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Die zwei Seiten von Teilzeitarbeit

Von Max Haller

Politik

Ein rein negativer Blick auf Teilzeitarbeit greift zu kurz. Ein Gastbeitrag des Soziologen Max Haller.


Wien. Derzeit wird viel über Teilzeitarbeit von Frauen berichtet. Dies ist auch richtig, hat doch die Arbeitszeit großen Einfluss auf Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Bei der Diskussion wird aber vielfach nur eine Seite der Medaille dargestellt. So berichtete die "Wiener Zeitung" unter dem Titel "Tradition schlägt Realität", Frauenteilzeitarbeit habe "viele Gründe und negative Folgen"; darunter werden genannt: Erschwerung des beruflichen Aufstiegs; geringere Entlohnung und Pensionen und als Folge hohes Armutsrisiko; Letzteres gilt auch im Falle einer Scheidung. Ähnlich argumentiert Elfriede Hammerl im "profil": "Solange Teilzeitjobs ein hohes Armutsrisiko bedeuten, das vor allem Frauen zugemutet wird, sind sie kein freundliches Angebot, Work und Life schön auszubalancieren, sondern ein Drahtseilakt mit großer Absturzgefahr, bei dem Kosten für Vollarbeitsplätze und Kosten für qualitätsvolle Hilfe bei der Kinderbetreuung zulasten von Arbeitnehmerinnen eingespart werden."

Tatsächlich hat die Teilzeitarbeit von Frauen stark zugenommen, von 26 Prozent 1994 auf 48 Prozent 2015; der Großteil der Zunahme der weiblichen Erwerbsteilnahme von 46 Prozent auf 52 Prozent ist auf sie zurückzuführen. Als Hauptgrund für Teilzeitarbeit geben die Frauen nach allen Umfragen den Wunsch nach mehr Zeit für Familie und Kinder an. Daran ist wohl kaum zu zweifeln. Die Frage scheint aber zu sein: Wie ist dieser Wunsch zu deuten? Ist es eine individuell tatsächlich gewünschte Haltung und Entscheidung, die man als solche - auch sozialpolitisch - respektieren sollte, oder stellt sie nur eine Anpassung an gegebene Umstände dar? Katholische, bürgerliche Autoren und Gruppen betonen den ersteren Aspekt, feministische, sozialdemokratische und gewerkschaftsnahe den letzteren.

Was wollen die Menschen?

Aus soziologischer Sicht müssen wir davon ausgehen, dass alle Menschen Entscheidungen wohl überlegen und die für sie relativ beste Wahl treffen. Trotzdem ist zu untersuchen, ob diese Entscheidung nicht letztlich doch durch gewisse Zwänge - traditionalistische Haltungen, Druck von Partnerseite, Mangel an Kinderbetreuung - bestimmt wird.

Die Arbeitszeitwünsche von Frauen sprechen nicht dafür, dass die Frauen selbst hier nicht frei wählen können. Laut Eurobarometer-Umfrage 2012 wollen von allen Arbeitnehmern 29 Prozent ihre Arbeitszeit verkürzen (Männer und Frauen gleichermaßen), 22 Prozent (Männer) beziehungsweise 27 Prozent (Frauen) sie verlängern. Teilzeitbeschäftigte Frauen wollen zu 39 Prozent länger arbeiten (zu 16 Prozent aber auch kürzer); vollerwerbstätige Frauen wollen die Arbeitszeit aber zu 43 Prozent verkürzen und zu 12 Prozent verlängern.

Deutlich häufiger ist der Wunsch nach längerer Arbeitszeit etwa in Spanien und Griechenland. Die südeuropäischen Länder sind aber auch jene, in welchen die Erwerbsquote von Frauen deutlich niedriger liegt, zwischen 50 und 60 Prozent, als in Österreich und Nordeuropa, wo sie 70 Prozent und mehr beträgt. Die Tatsache, dass Teilzeitarbeit in Ländern mit einer besseren Arbeitsmarktsituation für Frauen höher ist, deutet wohl klar darauf hin, dass Frauen bei uns eher die Möglichkeit haben, zwischen Voll- und Teilzeiterwerbstätigkeit zu entscheiden.

