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Freies Kräftespiel vor Neuwahlen

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik
Wer auch immer einen Neuwahlantrag im Parlament einbringen wird, er braucht dafür eine einfache Mehrheit im Nationalrat.

Neuwahlen im Herbst sind so gut wie fix. Trotzdem will der Kanzler bis zum Sommer weiterregieren.


Wien. Ja zu Neuwahlen und freie Hand bei parteiinternen Personal- und Politikentscheidungen: Mit dieser Botschaft an die Wähler und die eigene Partei hat sich am Freitag ÖVP-Hoffnungsträger, Außenminister Sebastian Kurz, erklärt. "Nur Köpfe auszutauschen und so zu tun, als wäre nichts gewesen", sei nicht zielführend.

Obwohl sich reihum die Bünde und Landesorganisationen der ÖVP für Kurz erklärten und auch Neuwahlen zustimmten, dürfte dessen Inthronisation am Sonntag nicht ganz so glatt über die Bühne gehen wie geplant.

Denn der Koalitionspartner SPÖ will partout nicht wählen. Also schlägt deren Vorsitzender, Bundeskanzler Christian Kern den Oppositionsparteien eine Art "Arbeitspakt" vor, mit dem etliche der offenen Vorhaben (etwa Steuerentlastung, Schulreform, Aktion für ältere Beschäftigte) im Nationalrat ohne ÖVP beschlossen werden könnten. Kern sprach dafür mit allen Chefs der Oppositionsparteien.

Neos, Grüne und auch das Team Stronach scheinen einem solchen Vorgehen nicht abgeneigt. Alle drei müssen befürchten, in einem Wahlkampf zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ an den Rand gedrängt zu werden. Für die FPÖ erklärte Generalsekretär Herbert Kickl Neuwahlen zur "saubersten Lösung". Allerdings hatte Parteichef Strache zuletzt Kurz heftig attackiert.

Da im Parlament mittels Initiativantrag auch Gesetze von Abgeordneten eingebracht werden können, würde sich die ÖVP unvermutet in der Opposition wiederfinden, obwohl sie noch in der Regierung sitzt. Ob Kerns’ Plan aufgeht, ist offen. Sollte er aber funktionieren, dann hat die Volkspartei ein gröberes Problem. Das wird sicher auch am Sonntag im Parteivorstand besprochen.

"Django-Effekt" bleibt Kern erspart

Eigentlich hat Christian Kern nun das, was er wollte. Österreich steht vor Neuwahlen, spätestens im Oktober, wahrscheinlicher aber schon im September, so orakelt es aus dem Umfeld der Noch-Regierungsparteien, stehen die eigentlich für Herbst 2018 geplanten Nationalratswahlen an.

Ein Schicksal wie seinem eben zurückgetretenen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, dessen "Django-Effekt" nach wenigen Monaten verpufft war, bleibt dem Kanzler damit erspart. Dass Kern Schwung in den Wahlkampf mitnehmen kann, ist vor allem auch dem Umstand zu verdanken, dass ohnehin seit Monaten ein schwebehafter Dauerwahlkampfmodus vorherrscht – und zwar auf beiden Seiten der Regierung. Noch Anfang der Woche hatte die rote Regierungshälfte konzertiert das Fernbleiben der schwarzen Zukunftshoffnung Sebastian Kurz beim Ministerrat am Dienstag als Wahlkampf-Profilierung desselben gebrandmarkt. Die "Inszenierungen" des Kanzlers aber hätten auch dazu beigetragen, dass es ihm verunmöglicht wurde, konstruktiv zu arbeiten, sagte Mitterlehner am Dienstag in seinem Rücktritts-Statement.

Kurz: "Vorhaben umsetzen"

Also Neuwahlen – und damit ein Ende der Koalition, dessen Funktionieren Politiker beider Regierungsparteien in den vergangene Monaten mantraartig betont haben, die sich aber gleichzeitig seit über einem Jahr einen Dauerwahlkampf liefert. Querschüsse aus St. Pölten inklusive. Man habe "wöchentlich mit dem Wechsel an der ÖVP Spitze gerechnet", heißt es aus dem Umfeld von SPÖ-Nationalratsabgeordneten. Den schwarzen Neuwahl-Peter aber habe man sich nicht von der ÖVP zuspielen lassen wollen. Gesagt, getan.

Das alles muss aber nicht zwingend heißen, dass vom erst Ende Jänner überarbeiteten Regierungsprogramm nun bis zum Sommer nichts mehr übrig bleibt. So sehr Kern eine Neuordnung der Verhältnisse durch Neuwahlen anstrebte – der ÖVP direkt nach Mitterlehners Abgang eine "Reformpartnerschaft" anzutragen, was Sebastian Kurz natürlich nicht annehmen konnte, sollte vor allem eines zeigen: wir wollen weiterarbeiten, wenn, dann muss schon die ÖVP den schwarzen Neuwahl-Peter annehmen.

Am Donnerstag und Freitag rückte der Bundeskanzler dann aus, um mit der Opposition zu reden: deren Bereitschaft, etwaige der Umsetzung harrende Regierungsvorhaben aus seinem "Plan A" anzugehen, wurde ausgelotet. Am Freitag versuchte Kurz in seinem ersten Pressestatement nach Mitterlehners Rückzug, aus dem widerwillig angenommenen schwarzen Neuwahl-Peter Kapital zu schlagen: er bleibe seinem geradlinigen Stil treu und sei für Neuwahlen. Der Dauerwahlkampf, so Kurz, solle "im Rahmen gehalten werden". Gleichzeitig ließ Kurz‘ Umfeld die Medien wissen, dass man durchaus bereit sei, das, was vom Regierungsprogramm bereits ausverhandelt sei, bis zum Sommer mit der SPÖ noch umzusetzen. Es solle einen "fairen Übergang" und einen "geordneten und zivilisierten Umgang miteinander" geben, auf den dann ein "kurzer und fairer Wahlkampf" folgen solle. Das Umsetzen der noch ausständigen Regierungsvorhaben als Teil des Wahlkampfs.

