
Wien. Auf dem Schild vor dem Eingang zur Behindertenanwaltschaft in der Babenbergerstraße in der Wiener Innenstadt steht noch immer der Name von Hansjörg Hofers Vorgänger, Erwin Buchinger. Das neue Schild sei schon bestellt, sagt Hofer später, es sei nur noch nicht fertig. Hofer, der selbst mit einer Cerebralparese geboren wurde, was mit gewissen Bewegungseinschränkungen verbunden ist, hat am 5. Mai das Amt des Behindertenanwalts übernommen. In seinem Büro, in dem auch noch das grüne Sofa des Vorgängers steht und dessen Bilder an der Wand hängen, spricht er sich für einen möglichen Erhalt der Sonderschule, Menschen mit Behinderung als eigene Zielgruppe beim Arbeitsmarktservice und eine bundesweit einheitlich geregelte persönliche Assistenz für den Freizeitbereich aus. Abseits einer anderen Büroeinrichtung möchte er aber vor allem eines anders als sein Vorgänger Buchinger machen, wie er im Interview mit der "Wiener Zeitung" sagt: Politisch sichtbarer werden und mehr in die Öffentlichkeit gehen.
"Wiener Zeitung": Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge weisen etwa 15 Prozent der Menschen zumindest eine leichte Behinderung auf. Auf Österreich heruntergebrochen sind das rund 1,3 Millionen Menschen. Dennoch verdrängen wir das Thema, es scheint kaum ein Bewusstsein dafür zu geben. Wie wollen Sie das ändern?
Hansjörg Hofer: Das Bewusstsein dafür hat sich geändert. Wie man vor 20, 30 Jahren über Menschen mit Behinderung gesprochen hat, redet man heute nicht mehr. Aber immer noch werden sie als Menschen, die mit Defiziten behaftet sind, angesehen. Man sieht nicht die Stärken, nur die Schwächen. Um hier etwas zu ändern, muss die Behindertenanwaltschaft politisch sichtbarer werden - das hat schon Erwin Buchinger seinem Nachfolger mit auf den Weg gegeben. Das Thema sollte immer mitgedacht und mitbehandelt werden.
Sagen Sie das jetzt in Richtung bestimmter Parteien? Die FPÖ etwa hat ja im EU-Parlament gegen eine Resolution zur Anerkennung der Gebärdensprache gestimmt.
Nein, politisch sichtbarer werden heißt nicht, dass ich Präferenzen für eine Partei erkennen lassen möchte. Die Behindertenanwaltschaft agiert selbstständig und unabhängig und ist an keine Weisungen gebunden. Ich werde jetzt erst einmal alle Ministerinnen und Minister sowie die Köpfe der Sozialpartner besuchen.
Welche Forderung wird Ihre dringlichste sein?
Gleich gute Ausbildungschancen für alle Menschen.
Beginnt das mit der Abschaffung der Sonderschule, wie sie bereits 2011 Grünen- und ÖVP-Mandatare für Österreich gefordert haben? Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sieht ja vor, dass diese bis 2020 zur Ausnahme werden sollen.
Dass Menschen mit und ohne Behinderung die gleichen Ausbildungschancen haben, muss nicht die Abschaffung der Sonderschule bedeuten. Das kann auch bedeuten, dass sich diese für Menschen ohne Behinderung öffnet. Die Ressourcenlage, die hier besser ist, könnte so erhalten bleiben. In Sonderschulen werden zum Beispiel 12 bis 13 Kinder pro Klasse unterrichtet, in normalen Schulen 25 Kinder. Etwas abzuschaffen ist in Österreich auch immer schwieriger, als etwas zu verändern, das besteht. Es gab ja schon Proteste von Lehrern und Eltern, die glauben, dass Kinder mit Behinderung in Sonderschulen besser untergebracht sind.
Aber käme ein Öffnen der Sonderschulen durch die kleineren Klassen und den kleineren Lehrer-Schüler-Schlüssel nicht teurer?
Auch wenn man die Ausbildung ganz in normale Schulen verlegt, kostet das mehr. Ziel bleibt in jedem Fall die Inklusion - also, dass das System angepasst wird - im Unterschied zur Integration, bei der Menschen mit Behinderung geholfen wird, sich an das System anzupassen.
Was wird für die Inklusion am Arbeitsmarkt getan?
Die Volksanwaltschaft hat zuletzt einen Lohn für Menschen gefordert, die in Behindertenwerkstätten arbeiten und derzeit nur ein Taschengeld von bis zu 150 Euro bekommen -also auch nicht pensionsversichert sind. Das entspricht nicht der Behindertenrechtskonvention der UNO. Die Gerichte in Österreich haben jedoch entschieden, dass das keine Arbeit ist, sondern der therapeutische Charakter im Vordergrund steht. Aber das ist ja wohl nicht in Stein gemeißelt. Zumindest für die Menschen, die verwertbare Leistung erbringen, muss man das ändern. Deren Arbeit muss entlohnt werden. Diese Personen müssten dann dafür vielleicht keine erhöhte Familienbeihilfe mehr bekommen. Wir müssen weg von der Mitleidsmasche, weil der Mensch mit Behinderung Rechte hat, die es gilt, einzufordern.
Sollte er damit auch den Anspruch auf Pflegegeld verlieren?
Nein, das ist ein anderer Zweck. Das Pflegegeld hat den Zweck eines Beitrages zu pflegebedingten Mehraufwendungen. Das muss es weiterhin geben. Wenn der Betroffene 60 Stunden pro Monat Unterstützung bei bestimmten Verrichtungen wie Körperpflege, Nahrungsaufnahme oder Nahrungszubereitung braucht, dann hat er Anspruch auf Pflegegeld. Wenn er zudem als arbeitsunfähig eingestuft wird, bleibt ihm nur die Beschäftigungstherapie in einer Tagesstruktur.