Der wichtigste Grund für Teilzeitarbeit ist nicht nur, mehr Zeit für Kinder und Familie zu haben, sondern auch ein weniger stressfreies Alltagsleben. Viele Studien zeigen, dass berufstätige Frauen mit Kindern heute zu den zeitlich am stärksten belasteten Gruppen gehören. Selbst für viele Frauen in Teilzeitarbeit stellt das Leben einen "alltäglichen Wahnsinn" dar, wie eine Autorin schreibt. Interessant ist auch hier der internationale Vergleich. In einer Studie des International Social Survey über Freizeitstress gaben im Durchschnitt aller 36 verglichenen Länder 28 Prozent an - ein bemerkenswert hoher Anteil -, oft oder sehr oft Stress in der Freizeit zu verspüren; nie war es nur bei 19 Prozent der Fall. Interessanterweise schnitten die deutschsprachigen und andere kontinentaleuropäische Länder (Frankreich, Niederlande) am besten ab; hier leiden weniger als 20 Prozent (in Österreich 14 Prozent) an Freizeitstress. Die skandinavischen Länder lagen deutlich darüber, im weltweiten Durchschnitt von 25 bis 30 Prozent .

Verklärtes Vorbild Schweden

Im Zusammenhang mit anderen Daten zeigt sich, dass das schwedische Modell der vollen Inklusion von Frauen (und Männern) in das Erwerbsleben, die auch notwendig ist, um den extensiven Sozialstaat zu finanzieren, die Kehrseite hat, dass ein ökonomischer und sozialer Druck zu voller Erwerbstätigkeit aller Frauen besteht. Relevant ist auch die Sicht von Kindern: Eine Befragung von Kindern in Graz und Weiz 1993 zeigte, dass der mit Abstand stärkste Faktor für das Wohlbefinden von Kindern die Zeit ist, welche die Eltern für sie haben; Kinder in der Kleinstadt Weiz waren signifikant zufriedener als jene in Graz, was auch mit den unterschiedlichen Zeitregimes in einer Großstadt zu tun hat.

Zeitpolitik ist ein wichtiger, vielfach unterschätzter Aspekt der Sozialpolitik, wie Egon Matzner schon 1982 argumentiert hat. Der geringere Stress in Österreich, etwa im Vergleich zu Skandinavien (von den USA gar nicht zu sprechen), hat vermutlich nicht nur mit der österreichischen "Gemütlichkeit" zu tun, sondern auch mit den rigiden Öffnungszeiten von Geschäften. Dadurch werden an Wochenenden nicht nur die Beschäftigten im Handel entlastet, sondern vermutlich auch die potenziellen Konsumenten.

Teilzeitarbeit kann natürlich auch Nachteile mit sich bringen. Unzutreffend scheint aber das Argument, dass Teilzeitarbeit zu einer Lohndiskriminierung führe. In einer Wifo-Studie, durchgeführt von René Böheim (Uni Linz) und anderen, wurde festgestellt, dass Teilzeitbeschäftigte netto sogar besser aussteigen, weil sie durch geringeres Gehalt etwa in niedrigere Steuerklassen fallen. Bei Teilzeitarbeit kann jedoch der Arbeitsdruck höher sein. Ein Vorteil außerhäuslicher Erwerbstätigkeit ist auch bei Teilzeitarbeit gegeben: Abwechslung gegenüber einem ganztägigen, eintönigen Aufenthalt zu Hause.

Zwei Hauptursachen werden für die hohe Teilzeitquote hierzulande meist genannt: traditionalistische Einstellungen und das fehlende Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen. Diese beiden Faktoren sind auch untereinander eng verknüpft. In Ländern mit eher "traditionalistischen" Geschlechtsrollen- und Familienbildern wird der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen weniger forciert. Die Frage ist aber auch: Kann man die Entscheidung von Frauen oder Paaren, nur Teilzeit zu arbeiten, überhaupt unter diesem (ab-)wertenden Label subsumieren?

