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Tradition schlägt Realität

Von Werner Reisinger

Politik

Frauenteilzeit hat viele Gründe und negative Folgen. Kinderbetreuung ist nur ein Weg zur Verbesserung.


Wien. Teilzeitarbeit ist in Österreich weiblich - mit all den problematischen ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen, die daraus resultieren. Fast jede zweite Österreicherin arbeitet Teilzeit, bei den Männern ist es nur knapp jeder Zehnte. Vergleicht man europaweit die durchschnittliche Wochenarbeitszeit nach Geschlechtern, weist Österreich den zweitgrößten Unterschied zwischen Männern und Frauen auf, größer ist er nur in den Niederlanden. Teilzeit bei Frauen verteilt sich unterschiedlich auf die einzelnen Berufsgruppen und Bildungsniveaus. In Hilfs- und Dienstleistungsberufen arbeiten knapp zwei Drittel aller Frauen in Teilzeitjobs, bei den Führungskräften sind es nur noch etwas mehr als ein Fünftel. Während knapp 39 Prozent der Frauen mit akademischem Abschluss Teilzeit arbeiten, sind es bei Frauen mit Pflichtschulabschluss 57 Prozent. Die Zahlen stammen aus dem Anfang Februar vorgestellten Sozialbericht.

Besagte negative Folgen: Frauen haben es beim beruflichen Aufstieg schwer, erhalten im Schnitt weniger Pension und sind daher häufiger als Männer von Altersarmut betroffen. Trennen sich Paare, steigt das Armutsrisiko für Frauen besonders. Auch zwischen dem Gender-Pay-Gap, den geschlechterspezifischen Einkommensunterschieden bei gleicher Tätigkeit, und der hohen Frauenteilzeit-Quote besteht ein Zusammenhang: Stärker als Männer müssen Frauen mit einem beruflichen Abstieg rechnen, wenn sie von Vollzeit auf Teilzeit wechseln. Wer lange Teilzeit arbeitet, dem fehlt im Vergleich zu Vollzeitkräften Erfahrung. Für die Entscheidung Teilzeit oder nicht sind für Frauen in Österreich nach wie vor familiäre Umstände entscheidend. Am Beginn des Erwerbslebens ist die Arbeitszeitlücke zwischen Männern und Frauen am kleinsten. Die Vollzeitquote sinkt bei Frauen danach aber rasch - und erreicht rund um das 35. Lebensjahr den Tiefpunkt, während sie bei Männern fast über das gesamte Erwerbsleben stetig steigt. Die Phase der Familiengründung fällt mit der karriereintensivsten Zeit zusammen, gleichzeitig verlangen Arbeitgeber immer mehr Flexibilität und Anpassung. Wer keine Karrierenachteile haben will, muss sich anpassen.

Teilzeit als Zuverdiener-Modell

Mit der Familiengründung sind es die Frauen, die eine Entscheidung treffen müssen. Der Wunsch nach Fortbildung ist der häufigste Grund, wieso Männer auf ein Teilzeitmodell wechseln. Der häufigste Grund für Frauen, auf Teilzeit zu reduzieren, ist laut Sozialbericht die Betreuung des Nachwuchses oder die Pflege von Angehörigen: Fast 40 Prozent aller Frauen in Teilzeit geben dies als ausschlaggebenden Grund an. Warum geht die Entwicklung hin zu gleichen Chancen im Beruf in Österreich nur schleppend voran?

Ingrid Moritz, in der Wiener Arbeiterkammer für Frauen und Familie zuständig, betont historisch gewachsene, kulturelle Gründe. "Nicht nur in Österreich, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum galt jahrzehntelang das Alleinverdiener-Modell: Der Mann bringt die Brötchen heim." Erst langsam habe sich ein Zuverdiener-Modell durchgesetzt, sprich: Teilzeitarbeitende Frauen ergänzen das Familieneinkommen, zudem aber bleibe ihnen die Hauptlast bei Kinderbetreuung und Pflege, sagt Moritz. Diese historisch gewachsene Arbeitszeitkultur findet sowohl in den Erwartungen der Wirtschaft als auch in der Frage des Kinderbetreuungsangebots ihren Niederschlag. Vor allem Sparten wie der Handel gelten als "Teilzeit-Falle", sagt Katharina Mader, Ökonomin an der WU Wien. "Im Handel dominieren Teilzeitmodelle, Frauen kommen hier sehr schwer heraus, oftmals wird das Argument der Vereinbarkeit von Job und Familie als Vorwand genommen, und es werden erst gar keine Vollzeitstellen angeboten." Die längeren Öffnungszeiten hätten die Handelsrisen über Teilzeitmodelle gelöst, ergänzt Moritz. Und so gleichzeitig die Diskussion über das Kinderbetreuungsangebot, Stichwort Öffnungszeiten, verschoben.

Immerhin: Bei der Kinderbetreuung tut sich etwas. Rund 305 Millionen Euro hat der Bund in den letzten drei Jahren in den Ausbau von Kindergartenplätzen investiert. Und Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) will die Situation weiter verbessern. Bis 2025 solle Österreich das "familienfreundlichste Land Europas" werden, sagt die Ministerin. Zwischen urbanen Räumen und ländlichen Gegenden besteht jedoch ein enormer Unterschied. Ein entsprechendes Betreuungsangebot, das es Frauen leichter macht, mehr zu arbeiten, gibt es aktuell nur in der Bundeshauptstadt. Über 86.000 Plätze stehen den jüngsten Wienern zur Verfügung. Heuer will Familienstadträtin Sandra Frauenberger das Angebot weiter ausbauen. Das Ziel: möglichst flächendeckende Ganztagsbetreuung, möglichst moderne Betreuungsformen. Der Nachmittagshort soll zugunsten eines verschränkten Ganztagsangebots verdrängt werden. Im Herbst soll in der Donaustadt ein neues Bildungscampus-Modell starten. Kindergartengruppen und Volksschulklassen werden räumlich ineinander verschränkt, um die Betreuungsqualität zu verbessern.

Politik soll stärker steuern

Schlusslicht bei den Öffnungszeiten von Kindergärten ist Oberösterreich: Nur jeder vierte Kindergarten hatte 2015 mehr als neun Stunden pro Tag offen. Man wolle jedoch weiter in Kindergartenplätze investieren, bekräftigte im vergangenen Herbst der zuständige Landesrat und jetzige Landeshauptmann, Thomas Stelzer.

Während die Familienministerin das Regierungsvorhaben Arbeitszeitflexibilisierung als "Chance" für berufstätige Frauen sieht, hält ihre Parteifreundin, die ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhelm, das Vorhaben für "bedenklich": Frauen würden Gefahr laufen, noch stärker in die Teilzeit-Falle gedrängt zu werden. "Die Wirtschaft will Flexibilisierung, die Politik aber betont stets die Wahlfreiheit", sagt AK-Expertin Moritz. Notwendig sei vor allem, dass die Politik stärker steuernd auf die Entwicklung Einfluss nimmt, anstatt die Entscheidung den Frauen selbst zu überlassen. Der letzte Platz im Öffnungszeiten-Ranking, so Oberösterreichs Ex-Landeshauptmann Josef Pühringer, zeige nur, dass die Oberösterreicher die Kinderbetreuung gerne selber übernehmen, statt sie in staatliche Hände zu legen. Bei vielen Entscheidungsträgern schlägt Tradition eben immer noch die Realität.