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Die Hayir-Sager

Von Marina Delcheva

Politik

Während Erdogans Anhänger auch hier für eine Verfassungsänderung werben, formiert sich leise der Widerstand.


Wien. "Hayir" bedeutet auf Türkisch Nein. Es ist ein Wort, das dieser Tage in Erdogan Türkei gar nicht gern gehört wird. Und auch in Österreich trauen sich viele in der türkischen Community nicht, es laut auszusprechen. Es ist ein Wort, das ihnen und ihren Familien in der Türkei sehr viele Probleme einbringen kann. "Evet" hingegen - das bedeutet Ja - prangt auf zahlreichen Plakaten in Istanbul und Ankara und auf den Transparenten AKP-naher Organisationen in Österreich.

Am 16. April stimmt die Türkei über das von Präsident Recep Tayyip Erdogan angestrebte Verfassungsreferendum ab. Konkret sollen die Wähler über Änderungen zu 18 Punkten der seit 1982 gültigen türkischen Verfassung abstimmen. Unter anderem soll die Türkei von einem parlamentarischen Regierungssystem zu einer Präsidialrepublik werden. Der Präsident, Erdogan, soll sehr weitreichende Befugnisse bekommen, die seine Macht zementieren. Das Parlament wird damit de facto entmachtet.

In Österreich werben gerade AKP-nahe Vereine wie der Moscheenverband Atib und die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) unter den hier lebenden Türken für ein "Ja" beim Referendum im April. Der Streit um das Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in der EU treibt einen noch größeren Keil in die ohnehin schon sehr strapazierte Beziehung mit der Türkei.

Und während alle Welt auf jene Fahnen-schwenkenden Erdogan-Anhänger blickt, die hierzulande für ihren Anführer auf die Straße gehen und für die Abschaffung demokratischer Strukturen mobilmachen, scheinen AKP-kritische Stimmen in der türkischen Community verstummt. Aber es gibt sie, die Hayir-Sager, auch hier in Österreich. Sie treten - etwas leiser und unter massivem Druck - gegen die geplante Verfassungsänderung auf. Und auch sie beginnen, sich zu einer Art Untergrund gegen die Macht des Präsidenten zu organisieren; inklusive Guerilla-Aktionen und politischer Veranstaltungen gegen das Referendum.

Der Kampf der Leisen

"Ich erzähle Ihnen alles, aber bitte schreiben Sie meinen Namen nicht in die Zeitung. Ich habe Familie hier und in der Türkei." "Es ist mir lieber, wenn Sie mich und unseren Verein aus dem Spiel lassen." "Solche Dinge bespreche ich nicht am Telefon, das ist gerade zu heikel." Recherchen im türkischen Widerstand sind gerade besonders schwierig. "Jeder, egal aus welchem Lager, der gegen Erdogan ist, bekommt seine Macht zu spüren", erklärt eine Oberösterreicherin mit türkischen Wurzeln.

"Die Spitzel Erdogans sind fast überall. Das macht die Arbeit natürlich nicht einfach", erzählt ein Mitglied eines kleinen, laizistischen Vereins in Wien. Der Mann gehört zu jenen Menschen in der türkischen Community, die gegen das Referendum hier in Österreich mobilmachen. Sie besuchen andere Vereine und versuchen zu erklären, welche Folgen eine so umfassende Verfassungsänderung hätte. Sie verteilen Nein-Flyer auf dem Wiener Brunnen- und Viktor-Adler-Markt. Sie veranstalten Diskussionsabende.

Ebenfalls für ein "Nein" beim Referendum wirbt die Europa-weit aktive Hayir-Plattform. Allein in Österreich beteiligen sich 27 verschiedene Vereine - kurdische, alevitische, kemalistische und auch türkische, säkulare - an der Plattform. Sie veranstalten in verschiedenen Städten in Österreich Diskussionsrunden und Aktionen mit politischen Dissidenten, in Ungnade gefallenen Wissenschaftern oder Vereinsmitgliedern, erklärt Ümit Sarid, Generalsekretär des Vereins "Aleviten in Österreich", der Mitbegründer der Hayir-Plattform ist. Am Freitagabend fand etwa im oberösterreichischen Wels ein Vortrag mit dem regimekritischen Politologen Ergin Sustam statt.

