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Demonstrative Uneinigkeit

Von Simon Rosner

Politik

Innenminister Sobotka macht weiter Druck für eine Neufassung des Versammlungsrechts. Experten sehen die Pläne kritisch.


Wien. Manchmal reicht es, auch nur einziges Mal falsch abgebogen zu sein, um sich hoffnungslos zu verirren. Der Bundesregierung dürfte dies in Sachen Versammlungsgesetz passiert sein - wobei sie in diesem Fall wohl nicht nur eine falsche Abzweigung erwischt hat. Heute, Freitag, wird in kleiner Ministerrunde noch einmal verhandelt, um doch noch eine gemeinsame Linie zu finden. Doch selbst wenn, könnte auch diese ins Nirgendwo führen - zumindest juristisch gesehen, wie Experten meinen.

Am Steuer sitzt in dieser Angelegenheit unzweifelhaft Wolfgang Sobotka. Der Innenminister hatte bereits Anfang Februar der SPÖ seinen Entwurf für eine Neufassung des Versammlungsgesetzes übermittelt und diesen postwendend mit einem "Sicher nicht!"-Vermerk retour bekommen. Das hinderte Sobotka aber nicht daran, den Entwurf noch einmal dem Koalitionspartner zu schicken, diesmal mit der Ergänzung, die es der Regierung künftig ermöglichen soll, Wahlauftritte ausländischer Politiker im Rahmen von Versammlungen zu verhindern.

Der Innenminister war auch so frei, in seinem bisher jüngsten Entwurf die von Verfassungsminister Thomas Drodza gewünschten Formulierungen einzubauen. Einerseits ein Entgegenkommen, andererseits aber auch eine Unfreundlichkeit, da Sobotka das von beiden Regierungsparteien gewünschte Wahlkampfverbot für ausländische Politiker mit der von der SPÖ bisher brüsk abgelehnten Neufassung des Versammlungsgesetzes junktimiert.

Koalitionsintern ist die Situation dadurch heikel genug, hinzu kommt aber, dass der derzeit diskutierte Entwurf womöglich nicht lange Bestand hat. "Das ist ein ganz missglückter Entwurf", sagt Verfassungsrechtler Heinz Mayer. Das heißt nicht, dass die Intentionen bei den einzelnen Neuerungen so problematisch wären. Teilweise soll nur ins Gesetz geschrieben werden, was durch die fortlaufende Judikatur ohnehin bereits geltendes Recht ist. Außerdem hat Sobotka dezidierte Wünsche der Behörden berücksichtigt.

Drei Tage Anmeldefrist

Im Entwurf finden sich jedenfalls einige geplante Änderungen, die bereits vor Wochen zu Diskussionen geführt haben. Etwa die Ausweitung der Anmeldefrist von 24 auf 72 Stunden. Das war eine Bitte der Polizei, um gerade bei heiklen Demonstrationen mehr Zeit zu erhalten, Sicherheitskonzepte zu erstellen.

Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits kommt es eben immer wieder zu spontanen Demonstrationen, in denen eine Frist von drei Tagen zu lange sein kann. Eine Bürgerinitiative etwa, die sich gegen den Abriss eines Gebäudes wehrt, wird nicht 72 Stunden für eine Demonstration warten können, wenn die Abrissbagger bereits vorfahren.

Fälle wie diese sind im Entwurf des Innenministeriums allerdings auch berücksichtigt - und das müssen sie auch sein. Spontanversammlungen sind durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt. Wenn eine "fristgerechte Anzeige" unmöglich ist "ohne den Versammlungszweck zu gefährden", so heißt es, muss die Versammlung der Behörde aber dennoch angezeigt werden. Die Frage ist aber: von wem? Gerade spontane Versammlungen passieren häufig ohne klare Organisation dahinter, meint Verfassungsrechtler Mayer.

Höhere Strafen

Problematisch sind in diesem Zusammenhang die Strafbestimmungen, die deutlich ausgeweitet werden sollen. Bisher muss mit einer Strafe von bis zu 720 Euro rechnen, wer gegen das Versammlungsgesetz verstößt. Wie genau, ist derzeit nicht definiert, das würde sich nun ändern. Wer an einer nicht angezeigten Versammlung "führend teilnimmt", hat demnach eine Strafe von bis zu 5000 Euro zu erwarten.

"Diese Höhe hat schon eine andere Wirkung als 720 Euro", sagt Karim Giese, Verwaltungsrechtler der Uni Salzburg, der zum Versammlungsrecht publiziert hat. "In Kombination mit der längeren Anzeigefrist ist diese Höhe schon problematisch", sagt Giese. Mayer bewertet eine Bestrafung in diesem Fall grundsätzlich als "nicht zulässig", weil Spontanversammlungen eben dezidiert erlaubt seien.