Wettbewerb der Modelle

Ein Autor, der dazu entscheidend beigetragen hat, war der dänische Soziologe Gösta Esping-Andersen. Er entwickelte eine Typologie von drei Wohlfahrstaaten: der skandinavisch-sozialdemokratische, der Sozialleistungen als Recht aller Bürger definiert und umfangreich bereitstellt; das liberalistisch-angelsächsische Modell, das Sozialleistungen an Bedürftigkeit bindet, ansonsten auf den Markt vertraut; und das konservativ-ständische, mitteleuropäische Modell, das Sozialleistungen nur als Ergänzung zu familienbezogenen Leistungen sieht, deren Art und Höhe von der Stellung im Erwerbsleben abhängig und daher auch stark an berufsständische Kriterien gebunden sind.

Ein Kritiker meinte, diese drei Modelle - bei denen offensichtlich eine Wertung mitschwingt - solle man umbenennen in das gute (skandinavische), das schlechte (angelsächsische) und das hässliche (deutsch-mitteleuropäische Modell); "hässlich" deswegen, weil es nicht in das progressive" Weltbild von Esping-Andersen passe, aber trotzdem starke soziale Absicherung und erhebliche Umverteilung bewirke. (Nebenbei bemerkt, hat die Ungleichheit in Schweden deutlicher zugenommen als in Österreich.)

Aus dem International Social Survey Programme, das 2012 das Thema "Familie und Wandel von Frauenrollen" untersuchte, ergaben sich drei Modelle der Vereinbarung von Berufs- und Familienrollen von Frauen: das Doppelkarrieremodell, in welchem beide Partner voll arbeiten; das Eineinhalb-Modell, in welchem der Mann Vollzeit, die Frau Teilzeit arbeitet; und das traditionelle männliche Ernährermodell. Die Befunde zeigen, dass das erste Modell nur in Schweden von etwas mehr als der Hälfte bevorzugt wird, während in den meisten anderen Ländern das Eineinhalb-Modell am positivsten bewertet präferiert wird (in Westdeutschland sogar von 77 Prozent); in Polen finden heute sogar 80 Prozent das Ernährermodell am besten. Wir können hier auch die Niederlande anführen, wo die Quote der Frauen in Teilzeitarbeit mit 76 Prozent EU-weit am höchsten ist; niemand wird behaupten können, dass die Niederlande ein besonders traditionell-konservatives Land seien.

Die Nachteile beseitigen

Welches Fazit kann man aus diesen Überlegungen ziehen? Meine Ausführungen sollten nicht so verstanden werden, dass es die eingangs genannten Probleme nicht gebe. Ich würde daraus aber nicht ableiten, dass es vor allem darauf ankomme, Teilzeitarbeit möglichst zu reduzieren oder abzuschaffen. Vielmehr kommt es darauf an, ihre negativen Folgen, wo vorhanden, aufzuzeigen und Gegenmaßnahmen zu setzen. Hier ist zu denken an kritische Analysen möglicher Benachteiligungen durch Arbeitsstress, versteckte Diskriminierung. Aber auch viele positive Maßnahmen sind zu nennen. Zuerst die großflächigere Bereitstellung von Kinderbetreuung. Aus sozialpolitischer Perspektive wären Zeiten, welche eine Mutter oder ein Vater bei den Kindern verbringt, verstärkt für die Pension anzurechnen. Zu nennen ist auch der Abbau rigider Vorstellungen von Geschlechts- und Mutterrollen.

Alle Maßnahmen dieser Art wären zweifellos leichter zu realisieren, wenn auch Männer verstärkt aus familiären Gründen Teilzeitarbeit in Anspruch nehmen würden. Tendenzen in dieser Richtung sind bereits vorhanden: 1994 arbeiteten 4 Prozent der Männer Teilzeit, 2015 waren es 11 Prozent; Spielraum nach oben ist also noch genug vorhanden.

Zum Autor

Max

Haller

ist em. Professor für Soziologie der Karl Franzens-Universität Graz und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Zitate zu den angeführten Autoren können gerne zur Verfügung gestellt werden: max.haller@uni-graz.at