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Das schwedische Modell

Von Simon Rosner

Politik

Die Regierung will mehr freiwillige Ausreisen abgelehnter Asylwerber. In Schweden wurden ähnliche Pläne bereits umgesetzt - ohne nachhaltige Wirkung.


Wien. Das Fremdenrechtspaket, auf das sich die Regierung am Dienstag geeinigt hat, könnte man auch als Fremdenausreisepaket bezeichnen. Denn darum geht es: Die Regierung will künftig mehr abgelehnte Asylwerber außer Landes bringen als bisher. Fast alle nun beschlossenen Maßnahmen zielen darauf ab.

Wenn geflüchtete Menschen keinen Aufenthaltstitel erhalten, sie also weder Asyl noch subsidiären Schutz zuerkannt bekommen, müssen sie Österreich laut Gesetz binnen 14 Tagen verlassen. In der Praxis passiert dies jedoch nur selten- auch, weil die Frist dafür sehr kurz gesetzt ist. Häufig müssen zunächst sogenannte Heimreisezertifikate besorgt werden, die wiederum nur die jeweiligen Herkunftsländer ausstellen können. Und das kann schon einige Wochen oder Monate in Anspruch nehmen und ein mühsamer Prozess sein.

Grundsätzlich lassen sich aber (fast) alle Hürden nehmen, wenn eine Rückkehrbereitschaft der abgelehnten Asylwerber vorliegt. Im Vorjahr haben 5797 Personen die sogenannte "freiwillige Rückkehr" in Anspruch genommen. Das heißt, sie haben aktiv an ihrer Ausreise mitgewirkt, sich um eventuell fehlende Dokumente gekümmert und auch sonst mit den Behörden kooperiert. "Es ist in der Regel viel einfacher als bei einer zwangsweisen Außerlandesbringung", sagt Günter Ecker vom Verein Menschenrechte, der rund 60 Prozent aller freiwilligen Rückkehren abwickelt.

Abschiebungen sind häufig gar nicht möglich

Wenn abgelehnte Asylwerber jedoch nicht freiwillig wieder ausreisen, wird es schwierig. Und manche Hürden werden dann sogar unüberwindbar: Wohin soll eine Person abgeschoben werden, wenn gar nicht klar ist, woher sie stammt? Wenn es keine Dokumente und auch kein Mitwirken gibt? Doch selbst wenn diese Fragen geklärt sind, kann es sich überaus schwierig gestalten, von den jeweiligen Ländern die notwendigen Papiere zu erhalten - trotz völkerrechtlicher Verpflichtungen, eigene Staatsbürger zurückzunehmen.

Besonders drastisch hatte diese Problematik der Terroranschlag in Berlin vor Weihnachten aufgezeigt, ausgeführt von einem rechtskräftig abgelehnten Asylwerber. Die tunesischen Behörden hatten erst bestritten, dass der spätere Attentäter überhaupt Tunesier sei, dann ist der Fall monatelang versandet, ehe die nötigen Ersatzpapiere nach Deutschland geschickt wurden. Sie trafen einen Tag nach dem Anschlag an.

Das mag zwar nur ein einzelner, extremer Fall sein. Doch der Druck auf die Politik, abgelehnte Asylwerber wieder außer Landes zu bringen, war schon davor sehr hoch, in Österreich wie auch in Deutschland und Schweden, und dies spätestens seit der massiven Zunahme der Asylantragszahlen im zweiten Halbjahr 2015.

Mit ihren nun geplanten Maßnahmen will die österreichische Regierung Personen ohne Bleiberecht förmlich zwingen, künftig freiwillig auszureisen. Das hört sich zwar paradox an, doch genau darauf läuft es hinaus. So werden etwa die Strafrahmen bei gewissen Verwaltungsdelikten erhöht, etwa wenn ein abgelehnter Asylwerber nachhaltig nicht ausreist und aufgegriffen wird. Vor allem aber soll in die 2004 beschlossene Grundversorgungsvereinbarung eingegriffen und abgelehnte Asylwerber von eben dieser Grundversorgung ausgeschlossen werden - sofern sie bei ihrer Rückreise nicht mitwirken.