Das Innenministerium hat für seinen ersten Entwurf eine rechtliche Beurteilung bei den Juristen Bernhard Raschauer und Johannes W. Pichler eingeholt, die - nach allerdings nur kurzer Durchsicht - keine gröberen rechtlichen Bedenken äußerten. Am ehesten, schränkt Raschauer ein, seien die 72-Stunden-Frist und die Strafbestimmungen heikel, zudem seien erst danach die Passagen zu den geplanten Auftrittsverboten für ausländische Politiker eingearbeitet worden.

SPÖ lehnt Neufassung ab

Eine völlige Neufassung des Versammlungsgesetzes hat die SPÖ mit Verweis auf den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts bisher strikt abgelehnt. Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" im Ministerbüro Drozda gelte dieser Standpunkt auch weiterhin. Wenn der Innenminister darauf beharre, müsse dies auf breiter Ebene diskutiert werden, Drozda hat dazu eine parlamentarische Enquete angeregt. Aus Sicht von Giese wäre es jedoch sehr wohl geboten, wie er sagt, das Gesetz "neu durchzuformulieren". Das derzeitige sei zum Teil sehr abstrakt definiert und vieles daher der Rechtsprechung überlassen. "Das Versammlungsgesetz ist eher zum Case Law geworden", sagt Giese.

Zum Teil werden im nun vorliegenden Entwurf Formulierungen der Judikatur eingearbeitet, etwa bei der grundsätzlichen Definition einer Versammlung. Eine nicht unwesentliche Klarstellung betrifft auch die Auflösung einer unangemeldeten Versammlung, die künftig nur dann beendet werden kann, "wenn Umstände vorliegen oder eintreten, die eine Untersagung gerechtfertigt hätten". Das ist zwar auch derzeit gängige Rechtsprechung, ist aber im Gesetz von 1953 unklarer definiert.

Was auch Raschauer sagt, ist, dass mit der geplanten Novelle die Behörde künftig mehr Möglichkeiten habe, gewisse Schranken einzuziehen. Das betrifft etwa das Verbot einer Versammlung an bestimmten Orten, wenn es andernfalls zu einem "übermäßigen Eingriff in berechtigte Interessen anderer" kommen würde. Als Beispiel wurden hier Demonstrationen auf der Wiener Mariahilfer Straße genannt, die geschäftsschädigend sein können. Ein Verbot darf laut Entwurf maximal 876 Stunden (ein Zehntel des Jahres) betragen.

"Lex Erdogan"

Alle befragten Juristen verweisen in dem Bezug auf die Verhältnismäßigkeit. Raschauer: "Man muss schon aufpassen. Wenn man das Verbot auf jeden Samstag auf der Mariahilfer Straße konzentriert, wird es nicht gehen."

Giese und Mayer bewerten auch einen weiteren Punkt - anders als Raschauer - als kritisch. So will das Innenministerium einen Schutzbereich von 150 Metern zwischen zwei Versammlungen festschreiben. "Das halte ich nicht für zulässig", sagt Mayer. "Viele Versammlungen leben davon, eine Gegendemonstration zu sein. Das ist sicher heikel für die Polizei und schwierig, und im Einzelfall kann man das auch machen, aber sicher nicht generell", sagt der Verfassungsrechtler. Auch Giese verweist darauf, dass eine räumliche Nähe gewahrt werden müsse, dazu gebe es auch Judikatur des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes.

In die aktuellste Version des Entwurfes ist nun auch die "Lex Erdogan" eingegangen. Demnach soll eine Versammlung von der Bundesregierung untersagt werden können, wenn diese "außenpolitischen Interessen der Republik Österreich, anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder völkerrechtlichen Verpflichtungen zuwider läuft", wie es heißt. Das ist die Formulierung, die aus dem Bundeskanzleramt kam. "Das ist verständlich, ist aber auch missbrauchsanfällig", sagt Giese.

Denn was genau sind "außenpolitische Interessen"? Verfassungsrechtler Mayer fragt: "Wenn Studenten gegen Viktor Orban demonstrieren, darf das künftig verboten werden?" Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Erkenntnis des VfGH aus dem Jahr 1998. Das Höchstgericht hatte damals nachträglich ein Kundgebungsverbot für Tibet-Aktivisten während des Staatsbesuchs des chinesischen Ministerpräsidenten aufgehoben, da dieses dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit widersprochen habe.