"Es ist erschreckend, wie wenig Aufklärung über das Referendum an sich bei vielen vorhanden ist. Keiner stellt sich die Frage, was passiert, wenn Erdogan nicht mehr da ist, aber wenn weiterhin so viel Macht in einem Amt konzentriert ist", sagt die Türkin aus Oberösterreich. In vielen heimischen Wohnzimmern würde den ganzen Tag das türkische Staatsfernsehen laufen. Diskussionen in der tief gespaltenen Community seien kaum mehr möglich. "Wer gegen die AKP ist, wird sofort als Kurde oder Gülenist bezeichnet."

Schon vor dem gescheiterten Putschversuch im Juli des Vorjahres war die Community tief gespalten. Die Situation hat sich seitdem aber deutlich verschärft. Nachbarn, Arbeitskollegen aber auch Familien meiden oft das Thema Politik. Kritische Stimmen sind aus Angst vor Sanktionen weitgehend verstummt. Und auch jene, die sich politisch engagieren, tun das äußerst vorsichtig und oft anonym. Denn die Folgen sind für mache fatal.

Lebenslanges Einreiseverbot

"Seit Jahren werden wir alle hier bespitzelt", sagt Sarid. Seit dem Sommer sei die Situation aber eskaliert. Wer sich, sei es auch nur auf Facebook oder Twitter, kritisch über den Präsidenten oder das Referendum äußert, muss befürchten, an der Einreise in die Türkei gehindert oder dort gar verhaftet zu werden. In den vergangenen Monaten habe sein Verein sieben Fälle von österreichischen Staatsbürgern registriert, denen die Einreise in die Türkei verwehrt wurde. In fast allen Fällen seien den Betroffenen die Handys abgenommen und auf regimekritische Inhalte durchsucht worden. Einige seien in Polizeigewahrsam genommen und dann des Landes verwiesen worden.

Sarids Cousin etwa habe sogar ein lebenslanges Einreiseverbot in die Türkei ausgefasst. Türkische Staatsbürger, also jene, die keinen österreichischen Pass haben, würden sogar inhaftiert und in manchen Fällen angeklagt. Ihre Familien vor Ort müssen mit Repressalien rechnen. Und auch in Österreich würden viele Kritiker unter Druck gesetzt, anonym am Telefon bedroht. Für die Befürworter des türkischen Regimes sind die kritischen Stimmen der "eigenen Leute" besonders unangenehm, während die Kritik der EU-Politiker eher für die eigenen Zwecke verwendet wird.

"In einem demokratischen Staat sollte jeder Bürger das Recht haben, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Aber wer für die Abschaffung der Demokratie und die Todesstrafe wirbt, hat hier nichts verloren. Diese Leute sollen bitte nach Hause gehen", meint Sarid. Doch auch die Kritiker des Erdogan-Regimes sind großteils gegen ein generelles Wahlkampfverbot für ausländische Politiker in Österreich, wie das derzeit von der Regierung diskutiert wird. Kein Wunder, denn das könnte unter Umständen auch sie treffen, etwa wenn sie zu Veranstaltungen mit Oppositionspolitikern laden. Allerdings kritisieren sie die fehlende Solidarität der heimischen Politik mit den kritischen Stimmen in der Community. Man habe jahrelang bewusst weggesehen, während der politische Islam und die AKP in Österreich immer mächtiger wurden und die Integration sabotieren, so der Austrotürke aus Wien.

Und wie zahlreich Erdogans Gefolgschaft mittlerweile ist, kann man dieser Tage auch auf den Straßen Wiens sehen. In zahlreichen türkischen Geschäften kleben Evet-Poster in der Auslage. AKP-nahe Vereinsmitglieder stecken Flyer in ausgewählte Postkästen, die ihre Gegner manchmal wieder herausziehen.