Wien/Feldkirch. Die Bilder haben sich in die Köpfe eingebrannt und haben gerade dieser Tage wieder eine erschreckende Aktualität. Tote, Verletzte - mitten in der Fußgängerzone. Am 20. Juni 2015 raste Alen R. mit dem Auto durch die Grazer Innenstadt, tötete drei Menschen und verletzte zahllose weitere schwer. Rund drei Wochen vor der Tat war gegen R. ein Betretungsverbot wegen häuslicher Gewalt verhängt worden.

Der spätere Täter war also kein Unbekannter. Solange jemand aber nicht gerichtlich verurteilt ist, gilt er nicht als Täter, sondern als Gefährder - Polizei und Beratungsstellen geraten kaum mit ihm in Kontakt. Kehrt die Person nach der Wegweisung wieder in die Familie zurück, können sich die alten Muster schnell wiederholen. Arno Dalpra, Leiter der Gewaltberatung des Feldkircher Instituts für Sozialdienste, hat am Freitag auf Einladung der Grünen in einem Hintergrundgespräch die Gefahr dieser Situation erläutert. Nach der Wegweisung finde der Gewalttätige meist bei Freunden oder der eigenen Familie Unterschlupf. Dort sei er mit seinen Gedanken völlig auf sich alleine gestellt oder werde von ihm wohlgesonnenen Personen in seiner Ansicht unterstützt, dass die Wegweisung ungerecht sei. "Es gibt keine Auseinandersetzung mit der Tat", sagt Dalpra. Den Opfern wird indes Beratung angeboten.

Nach dem Tod eines dreijährigen Buben durch die Hand des Stiefvaters wurde in Feldkirch ein Pilotprojekt gestartet, in dessen Rahmen auch den Gefährdern Beratung angeboten wurde. Konkret fragten die Polizisten bei der Wegweisung nach, ob sie Kontaktdaten an die Gewaltberatung weitergeben dürfen. Rund 300 Wegweisungen gibt es in Vorarlberg jedes Jahr - immerhin ein Drittel der Betroffenen hat der Datenweitergabe zugestimmt. Innerhalb von 72 Stunden werden die Personen - meistens sind es Männer, aber immerhin 14 Prozent von ihnen sind Frauen - kontaktiert. Die Beratung dauert dann von einigen wenigen Sitzungen bis hin zu zwei Jahren. "Gewalt ist ein Verhalten und Verhalten ist veränderbar", sagt Dalpra dazu.

In Österreich gab es 2015 8261 Betretungsverbote, 2014 waren es 7487, im selben Jahr wurden 1278 Verwaltungsstrafen verhängt, weil sich die Person nicht an das Betretungsverbot gehalten hat. Während die Daten der Opfer automatisch an die Opferschutzeinrichtungen weitergegeben werden, müsste diese Möglichkeit für Gefährder erst im Sicherheitspolizeigesetz geschaffen werden. Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser plant daher einen entsprechenden Gesetzesantrag. "Die Kontaktierung des Täters soll möglich werden", sagt Steinhauser. Wenn dieser nicht reden will, müssten die Daten gelöscht werden. Damit zusammenhängend fordert Steinhauser einen Ausbau der Männerberatungsstellen. "Da geht es nicht um Verständnis für die Tat", sagt Steinhauser, sondern um Prävention.

Opferschutz im Vordergrund

Ganz neu ist die Debatte nicht: Schon 2015 nach der Amokfahrt in Graz forderte der Verein Neustart entsprechende Maßnahmen. Die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner kündigte eine verpflichtende Rechtsberatung für Weggewiesene an. Im Innenministerium war dazu am Freitag niemand zu erreichen, im Justiz- und im Familienressort hieß es, man nehme den Opferschutz sehr ernst - das Justizministerium hat 2016 etwa 6,3 Millionen Euro für Opferschutzeinrichtungen ausgegeben. Im Familienministerium sei Gewaltschutz ein "essenzielles Thema", das man immer wieder aufgreife, hieß es dort.