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"Ich finde, es ist genug"

Von Simon Rosner

Politik

Reinhold Mitterlehner hat seinen Rücktritt verkündet - mit einem finalen Furor.


Wien. Vor dem Furor vor versammelter Presse; vor jenen fünf Worten, die von nun an wohl sehr lange in Verbindung mit dem Politiker Reinhold Mittlerlehner bleiben werden; vor seinem "Ich finde, es ist genug"; vor der Ankündigung also, alle politischen Ämter zurückzulegen, besuchte Reinhold Mitterlehner den Schönbrunner Tiergarten und eröffnete den neuen Giraffenpark.

Natürlich hat der Vizekanzler am Vormittag schon gewusst, dass er wenige Stunden später seinen Rücktritt erklären wird. Vielleicht sollte dieser kleine Auftritt aber auch noch einmal sein Verständnis von Politik illustrieren, worauf am Nachmittag auch zahlreiche Weggefährten und Parteikollegen in ihren politischen Nachrufen hinwiesen. Mitterlehner, so war unter anderem zu lesen, habe immer die Sachpolitik in den Vordergrund gestellt, sei lösungsorientiert gewesen, verlässlich und ein Mann mit Handschlagsqualitäten.

In seinem wortreichen Abschied in der ÖVP-Zentrale erklärte Mittlerlehner auch selbst, warum er "trotz aller Querschüsse und Agitationen" in den vergangenen Monaten weitergemacht habe: "Mir ist es ein Anliegen, Inhalte zu vermitteln und Österreich in der Wettbewerbsfähigkeit nach vorne zu bringen", sagte Mitterlehner. Und weiter: "Irgendwer muss die Arbeit ja machen in diesem Land."

Zu dieser Arbeit gehört als Wirtschaftsminister eben auch der Tiergarten, dessen Eigentümervertreter Mitterlehner kraft seines Amtes ist. Mehr als fünf Millionen Euro hat der Umbau des Giraffengeheges dem Ministerium gekostet, logisch also, dass der Ressortchef zur Eröffnung kommt und ein paar Worte sagt. In diesem Fall: "Das neue Angebot macht den Tiergarten noch attraktiver und stärkt damit auch die Tourismusmarke Österreich." Ein klassischer Ministersatz, in Variationen vermutlich tausendfach gesagt oder in Aussendungen geschrieben. Doch auch das ist eben Politik. In diesem Fall für den Tiergarten, für den Tourismus und natürlich auch, im konkreten Fall, für Kimbar, Rita und Carla, die Schönbrunner Giraffen. Sie haben nun dreimal soviel Platz wie früher.

Auch die Lebensqualität von Reinhold Mitterlehner wird in den kommenden Wochen, soweit darf man wohl spekulieren, deutlich zunehmen. Als er am Mittwoch, kurz nach halb eins, vor die Presse in der Lichtenfelsstraße neben dem Wiener Rathaus trat, schien für Momente zwar die Stimme des Vizekanzlers zu brechen, und auch die wehklagende Einleitung über die Anmoderation von ORF-Anchor Armin Wolf in der "ZiB 2" tags zuvor ("Die Totengräber warten schon"), rückten Enttäuschung und persönliche Beleidigung in den Mittelpunkt - aber nur kurz.

Danach folgte ein Furor gegen den Zustand der Koalition, der Politik im Allgemeinen sowie auch klare Kritik an seiner eigenen Partei und im Speziellen auch an seinem logischen Nachfolger - Stand Mittwoch - Sebastian Kurz, auch wenn Mitterlehner den Außenminister namentlich nicht erwähnte.

"Ich bin kein Platzhalter, der auf Abruf bis irgendjemand Zeitpunkt, Struktur oder Konditionen festlegt und dem die passen, hier irgendwo agiert", sagte Mitterlehner. Noch am Montag, als erste Gerüchte über einen bevorstehenden Rücktritt auftauchten, hatte er diesen ausgeschlossen und die Informationen eben als Gerücht abgetan. Offenbar ging es aber nur mehr um das Wann und Wie. Es sei ihm wichtig gewesen, sagte Mitterlehner, "dass ich sowohl Zeitpunkt als auch Inhalt von allen Schritten selber definiere".

Dass er bei der kommenden Nationalratswahl, wann immer sie auch stattfinden wird, nicht mehr als Spitzenkandidat antrete, sei schon lange intern klar gewesen. Die Spitzen der Partei "und auch der präsumtive Nachfolger", so Mitterlehner, würden dies schon monatelang wissen.

Offiziell wird er seine Funktion als Parteiobmann der ÖVP in der kommenden Vorstandssitzung zurücklegen (vermutlich am Wochenende), am Montag dann formell als Wirtschaftsminister und Vizekanzler zurücktreten. Ob sich an diesem Tag dann auch schon die ÖVP mit Blick auf die kommenden Jahre bereits neu aufgestellt haben wird oder erst eine interimistische Lösung gefunden wird, wird sich zeigen.

Er, Mitterlehner, habe jedenfalls stets die Arbeit in den Vordergrund gestellt. Man habe im Jänner das beste Programm der vergangenen zehn Jahre beschlossen, das beste Wirtschaftsklima seit der Krise, die Arbeitslosigkeit gehe zurück und "die Lohnnebenkosten wurden in einem Ausmaß gesenkt, von dem wir nicht einmal träumen konnten".

Eine Stunde später sollte Bundeskanzler Christian Kern ein ähnliches Fazit über die Zusammenarbeit ziehen. Die beiden haben einander durchaus geschätzt, darauf verwies auch der Vizekanzler in seinen Dankensworten am Ende seiner Abschiedsrede. "Ich war ein Mann des Ausgleichs", so Mitterlehner.

Der 61-Jährige war über den Wirtschaftsbund, dessen Geschäftsführer er ab 1992 war, im Jahr 2000 in den Nationalrat. Nach dem Ende von Schwarz-Blau sowie danach der Neuauflage der großen Koalition unter Kanzler Alfred Gusenbauer machte ihn Josef Pröll 2008 zum Wirtschaftsminister - unmittelbar vor Ausbruch der Wirtschaftskrise.

In dieser profilierte sich Mitterlehner an der Seite von Sozialminister Rudolf Hundstorfer als Krisenmanager. Gemeinsam mit den Sozialpartnern, bei denen sich Mitterlehner am Mittwoch auch explizit bedankte, vereinbarte die Regierung damals zahlreiche Maßnahmen wie die Kurzarbeit, die das Land vergleichsweise unbeschadet durch die erste Phase der Krise manövrierten.

Die stockende Koalitionsarbeit nahm nach dem Kanzlerwechsel im vorigen Sommer wieder Fahrt auf, einige langjährige Forderungen des ÖVP-Wirtschaftsflügels wie Deregulierung und eine Senkung der Lohnnebenkosten konnten unter Christian Kern umgesetzt werden. Allerdings reklamierte dieser diese Maßnahmen auch durchaus für sich - wie umgekehrt die ÖVP bei anderen Beschlüssen. Dieses "Wer-hat’s-erfunden" sei ihm zu blöd, sagte Mitterlehner, der auch die Inszenierung der SPÖ, etwa den Plan A von Kanzler Kern, kritisierte.

"Es ist unmöglich in einer derartigen Konstellation, einerseits Regierungsarbeit zu leisten und gleichzeitig die eigene Opposition zu sein", sagte Mitterlehner. Je länger die rund zwölfminütige Rede dauerte, desto gelöster wirkte der scheidende 16. Parteiobmann der ÖVP. "Meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer und Österreich alles Gute."