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Kraftkammer

Von Jan Michael Marchart

Politik

Die Ärztekammer verweigert derzeit jede Reform des Gesundheitswesens. Es sind Kammerwahlen. Eine Diagnose.


Wien. Mit Trommeln, Trillerpfeifen und roten "Kostenscheren" marschierten im Herbst des vergangenen Jahres 150 Ärzte durch die Wiener Innenstadt, um die "Ausrottung des Hausarztes" auszurufen. Für die Ärztekammer war das Maß des Erträglichen erreicht. Die Politik will Primärversorgungszentren, in denen Ärzte im Team gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen wie Krankenpflegern und Diätologen zusammenarbeiten, um vor allem am Land die Versorgung sicherzustellen. Das klingt sinnvoll, aus Sicht der Kammer ist damit aber der einzig wahre Vertrauensarzt in Gefahr.

Die Funktionäre sprechen von "Anschlägen", "Brachialreformen", "DDR-Methoden" oder "US-amerikanischer Profitmaximierung" seitens der Politik. Es zeigt sich, auch Akademiker können ruppig formulieren. Das mag der eine oder andere Kammerfunktionär für zu aggressiv oder übertrieben halten. Aber es geht um viel: Die Mediziner haben Wahlkampf. Und da kann sich nur der profilieren, der es mit den anderen Akteuren der Gesundheitspolitik aufnimmt.

Die Ärztekammer gilt als eine der einflussreichsten Standesvertretungen Österreichs. Ihre Standpunkte macht sie deutlich: Seit Monaten wehren sich ihre Funktionäre gegen jede Reform des Gesundheitswesens, die nicht ihre Interessen abbildet. Es geht um Entscheidungen, wie die Grundversorgung in Österreich aussehen soll und welche Rolle Ärzte darin einnehmen werden. Weil die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit stetig steigen, versucht der Staat, effizienter zu werden, ohne Qualität in der Versorgung zu verlieren. Für Befindlichkeiten des Staates hat die Kammer aber wenig übrig. Dessen Politik würde die Zweiklassenmedizin befeuern und nur jenen Zugang zur Versorgung gewähren, die es sich leisten können.

Es soll etwa geklärt werden, ob Kassenärzte weiterhin flächendeckend ordinieren oder ob sie sich in Primärversorgungszentren oder Netzwerken zusammenschließen sollen, um teuren Spitalsaufenthalten Paroli zu bieten. Oder ob und wie die elektronische Gesundheitsakte Elga Patientendaten speichert. Die Kammer argumentiert ihre Skepsis mit Datenschutzbedenken. Aber Elga macht auch die Arbeit der Ärzte für die Krankenkassen gläsern, was der Stand vehement ablehnt. Das Gesundheitsministerium will diese Reformen, die Ärztekammer bleibt skeptisch und wirbelt dabei ordentlich Staub auf. Sträubt sich die Politik gegen die Einwände der Kammer, erstickt diese Gespräche kurzerhand mit landesweiten Demonstrationen und ruft ihre tausenden Mitglieder dazu auf, für einen Tag ihre Ordinationstüren zu schließen. Stolz werden in Wien auch 200 Quadratmeter große Plakate gehisst, um die Macht des Standes deutlich zu machen. "Unser Gesundheitssystem fährt gegen die Wand", lautet das Endzeit-Mantra der Mediziner.

Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte, sagt, dass die Machtposition der Kammer ein Problem sei. "Aber die Politik ist mitschuld an dieser Entwicklung, weil sie sich von der Kammer auf der Nase herumtanzen lässt." Es ist nichts Außergewöhnliches, dass eine Standesvertretung die Interessen ihrer Klientel vertritt. "Aber der Kammer wird von der Politik zu viel Freiraum gewährt und Bedeutung beigemessen."

Die Stärke der Kammer rührt auch daher, dass es keinen klaren Machtfaktor über das Gesundheitswesen gibt. Minister sind bei Reformen auf die Entscheidungen der Bundesländer angewiesen und auf die Krankenkassen, die von den Sozialpartnern kontrolliert werden. Aber die Kammer hat wohl das stärkste Argument: den Zugriff auf die Ordinationen und die 100 Millionen Patientenkontakte, auf die die Mediziner pro Jahr kommen. "Das ist die Karte, die wir haben", sagt ein früherer Bundeskurienobmann. Mit diesem Hebel wird Politik gemacht.

Die Ärztekammer ist mit ihren 43.000 Mitgliedern eine gewichtige Stimme, ein Drittel der Mediziner praktiziert in Wien. Über die Kammerumlage, die jeder Arzt bezahlt, verfügt die Standesvertretung über ein ansehnliches Budget, das allein in Wien für das Jahr 2015 mit mehr als 16 Millionen Euro in den Büchern steht.

