer Aufstand an der Mur

Von Peter K. Wagner

Politik

Protest gegen Grazer Murkraftwerk erinnert an Besetzung der Hainburger Auen, Entscheidern wird Ignoranz vorgeworfen.


Graz. Den Wahlsieg des Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl (ÖVP) bei den Gemeinderatswahlen hätte man als klares "Ja" für das umstrittene Murkraftwerk im Süden von Graz werten können. Dass die Proteste in der Woche danach weitergingen, liegt auch daran, dass der Erbauer, die Energie Steiermark, nur wenige Stunden nach der ersten Hochrechnung mit den Baumrodungen an den Murufern begann.

Dass die Murstaustufe Nagl kaum Stimmen kostete, lag an seinem überragenden Ergebnis in den ländlichen Grazer Bezirken, in denen es ohnehin keinen Mangel an Grünflächen gibt. Aber auch an den vielen Grazern, die die Aufregung um das Kraftwerk selbst nach jahrelangen Diskussionen nicht verstehen.

Schon im kurzen Wahlkampf trieb das Thema noch am Tag vor der Wahl 4000 Demonstrierende auf die Straßen, aber der Bürgermeister wusste nicht nur die Leitmedien der Region hinter sich. Es scheint plausibel, ein nachhaltiges Wasserkraftwerk zu erbauen, das 20.000 Haushalte mit Strom versorgt.

Nostalgie aus den 80ern

Die ebenso plausiblen Argumente der Gegner rund um die Bürgerinitiative "Rettet die Mur" erreichen die meisten Bürger nicht. Aus ökologischer Sicht stößt man sich vor allem an den 16.000 zu fällenden Bäumen, die eine Feinstaubhochburg wie Graz bitter benötigen würde. Eine Detailstudie stellte außerdem die Unwirtschaftlichkeit des Murkraftwerks fest.

Weil die Bauarbeiten trotz fehlender Partner für die Hälfte der Investitionskosten von 80 Millionen Euro starteten, wird obendrein vermutet, dass dem Projekt eher städtebauliche Interessen in einer zentrumsnahen Stadtgegend zugrundeliegen als das Interesse an sauberer Energie. Die Bauarbeiten begannen bereits im Jänner, durch die Rodungen seit Montag haben sich im Lauf der Woche immer mehr kritische Grazer vor Ort eingefunden.

Vieles erinnert an die Besetzung der Hainburger Au im Jahr 1984. Aktivisten errichteten Camps an der Mur, um weitere Kahlschläge zu verhindern. Kundgebungen, die vor allem von den Grünen und der KPÖ unterstützt werden, ziehen hunderte Bürger an. Es ist ein tendenziell linker Protest mit einem bürgerlichen, überparteilichen Einschlag.

Am Freitag wurde das Protestcamp geräumt. "Der Widerstand wird dennoch weitergehen", erklärte ein Sprecher der "Murcamp"-Aktivisten. Eine bezeichnende Szene: Ein junger Aktivist trägt einen Wasserkanister zum Protestcamp, eine fein gekleidete Frau mittleren Alters, die man nicht auf einer Protestkundgebung vermuten würde, kommt ihm aufgelöst entgegen. "Ich muss euch danken", sagt sie, dann sieht sie, wie gerade wieder ein Baum zu Boden fällt: "Sie ist so ignorant, diese Politik." Während sie spricht, bricht sie in Tränen aus.

Es fehlt der Dialog

Für viele kritische Grazer Bürger ist das Murkraftwerk zum Sinnbild einer ignoranten Stadtpolitik geworden. Der Protest der ersten Woche nach den Gemeinderatswahlen ist insofern ein nahezu naturgemäßer Aufstand. Siegfried Nagl sagt stets, ein "Bürgermeister für alle" sein zu wollen, und ist an sich ein beliebter Stadtchef. Die Frage bleibt, warum er nicht den Dialog sucht. Selbst die aktuell zähen Koalitionsverhandlungen werden vom Murkraftwerk beeinflusst. Die KPÖ hatte mit der Forderung einer Volksbefragung zur Staustufe schon die vorgezogenen Neuwahlen provoziert und kommt als Partner nicht in Frage. Nun bleibt Nagl - nach der gestrigen Absage der SPÖ, die eine Dreierkonstellation samt der Grünen nicht mehr möglich macht - eigentlich nur noch eine Koalition mit der FPÖ.

Kurz vor der Wahl wurde eine Volksbefragung auch in zweiter Instanz abgelehnt. Der Leiter des zuständigen Landesverwaltungsgerichtshofs, der das Urteil begründete, war Gerhard Gödl. Er war bis 2011 acht Jahre lang Büroleiter von Hans Seitinger und damit jenes ÖVP-Landesrats, der sich seit 2008 immer wieder für das Murkraftwerk ausgesprochen hat. Auch wenn Gödl in dieser Position über Verdachtsmomente erhaben ist, zeigt dieses Beispiel: Es braucht nach all den Jahren dringend eine neutrale Instanz. Etwa in Form des Bundesverwaltungsgerichtshofs, der bald in letzter Instanz über die Volksbefragung zum Murkraftwerk entscheiden soll.