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"Sie können eh Englisch, oder?"

Von Eva Stanzl

Politik

Erasmus hat die Bildung reformiert. Das Austauschprogramm ist heute 30 Jahre alt.


Wien. "Sie können eh Englisch, oder?", wurde Ernst Gesslbauer Ende der 1980er Jahre von seinem Universitätsprofessor gefragt, als er ein Auslandsjahr an der britischen Universität Sheffield machen wollte. Er konnte. Hätte er jedoch schon ein paar Jahre früher in England studieren wollen, hätte er neben Sprachkenntnissen und Mut auch einen vollen Geldbeutel gebraucht, um Studiengebühren und Lebenskosten zu bestreiten.

Wenige EU-Rahmenwerke haben die Internationalisierung von Bildung so stark voran gebracht, wie das 1987 gegründete Austauschprogramm Erasmus. Seit die Europäische Union Lebenskosten für Auslandsaufenthalte finanziert, während Hochschulen den Teilnehmern nichts verrechnen, können junge Menschen aller sozialen Schichten in anderen Ländern frischen Wind für ihr Leben einatmen. Und was früher exotisch war, gehört heute dazu: Wer keine Auslandserfahrung hat, wird ab einer bestimmten Berufsebene nicht genommen, und wer keiner einzigen Fremdsprache mächtig ist, erntet verwunderte Blicke.

5000 Studierende jedes Jahr

Jeder vierte Studierende verbringt heute mindestens ein Semester im Ausland, fast 40 Prozent gelten als "auslandsmobil": Gab es EU-weit im Gründungsjahr 1987 noch 3252 Erasmus-Studierende, sind es heuer 4,4 Millionen.

Erasmus ist in den EU-Verträgen von Maastricht als Programm "zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten zum Zweck der Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung" festgeschrieben. Seit Österreichs EU-Beitritt 1992 haben 240.000 Menschen teilgenommen. 2015 kamen 5000 Erasmus-Studierende nach Österreich, während wir etwas mehr als 15.000 in die EU und Partnerländer entsandten. Heute, Dienstag, wird das 30-jährige Jubiläum mit einer Festveranstaltung in Wien begangen (siehe Programm-Hinweise unten). Laut der heimischen Hochschul-Mobilitätsstrategie soll bis 2025 ein Drittel aller Studierenden Erfahrungen im Ausland sammeln - bis 2020 will Österreich die Erasmus-Mittel von heute 37,5 Millionen auf 49 Millionen Euro erhöhen.

"Durch die Erasmus-Programme wurde Internationalität in der Ausbildung zur Selbstverständlichkeit", fasst der ehemalige Austauschstudent Gesslbauer zusammen, heute ist er Leiter der Nationalagentur des Österreichischen Austauschdienstes, der das Programm abwickelt. "Praktisch alle Hochschulen, 120 berufsbildende Einrichtungen und ein hoher Prozentsatz der Schulen nehmen teil."

Erasmus von Rotterdam war ein niederländischer Gelehrter des Renaissance-Humanismus, Theologe, Priester, Augustiner-Chorherr, Philologe und Autor. Vielseitig wie er ist mittlerweile auch das nach ihm benannte Programm. Unter dem Namen Erasmus Plus umfasst es nicht mehr nur Universitäten, sondern auch die Schul-, Berufs- und Erwachsenenbildung und die Bereiche Jugend und Sport.

Konkret bietet es Auslandssemester an Hochschulen, Auslandspraktika in Unternehmen für Lehrlinge und Schüler berufsbildender Schulen, Schul-Partnerschaftsprojekte, Kurse ohne formalen Abschluss und Austauschprojekte für sozial benachteiligte junge Menschen. Auch Freiwilligendienst in Hilfseinrichtungen und Institutionen im Bereich Erwachsenenbildung werden unterstützt. Sondermittel werden nach Bedarf zugesprochen - jüngst zur Ausbildung von Flüchtlingen (siehe Grafik).

Zu den Kritikpunkten gehört die irgendwie naheliegende Annahme, Erasmus-Teilnehmer motiviere weniger der Hunger nach Bildung als jener nach Spaß. Um den Ernst des Lebens noch etwas aufzuschieben, gehe man ins Ausland und lerne dann nicht im Hörsaal, sondern beim Feiern, dass Regelstudienzeiten überbewertet sind - im besten Fall komme man mit Sprachkenntnissen zurück. Außerdem gibt es Zweifel, ob Auslandsaufenthalte tatsächlich bessere Jobs ermöglichen - etwa betont das Hochschulforschungszentrum in Hannover in einer Studie, dass dem eben nicht so sei.

Gesslbauer ist anderer Ansicht. Das Programm habe die Bildungslandschaft verändert. Viele Uni-Aufgaben würden nicht mehr national verstanden und auch die Berufsbildung habe internationale Dimensionen angenommen. "81 Prozent der Teilnehmer in berufsbildender Ausbildung sind der Ansicht, im Ausland etwas gelernt zu haben, das sie zu Hause nicht mitbekommen hätten", sagt er. "Partnerschaften bestehen sogar nach dem Auslaufen der Finanzierung weiter, die berufsbildenden Einrichtungen sind gut vernetzt."

Spaßbremse Großbritannien

Die Top-5-Zielländer für Österreichs Studierende sind Deutschland, Spanien, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Schweden. Gerade wegen Großbritanniens Beliebtheit - 613 Studierende zieht es heuer dort hin - wird die Frage nach den Konsequenzen des Brexit immer brisanter. "Wenn Brexit schlagend wird, müssen wir ihn in der gesamten Hochschulmobilität mit berücksichtigen", betont Felix Lamezan, Sprecher im Wissenschaftsministerium.

Konkret habe das British Council zugesichert, bis 2020 voll weiter zu bezahlen. Danach könnten die Briten vom Programm ausgeschlossen sein, oder aber so wie die Schweiz wegen ihres Votums gegen die Personenfreizügigkeit voll zahlen und voll mitmachen, aber nur eine Zuschauerrolle innehaben. Dass Großbritannien bei Erasmus voll dabei bleibt, "bezweifle ich stark", sagt Gesslbauer: "Die EU-Kommssion hat harte Konsequenzen angekündigt, und das begehrte Land Großbritannien ist ambivalent in Bezug auf Austauschprogramme, weil es Studiengebühren verrechnet."