Für Konfrontationen ist reichtlich Geld vorhanden. 1,6 Millionen Euro gab die Wiener Kammer 2015 für Öffentlichkeitsarbeit aus, Personal nicht eingerechnet. Damit wird gegen Primärversorgungszentren vorgegangen, gegen Testpatienten, die in Ordinationen kontrollieren sollen, ob Krankenstände zu locker vergeben werden, oder gegen Elga. Bei so einer Kampagne kann auch der frühere Gesundheitsminister Alois Stöger mit Totengräberschaufel in der Hand aufs Cover der Kammer-Zeitung gerückt werden, die jedem Arzt ins Haus flattert. Für Notfälle, wie einen vertragslosen Zustand mit einer Kasse, liegen in einem Kampffonds weitere 24 Millionen Euro bereit. In der Kammer werden aber nicht nur Pläne gegen Außenfeinde geschmiedet. Intern ringen Funktionäre um Macht. Seit Ende März wählt der Stand im Stillen seine Landesvertreter, im Juni folgt die Wahl für die Bundeskammer.

In Wien kommt ein alter Konflikt wieder auf. Im Jahr 2012 entschloss sich der Langzeitpräsident der Wiener Kammer und der Österreichischen Ärztekammer in Personalunion, Walter Dorner, seine Ämter niederzulegen. Als seinen Nachfolger hatte Dorner den Urologen Johannes Steinhart in der ÖVP-nahen "Vereinigung" aufgebaut. Doch einer verhinderte die Thronfolge: Thomas Szekeres, Humangenetiker und Listenführer der sozialdemokratischen Ärzte, drängte die stimmenstärkste "Vereinigung" mit einem Bündnis aus acht Kammerfraktionen in die Opposition und setzte sich die Krone selbst auf - als erster Roter. Steinhart traf die Niederlage hart.

Die SPÖ feierte Szekeres im Keller des Wiener Rathauses. Anwesend war damals auch die frühere Wiener Stadträtin für Gesundheit, Sonja Wehsely. Mit der roten Parteifreundin sollten sich die Konflikte wenige Jahre später derart zuspitzen, dass Szekeres kurzfristig in der Kammer erledigt schien.

Er verhandelte für die Spitalsärzte eine Erhöhung des Gehalts, die durch die gesetzliche Reduktion der Arbeitszeit Einbußen erwarteten. Aber er missachtete: Geringere Arbeitszeiten bei gleichem Personalstand bedeuten im Schnitt weniger ärztliche Anwesenheit im Spital. Szekeres stimmte aber zu und bekam eine Abfuhr in der Kammer. Für Kollegen war er ein "Verräter". Szekeres musste nachverhandeln und legte eine Kehrtwende ein. Fortan stellte er sich gegen die städtische Gesundheitspolitik. Der gemeinsame Feind eint. Die Situation in den Spitälern - Gangbetten und überfüllte Ambulanzen - tat ihr Übriges dazu. Szekeres ist wieder gefestigt. Aus der SPÖ ist er ausgetreten. Und Wehsely verließ die Politik.

Steinhart will die Niederlage von 2012 vergessen machen. Ende März holte er erneut den Wahlsieg. Ihm werden Ambitionen nachgesagt, die Bundeskammer von Artur Wechselberger übernehmen zu wollen. Dafür muss er erst Wien vorstehen. Diesen Plan möchte Szekeres erneut durchkreuzen. Diesmal mit eigener Liste, wieder mithilfe vieler Fraktionen. Die Entscheidung fällt am 2. Mai.

Altpräsident Walter Dorner sagt: "Es ist eine Kinderei, dass sich erfahrene Ärzte im Kampf um ein Mandat verlieren." Gerade jetzt wäre "die Einheit der Ärzte eine unendliche Notwendigkeit". Landesweit werde die hausärztliche Versorgung immer schwächer. Die Politik antwortet mit Zentren, in denen sich Ärzte zusammenschließen sollen. Die Standesvertretung wehrt sich, auch weil Unternehmer Zentren betreiben können sollen. Es tut ihr aber auch weh, dass dann die Wirtschaftskammer Ansprechpartner ist und der Ärztestand dieses Monopol verliert. Die Töne seien rauer geworden, sagt Dorner. Aber das sei richtig. Die Kammer müsse Kraft in ihre Aktionen legen, damit ihre Außenfeinde aufwachen. Sonst passiere nichts. Dafür haben die Ärzte ein paar Asse im Ärmel.