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"Aufregung über Ceta, TTIP und Co. ist übertrieben"

Von Thomas Pressberger

Politik

Die geplanten, teils umgesetzten und auf Eis gelegten Freihandelsabkommen mit Kanada, Japan und den USA - Ceta, Jefta und TTIP - lösen bei Gegnern heftige Kritik aus. Zu Unrecht, meinen Experten.


Wien. Die Freihandelsabkommen mit Kanada, den USA und jetzt auch Japan sind von heftiger Kritik begleitet. Gegner der Abkommen meinen unter anderem, dass dadurch Investoren Staaten mittels Schiedsgerichten klagen und bei Gesetzen mitreden könnten sowie Standards für Lebensmittel sinken würden. Doch die Aufregung ist übertrieben, meint Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS). Die Verhandlungen gingen über einen langen Zeitraum, es gebe konkrete Ziele, und erst, wenn es ernst werde, komme die Kritik. "In den meisten Punkten ist das nicht gerechtfertigt", sagt Kocher. Er halte die geplanten Schiedsgerichte nicht für gefährlich, auch alle anderen Kritikpunkte seien normale Inhalte, die in Handelsabkommen vorkämen.

Die Auswirkungen von Jefta wären ähnlich gering wie jene von Ceta, meint Kocher. "Mit Japan wird nicht viel mehr Handel als mit Slowenien getrieben." Für einzelne Unternehmen könne das Abkommen aber wichtig sein, für Österreich sei der Effekt positiv, wenn auch eben gering. Dass Konzerne Einfluss auf nationale Gesetzgebung bekämen, wie Kritiker monieren, stimme, aber den hätten sie so oder so. "Lobbyismus gibt es in Österreich, in Brüssel, überall, unabhängig von Handelsabkommen", sagt Kocher. Lobbyismus gebe es übrigens auch seitens der NGOs.

"Österreich profitiert von solchen Abkommen"

Österreich und Deutschland seien interessanterweise die heftigsten Kritiker der Freihandelsabkommen, obwohl beide stark vom Außenhandel abhängig sind. Am wenigsten Kritik käme aus skandinavischen Ländern und den Niederlanden. Laut Kocher sei das eine kulturelle Angelegenheit. In Österreich werde oft Politik auf Kosten der EU gemacht, um national zu punkten. Das falle den Verantwortlichen dann bei wichtigen EU-Projekten auf den Kopf, da die Stimmung EU-kritischer sei.

Die Aufregung über Handelsabkommen zeigt, dass die Verhandlungen transparenter gestaltet werden müssen, sagt Elisabeth Christen, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im Bereich Außenhandel. Natürlich könne man während der Verhandlungen nicht alles offenlegen, wohl aber die wichtigsten Eckpunkte. "Es bedürfte einer Kommunikationskampagne der EU", meint Christen. Diese müsste die Menschen auf den Punkt gebracht informieren, und nicht bloß - wie derzeit - komplexe Dokumente mit mehreren tausend Seiten zum Downloaden bereitstellen.

"Gerade eine kleine und offene Volkswirtschaft wie Österreich profitiert von solchen Handelsabkommen", sagt Christen. Österreichs Exportquote liege bei 53 Prozent, an den außenwirtschaftlichen Verflechtungen hängten viele Arbeitsplätze. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Österreich stark von der EU-Osterweiterung und bestehenden Handelsabkommen profitiert habe - bei den Handelsabkommen stärker als der EU-Durchschnitt. Bei Ceta spricht Christen von einem realen BIP-Zuwachs von 0,3 Prozent, im EU-Durchschnitt wären das 0,22 Prozent. Von Jefta würde Österreich stärker als von Ceta profitieren.

Besserungen bei Investitionsschutz

Japan steht im Ranking der heimischen Exportmärkte auf Platz 19, das Exportvolumen beträgt 1,3 Milliarden Euro, die Importe liegen bei zwei Milliarden Euro. Nach Kanada wird im Wert von fast einer Milliarde exportiert, die Einfuhren liegen bei 325 Millionen Euro.

Beim Investitionsschutz hat es allerdings durch die Kritik berechtigte Verbesserungen gegeben, wie etwa eine Berufungsinstanz, sagt Christen. Nationales Recht werde nicht umgangen, da nur wenige begründete Fälle vor den Schiedsgerichten landen würden. "Schiedsgerichtsverfahren werden meistens von den Staaten gewonnen", sagt Christen. Das widerspreche dem, was manche NGOs verbreiten. Auch, dass Standards laufend harmonisiert werden - die sogenannte regulatorische Kooperation -, heiße nicht, dass Konzerne den nationalen Parlamenten Vorschreibungen machen könnten. "Es ist gut, das zu diskutieren, doch muss man sachlich bleiben", sagt Christen. Standards zu harmonisieren sei ein laufender Prozess und würde vielen - auch heimischen Unternehmen - das Wirtschaften einfacher machen. Ängste zu schüren, dass etwa Chlorhühner in Europa erlaubt würden, sei nicht in Ordnung.

Fragen des Warenhandelsin den Mittelpunkt

Mehr Bedenken bei Schiedsgerichten hat Joachim Becker, stellvertretender Vorstand des Instituts für Außenwirtschaft und Entwicklung an der Wirtschaftsuniversität Wien: "Bei ihnen ist eine einseitige Klagemöglichkeit von Unternehmen gegen Staaten vorgesehen. Sie können dann klagen, wenn sie Maßnahmen, die ihre Interessen negativ betreffen, als Bruch der Handelsverträge wahrnehmen." Derartige Klagemöglichkeiten seien bei bestehenden Abkommen von Unternehmen auch wahrgenommen worden und räumten ihnen faktisch ein rechtliches Privileg ein. "Ein solches Privileg steht meines Erachtens selbst im Widerspruch zu liberalen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit", sagt Becker. Kocher erinnert, dass es Schiedsgerichte nicht zufällig gebe. "Staaten können geklagt werden, wenn sie Investitionen von Unternehmen zulassen und dann die Regeln brechen und sie quasi enteignen."

Becker hat konkrete Vorstellungen, wie man an die Verhandlungen in Zukunft herangehen sollte: "Sie sollten wieder viel stärker eng geführt werden, sich also tatsächlich auf Fragen des Warenhandels beziehen." Außerdem seien ökologische Aspekte, speziell der Klimaschutz, viel stärker zu berücksichtigen. "Zwischen Handelsausweitung und Klimaschutz besteht ein Spannungsfeld. Handelsausweitung impliziert ein verstärktes Verkehrsaufkommen, was wiederum den Treibhauseffekt anheizt", sagt Becker.

Aus ökologischer Sicht müssten Produktionskreisläufe dagegen viel stärker regionalisiert werden. Handelsverträge müssten außerdem dem unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsstand der Vertragsparteien Rechnung tragen. "Weniger stark entwickelten Ländern ist ein höheres Schutzniveau einzuräumen", sagt Becker.