Kern: "Wechselnde Mehrheiten"

Am Freitagnachmittag dann der nächste Schlag von Kern. Wenn die ÖVP der SPÖ jetzt den Stuhl vor die Tür setze, bedeute dies "das Ende für eine rot-schwarze Zusammenarbeit für sehr lange Zeit", so der Kanzler in der "Presse". Außerdem forderte Kern von Kurz und er ÖVP eine Entschuldigung. Sein Angebot über eine Reformpartnerschaft habe er sehr wohl ernst gemeint, die ÖVP habe ihm Unehrlichkeit unterstellt. Ein hochrangiges SPÖ-Regierungsmitglied geht noch härter mit Kurz ins Gericht: "Wenn er nicht will, soll er sofort zurücktreten." Man habe noch andere Optionen für den Posten des Außen- und Integrationsministers.

Inzwischen wolle er, Kern, "wenn nötig auch mit wechselnden Mehrheiten" weiterregieren. Zwischen SPÖ und ÖVP ist der Ofen aus, noch bevor Kurz den ÖVP-Parteivorsitz übernommen hat. Bleibt die Frage, wer wann den Neuwahlantrag stellt, und was der Kanzler bis zum Sommer in seinem nun geplanten Alleingang im Parlament noch auf Schiene bringen könnte. Offen sind der Mindestlohn von 1500 Euro brutto für Vollzeitbeschäftigte, die Abschaffung der kalten Progression, die Bildungsreform, die Ökostromnovelle und der Beschäftigungsbonus zur Förderung von Langzeitarbeitslosen über 50. Letzter soll, das berichtet das "profil", bereits vom Wirtschaftsministerium auf Eis gelegt worden sein.

Die Grüne Parteichefin Eva Glawischnig will einem Neuwahlantrag nun doch "vor Ende Juni sicher nicht" zustimmen. In ihrem Gespräch mit Kanzler Kern am Freitag habe es "Übereinstimmung" in einigen Vorhaben der Grünen gegeben, darunter auch der Eurofighter-U-Ausschuss. Diesen wolle auch Kern "so weit wie möglich arbeiten lassen", sagt Glawischnig im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Ein Neuwahlantrag würde allerdings das sofortige Ende der Beweisaufnahme im U-Ausschuss bedeuten: auf Grund der gesetzlich vorgesehenen Cool-down-Phase darf der U-Ausschuss nämlich nicht als Wahlkampfthema herhalten.

SPÖ-Feindbild Kurz

Vorstellen kann sich Kern laut Glawischnig daneben auch die Umsetzung des fertig ausgearbeiteten Ökostromgesetzes sowie die Bildungsreform. Bei dieser werde es "ohne die ÖVP aber schwer, denn die Freiheitlichen haben da wohl wenig Interesse", so Glawischnig.

Neos-Chef Matthias Strolz will hingegen bei einem Neuwahlantrag mitstimmen, gleichzeitig wollen aber auch die Neos einige Punkte aus dem Regierungsprogramm im Parlament mitbeschließen. Weiterarbeiten, am liebsten mit der ÖVP, das war zumindest am Freitag das akkordierte Credo der roten Granden.

Und danach mit Kurz? "Ich weiß nicht, wieso Sebastian Kurz den U-Ausschuss beenden will. Vielleicht will er einige Parteikollegen schützen", sagt Burgendlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl. Von Kurz selber hält er nicht viel: "Er unterzeichnet einen Koalitionsvertrag, den er dann nicht einhält und Neuwahlen fordert. Sebastian Kurz betätigt sich als Ich-AG." Kurz sei ein "Besserwisser", "ob er es auch besser kann, hat er noch nicht bewiesen." Noch nicht geäußert zum geplanten freien Spiel der Kräfte im Parlament hat sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Möglicherweise, weil er die vergangene Woche selbst erst überblicken muss

DER WEG ZUR NEUWAHL:

Wer auch immer einen Neuwahlantrag im Parlament einbringen wird, er braucht dafür eine einfache Mehrheit im Nationalrat. Die Stimmen der FPÖ, die bereits einen Neuwahlantrag eingebracht hat und die einen Antrag der ÖVP auch unterstützen würde, reichen der ÖVP nicht aus. Umgekehrt braucht auch die SPÖ die Stimmen der Grünen, der Neos wie des Team Stronach und zwei von vier wilden Abgeordneten - insgesamt 92 Stimmen. Der Antrag, der auch mit einer Frist versehen sein kann, wird dann dem Verfassungsausschuss zugewiesen. Der Antrag kommt danach ins Plenum zu einer zweiten und dritten Lesung. Dann muss der Bundespräsident das Gesetz beurkunden und der Bundeskanzler gegenzeichnen, es folgt die Kundmachung im Bundesgesetzblatt. Dann gibt die Regierung eine Neuwahlverordnung herausg, dieser muss wiederum der Hauptausschuss des Nationalrats zustimmen und auch diese muss im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. In dieser Verordnung sind Stichtag und Wahltag festgelegt. Der Stichtag ist der 82. Tag vor dem Wahltag.