Anreize zur freiwilligen Ausreise in Schweden hoch

Das ist der heikelste Punkt in der Regierungsvorlage, und sie hat auch die SPÖ entzweit. Die Stadt Wien sowie Nationalratsabgeordnete aus Wien haben sich klar gegen diese Maßnahme ausgesprochen, Peter Hacker, der Flüchtlingskoordinator der Hauptstadt, befürchtet eine Zunahme von Obdachlosigkeit und Kriminalität, sollte die Verordnung tatsächlich wie geplant geändert werden. Möglich, dass an dieser Stelle noch einmal nachverhandelt werden muss.

Die schwedische Regierung hat allerdings exakt diesen Schritt im vergangenen Sommer bereits unternommen. Seither können dort abgelehnte Antragsteller die Grundversorgung verlieren, wenn sie an ihrer Ausreise nicht aktiv mitwirken. Auf der anderen Seite bietet Schweden aber auch viel höhere Anreize für eine freiwillige Rückkehr.

Wer in die Heimat zurückkehrt, kann vom schwedischen Staat eine Starthilfe bis zu 3000 Euro, Familien sogar bis zu 7800 Euro erhalten. Das Geld soll dazu dienen, sich in der alten Heimat ein neues Leben aufzubauen. Auch Deutschland und Österreich bieten solche Starthilfen an, allerdings geringere. Hierzulande beträgt das Limit lediglich 500 Euro.

Wie wirken sich diese Maßnahmen in Schweden nun aus? Fakt ist, dass die Zahl der freiwilligen Rückkehren gestiegen ist, von 9700 im Jahr 2015 auf knapp 15.000 im Vorjahr. Allerdings fällt in diesen Zeitraum eben auch der so deutliche Anstieg der Antragszahlen. Das macht es schwierig, zu ergründen, welche Maßnahme wie greift. In Schweden suchten in den beiden Jahren insgesamt 191.000 Personen um Asyl an, in Österreich waren es 130.000. Dies berücksichtigt, weist Schweden jedenfalls deutlich mehr Rückreisen als Österreich auf. Im Vorjahr kehrten aus Österreich 5.700 abgelehnte Asylwerber freiwillig in ihre Heimat zurück.

Nach Auskunft der staatlichen Migrationsagentur habe die Gesetzesänderung im Sommer jedenfalls keinen signifikanten Einfluss gehabt, wie es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" heißt. Insgesamt ist die Zahl der Ausreisen (freiwillig und zwangsweise) seit 2014 nicht überproportional gestiegen. Es ist also keineswegs sicher, dass die geplanten Maßnahmen der österreichischen Regierung auch tatsächlich die Zahl der Ausreisen erhöhen werden, es ist vorerst nur eine Hoffnung.

Keine Zunahme von Obdachlosigkeit in Malmö

Genauso ist aber auch nicht sicher, dass in der Praxis viele Asylwerber ohne Bleibestatus obdachlos werden, wie von Wien befürchtet. Eine Anfrage bei der Stadt Malmö ergab diesbezüglich jedenfalls keine Auffälligkeiten: Bei den Obdachlosenheimen der Stadt sei kein Anstieg von Personen ohne Aufenthaltstitel registriert worden, heißt es vom zuständigen Beamten aus Malmö, Lars G. Larsson. Er schränkt jedoch ein, dass die Stadt nicht den kompletten Überblick habe und private Organisationen womöglich andere Erfahrungen gemacht hätten.

Das Fremdenrechtspaket in Österreich würde aber jedenfalls die gelebte Praxis der Grundversorgungsvereinbarung verändern. Bereits jetzt waren einige Bundesländer, etwa Niederösterreich, sehr schnell mit der Aberkennung der Grundversorgung für abgelehnte Asylwerber. Die meisten von ihnen tauchten irgendwann in Wien auf - das haben Großstädte an sich. Dort wurden sie dann bis zur Ausreise (sofern eine stattfand) wieder in die Grundversorgung aufgenommen. Es war einerseits ein pragmatischer Zugang, um Obdachlosigkeit mit all ihren Sekundärfolgen zu verhindern, durch die Aufnahme in die Grundversorgung statt einer städtischen Fürsorge zahlten aber andere Länder sowie der Bund mit. Zumindest diese gelebte Vereinbarung dürfte Geschichte sein.